Bodo Ramelow: „Ich halte nichts von dieser Debatte, dasjenige BSW beobachten zu lassen“

Wahrscheinlich hat kaum ein deutscher Politiker eine bewegtere Vergangenheit mit dem Bundesverfassungsschutz (BfV) als Bodo Ramelow. Es gibt sogar ein Buch darüber: Die Akte Ramelow. Ein Abgeordneter im Visier der Geheimdienste ist 2007 erschienen und mit einem Vorwort von Oskar Lafontaine versehen. Der ist mittlerweile Mitglied im Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW), das manch einer seinerseits gerne mit geheimdienstlichen Mitteln beobachten würde.

Was hält Ramelow davon, das BSW bespitzeln zu lassen? Welche Rolle soll der Inlandsgeheimdienst in einem möglichen AfD-Verbotsverfahren spielen? Und verbindet er Hoffnungen mit dem neuen BfV-Präsidenten Sinan Selen? Ein Gespräch über eine der umstrittensten Institutionen innerhalb der deutschen Linken.

der Freitag: Herr Ramelow, Sie werden seit zwölf Jahren nicht mehr vom Verfassungsschutz beobachtet. Wie hat sich Ihr Alltag dadurch verändert?

Bodo Ramelow: Dass dieses Amt eine Sammelwut in Bezug auf mich hat, weiß ich schon seit vielen Jahren. 1999 haben mein Parteifreund Steffen Dittes und ich herausgefunden, dass das Thüringer Landesamt für Verfassungsschutz über Landtagsabgeordnete meiner Partei – damals noch die PDS – Informationen sammelt, die es der regierenden Fraktion zur Verfügung stellt. Mit anderen Worten: Die Behörde wurde parteipolitisch instrumentalisiert. Mich hat dieses Thema dann viele Jahre begleitet, weil ich viel geklagt habe. Ich habe meine Klage sogar bis zum Bundesverfassungsgericht getrieben, wo die Überwachung meiner Person 2013 als verfassungswidrig erklärt wurde. Von daher hat sich mein Alltag so verändert, dass ich seit vielen Jahren nicht mehr mit juristischen Mitteln gegen meine Überwachung vorgehen muss.

Wie kam es überhaupt dazu, dass Sie beobachtet wurden?

Durch sogenannte „Kontaktschuld“. Es wurde unterstellt: Wenn man Kontakt zu einem Beobachteten hat, wird man dadurch ebenfalls infiziert.

Wer hat Sie denn „infiziert“?

In den 1980ern habe ich mich als Gewerkschaftssekretär solidarisch mit dem Berufsverbotsopfer Herbert Bastian erklärt. Dem wurde wegen seiner Mitgliedschaft in der DKP vorgeworfen, nicht auf dem Boden der freiheitlich-demokratischen Grundordnung zu stehen. Deswegen durfte er seinen Job als Postbeamter nicht mehr ausführen. Ich habe damals eine Patenschaft für Bastian übernommen und bin mit ihm zu den ganzen Prozessen gegangen. Diese Patenschaft reichte aus, um ab 1986 eine Akte über mich anzulegen. Übrigens habe ich später in dieser Akte die absurdesten Dinge gefunden.

Ich erwarte von einem Bundesamt, dass es darauf achtet, dass es keine parteiische Untersuchung ist, sondern eine neutrale, die sich am Gesetz orientiert

Zum Beispiel?

Die Geburtsanzeige meines Sohnes. Wir haben damals eine Annonce in der Zeitung aufgegeben, in der stand: „Die Friedensbewegung hat Zuwachs bekommen!“ Das wurde alles fein säuberlich abgeheftet …

Seit ein paar Tagen hat der Bundesverfassungsschutz einen neuen Präsidenten: Sinan Selen. Was erhoffen Sie sich von dem Wechsel an der Spitze?

Ich hoffe, dass dieses Bundesamt für Verfassungsschutz nicht so instrumentell geführt wird, wie ich es am eigenen Leib erlebt und Ihnen gerade geschildert habe. Gegenüber niemandem – auch nicht gegenüber der AfD.

Wie meinen Sie das?

Im Moment ist am Verwaltungsgericht in Köln eine Klage anhängig, ob die AfD „gesichert rechtsextremistisch“ ist. Ich möchte dem Gericht da nicht vorgreifen und mich daher nicht weiter dazu äußern.

Welche Rolle könnte der Verfassungsschutz denn bei einem möglichen AfD-Verbotsverfahren spielen? 2003 ist das Verbotsverfahren gegen die NPD daran gescheitert, dass die NPD bis in die obersten Führungskreise von V-Leuten durchsetzt war. Die AfD darf gerade auch schon vom Verfassungsschutz beobachtet werden, vielleicht wurden schon V-Leute eingesetzt. Besorgt es Sie nicht, dass sich die Geschichte wiederholen könnte?

Ich erwarte von einem Bundesamt, dass es darauf achtet, dass es keine parteiische Untersuchung ist, sondern eine neutrale, die sich am Gesetz orientiert. Und ich hoffe, dass der letzte und der jetzige Präsident darauf geachtet haben, dass bei der Entsendung von V-Leuten darauf geachtet wird, dass mögliche Verbotsverfahren nicht am Einsatz von V-Leuten scheitern dürfen.

Sind Sie denn für ein AfD-Verbotsverfahren?

Darauf antworte ich nicht. Den Antrag zu einem Verbotsverfahren müssten der Bund, die Länder oder beide zusammenstellen. Nicht ich. Deswegen muss ich gar nichts fordern oder bewerten. Wichtig ist nur, dass der Antrag schlüssig ist und über möglichst viele Beweisquellen verfügt, damit Karlsruhe darauf beruhend entscheiden kann. Bis jetzt steht nur eines fest: Die AfD ist ein rechtsextremistischer Verdachtsfall. Das ist schon ausgeurteilt. Wenn das Verwaltungsgericht in Köln entschieden hat, ob die Partei auch gesichert rechtsextremistisch ist, können darauf aufbauend Konsequenzen gezogen werden.

Sinan Selen ist in Istanbul geboren. Haben Sie die Hoffnung, dass unter seiner Ägide das BfV nicht mehr „auf dem rechten Auge blind“ ist, wie es oft hieß?

Der politische Vorwurf, dass diese Behörde auf dem rechten Auge blind ist, ist von mir lange Zeit bestätigt worden – auch anhand meiner eigenen Biografie. Schließlich hat man bei mir 30 Jahre alles gesammelt und musste sich hinterher von Karlsruhe sagen lassen, dass alles Sammeln von Anfang an verfassungswidrig war. Deswegen sage ich in aller Deutlichkeit und Klarheit: Mir ist der Geburtsort des Präsidenten völlig wurscht! Mir ist auch sein persönlicher Background völlig wurscht. Ich unterstelle erst einmal, dass ein Beamter wie er in der Lage ist, seine Aufgaben zu erfüllen – und zwar nach Recht und Gesetz.

Wenn wir permanent darüber räsonieren, ob Parteien durch den Verfassungsschutz überwacht werden sollen, ist das Wasser auf die Mühlen der AfD

2012 haben Sie mit der Linkspartei einen Antrag in den Thüringer Landtag eingebracht, wonach das Landesamt für Verfassungsschutz abgeschafft werden sollte …

Das hätten wir als Linke gerne gemacht – ja. Aber nicht ohne Grund! Ich erinnere nur an die „Affäre Trinkaus“: Der Neonazi Kai-Uwe Trinkaus hatte, obwohl er ein V-Mann des Thüringer Verfassungsschutzes war, über Jahre gezielt Abgeordnete der Linkspartei, von SPD und Grünen und den CDU-Abgeordneten und Chef des Thüringer „Bund der Vertriebenen“ Egon Primas diskreditiert. 2007 hat sogar der Stern auf Basis der Aussagen von Trinkaus behauptet, Linke und NPD würden irgendeine Form der Zusammenarbeit planen. Das waren die Lügen eines Mannes, der dafür auch noch vom Verfassungsschutz bezahlt wurde. Ein dermaßen unprofessionelles Verharren darf man von einem Landesamt niemals akzeptieren. Deswegen hätten wir die Behörde damals gerne abgeschafft und ihre hoheitlichen Aufgaben dem Innenministerium übertragen. Das haben wir später innerkoalitionär aber leider nicht durchbekommen.

Im Sommer haben einige wenige Politiker von CDU, FDP und Grünen gefordert, das BSW vom Verfassungsschutz beobachten zu lassen. Was halten Sie davon?

Die Debatte habe ich nicht mitbekommen. Aber ich äußere mich auch wenig zum BSW. Nur so viel: Wir müssen aufpassen! Wenn wir permanent aus dem politischen Raum anfangen, darüber zu räsonieren, ob Parteien durch den Verfassungsschutz oder eine vergleichbare Behörde überwacht werden sollen, ist das Wasser auf die Mühlen der AfD. Die kann dann sagen: Diese Behörden sind nur ein Instrument, um die Opposition zu verbieten. Daher halte ich von diesen öffentlichen Debatten nichts.

Sahra Wagenknecht fordert eine Neuauszählung der Bundestagswahl. Ihre Partei war mit 4,981 Prozent so knapp wie noch nie an der Fünf-Prozent-Hürde gescheitert. Es kam nachweislich zu Pannen bei der Auszählung. Sind Sie auch dafür, noch einmal nachzuzählen?

Ob ich dafür oder dagegen bin, spielt überhaupt keine Rolle. Die Landeswahlleiter haben die Eingaben von allen Parteien geprüft. Mir ist vom Landeswahlleiter in Thüringen bestätigt worden, dass sie noch nie so gründlich die Überprüfung gemacht haben. Ich habe keinen Zweifel, dass ein aus meiner Sicht glaubwürdiger Beamter mir eine korrekte Auskunft gegeben hat. Am Ende wurde das Ergebnis vom Landeswahlausschuss bestätigt. Insoweit hat am Ende Karlsruhe über die Beschwerden des BSW zu entscheiden – nicht ich.

Aber warum hat der Wahlprüfungsausschuss des Bundestages in dieser Sache noch keine Entscheidung getroffen? Die Wahl ist mittlerweile acht Monate her …

Weiß ich nicht. Ich gehöre dem nicht an und habe das nicht zu kommentieren.

Bodo Ramelow (geboren 1956) ist ein deutscher Politiker. Er war von 2014 bis 2020 und erneut von 2020 bis 2024 Ministerpräsident des Freistaats Thüringen – als erster und bislang einziger Regierungschef eines Bundeslandes aus den Reihen der Linken. Bei der Bundestagswahl 2025 zog Ramelow erneut in den Deutschen Bundestag ein und bekleidet seit März 2025 das Amt des Vizepräsidenten.

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