BMW-Chef Zipse im Interview: „Die Einführung des Verbrennerverbots war naiv“

Das erste Quartal zeigt allerdings auch bei BMW eine Delle. Viele Unternehmen, nicht nur aus der Autoindustrie, klagen über teure Energie, Bürokratie und schlechter werdende Rahmenbedingungen. Es ist gar von Deindustrialisierung die Rede. Und Sie sagen, es läuft alles rund?

Schauen Sie sich unsere Zahlen genau an: Das ungewöhnlich starke Vorjahresquartal verzerrt das Bild. Wir sind exakt in unserem Zielkorridor von 8 bis 10 Prozent Ebit-Marge – und das seit neun Quartalen. In dieses allgemeine Klagelied stimmen wir also ausdrücklich nicht ein. Das bedeutet nicht pauschal, dass es keinen Handlungsbedarf gibt. Aber diese Verallgemeinerung, alle stünden mit dem Rücken zur Wand, weil die Rahmenbedingungen so herausfordernd seien, stimmt einfach nicht. Das Wort Deindustrialisierung hören Sie von uns nicht. Denn bei BMW findet das Gegenteil statt: Wir investieren in Deutschland und schaffen Arbeitsplätze.

Die Konjunktur schwächelt, ein weiteres Jahr des Nullwachstums steht uns bevor. Das ist doch kaum erfreulich.

Nullwachstum mag unerfreulich sein – aber es ist noch lange keine Krise. Eine Krise ist, wenn Sie nicht mehr wissen, was Sie tun sollen.

Wird das Nullwachstum vielleicht als nicht so schlimm empfunden, weil es zu keiner Arbeitslosigkeit führt?

Der demographische Effekt verzerrt in der Tat den Arbeitsmarkt. Wir werden in Deutschland sogar noch dann Vollbeschäftigung haben, wenn die Wirtschaft schrumpft. Vollbeschäftigung bedeutet nicht automatisch Wohlstand für unser Land.

Die Ampelregierung will ein „Dynamisierungspaket“ für mehr Wachstum schnüren. Was müsste da drin sein?

Das klingt zunächst einmal gut. Aber eine Gesetzesinitiative allein erzeugt noch kein Wachstum. Ich habe manchmal die Sorge, dass es mehr um knackige und gut vermittelbare Begriffe statt um echte Wirksamkeit geht. Zum Beispiel: „Entbürokratisierung“. Bürokratie entsteht im Wesentlichen aus Gesetzen, und in keinem Land ist es einfach, Gesetze zurückzunehmen. Die Belastungen aus der Bürokratie können aber gelindert werden, indem Verwaltungsabläufe umfassend durchdigitalisiert, und damit Durchlaufzeiten verkürzt werden.

Was muss die Politik also tun?

Ich denke, die politische Debatte sollte sich weniger auf kontroverse und emotional belegte Triggerpunkte konzentrieren – ob das nun ein Heizungsgesetz ist, ein Tempolimit oder die Genderdebatte. Hier steht die mögliche Wirksamkeit nicht im Verhältnis dazu, wie sehr diese Themen die Gesellschaft emotionalisieren und damit großen Raum in der öffentliche Debatte einnehmen. Relevanter wäre es, dass die Politik sich klar und öffentlich zum Wirtschaftswachstum bekennt. Nachhaltiges und ökologisch verträgliches Wachstum, das wir benötigen, um unsere Sozialleistungen und Rentenpakete sowie den Kampf gegen den Klimawandel zu finanzieren. In Deutschland starten wir gerne bei Gesetzen und „Paketen“. Dabei ist in einem exportorientierten Land das Wachstum die Grundvoraussetzung für fast alles andere. Aber die öffentliche Aufmerksamkeit liegt vor allem auf den Triggerpunkten, die die gesellschaftliche Debatte spalten.

Ein Triggerpunkt für die Autoindustrie ist das Verbrennerverbot in der EU, also das De-facto-Verbot der Zulassung neuer Personenwagen mit Verbrennungsmotor vom Jahr 2035 an.

Aus unserer Sicht war schon die Einführung dieses Verbots naiv. Wir haben das von Beginn an klargemacht und dafür viel öffentliche Kritik einstecken müssen. Aber jetzt öffnen sich bei vielen Akteuren die Augen. In einer solchen Dimension Märkte regulieren zu wollen macht am Ende alles schlechter: die Wettbewerbsposition, die ökologische Wirkung und die Arbeitsplatzsicherheit. Wir erleben aktuell nur ein Vorspiel. Wenn das Regelwerk so bliebe, würde das eklatante Folgen für die industrielle Basis in Europa haben. Nach unserer Schätzung würde sich die Wertschöpfung der Automobilindustrie in etwa halbieren – mit entsprechenden Auswirkungen auf die Beschäftigung.

Im Jahr 2026 soll das Verbot noch mal überprüft werden. Rechnen Sie nach der Europawahl im Juni mit der Rücknahme?

Wer sich die Fakten anschaut, der sieht, dass eine Anpassung unumgänglich ist. Mit dem Aus im Jahr 2035 ist eine gesamte Industrie erpressbar geworden. Denn jeder internationale Wettbewerber, jeder Lieferant weiß: Die sind abhängig von einer einzigen Technologie. Damit hebeln Sie Marktmechanismen aus und machen zum Beispiel die dafür benötigten Rohstoffe deutlich teurer.

Die Autoindustrie ist für einen großen Teil der klimaschädlichen Emissionen verantwortlich. Wie soll der CO2-Ausstoß gesenkt werden, wenn auch nach 2035 weiter Verbrenner gebaut werden?

Bis heute hält sich die Annahme, der maximale ökologische Effekt sei erreicht, wenn der Neuwagenmarkt reguliert wird. Aber was ist mit den mehr als 250 Millionen Bestandsfahrzeugen mit Verbrennungsmotor in Europa? Dieser riesige Bestand älterer Fahrzeuge ist der Hauptemittent, er ist aber von der Regulierung gar nicht betroffen. Um ihn zu erreichen, müssen die Kraftstoffe mit einem anspruchsvolleren CO2-Ziel belegt werden. Die Mineralölindustrie müsste also die Beimischung CO2-armer oder -neutraler Kraftstoffe erhöhen. Aktuell sind deren Vorgaben im Vergleich zur Neuwagen-Regulierung aber sehr zurückhaltend. E-Fuels, E 25, HVO100, unsere Motoren sind dafür schon seit vielen Jahren ausgelegt. Gerade beim Thema HVO100 bekommen wir viele Anfragen von Flottenbetreibern, die damit den CO2-Ausstoß ihres Fuhrparks ohne große Investitionen um 90 Prozent senken könnten. Und bei der Neuwagen-Regulierung wäre es besser gewesen, die CO2-Emissionen in den Fahrzeugflotten nach dem Prinzip der ständigen Verbesserung jährlich um einen bestimmten Prozentsatz zu vermindern statt der stufenweisen Absenkung alle fünf Jahre. Irgendwann in den nächsten 20 Jahren erledigt der Markt dann die Transformation von ganz allein.

Hierzulande wachsen generell die Zweifel an der Elektromobilität. Und die Politik trägt ihren Teil dazu bei mit dem abrupten Ende der Förderung.

Wir haben damals davor gewarnt, diese direkte Kaufförderung einzuführen. Das Geld wäre in Ladeinfrastruktur besser angelegt. Aber das Ende der Förderung macht uns keine allzu großen Sorgen, in einem halben Jahr wird sich der Markt wieder normalisiert haben. Starke Produkte werden sich durchsetzen und den Elek­tromarkt deutlich wachsen lassen.

Die Gewinnung neuer Kunden ist auch deshalb schwierig, weil elektrische Neuwagen noch immer deutlich teurer sind als Verbrenner.

Der Gedanke hat eine noch größere Dimension. Verbrennungsmotoren können sie heute komplett in Europa fertigen – aber ein Hochvoltspeicher hat eine hohe globale Abhängigkeit. Die meisten Batterierohstoffe finden Sie hierzulande nicht, und vor allem hat Europa keine nennenswerte Rolle in deren weiterer Verarbeitungs- und Wertschöpfungskette. Ganz anders als China, das sich in diesem wichtigen Zweig global strategisch positioniert hat. Das wird sich selbst in zehn oder 15 Jahren nicht mehr signifikant verändern. Das ist ein wirtschaftspolitischer Aspekt, den man nicht ignorieren kann.

Das müsste die Politik aber doch wissen. Sind das also dieselben Politiker, die Ihnen das Aus für den Verbrennungsmotor vorgeschrieben haben, die Ihnen nun die Abkopplung von China nahelegen?

Ja, genau, die gleichen Politiker fordern jetzt Handelsbeschränkungen für chinesische Autohersteller. Das ist eine Absurdität. Damit läuft man Gefahr, dass der Handelspartner mit Gegenmaßnahmen antwortet. Vielleicht wird dann plötzlich die Verfügbarkeit essenzieller Rohstoffe für Elektrofahrzeuge schwieriger. Hier wird viel zu kurz gedacht.

Finden Sie in der Politik Gehör?

Im direkten Gespräch erlebe ich viel Verständnis. Aber wir brauchen ein generelles Bewusstsein für diese Widersprüche und die möglichen Konsequenzen. Als Dax-Konzern tragen wir Verantwortung und sehen bei uns daher auch die Aufgabe, unbequeme Themen anzusprechen, die weitreichende gesellschaftliche Folgen haben können.

Alle reden von den Chinesen, die den europäischen Markt mit günstigen Autos überschwemmen. Wird es so kommen?

Früher war es die Sorge vor den Japanern, dann den Koreanern. Und jetzt sind es die Chinesen. Aber deren Marktanteil in Deutschland liegt aktuell bei 0,8 Prozent. Da kann man doch nicht ernsthaft von „überschwemmen“ sprechen.

Nehmen Sie die etwa nicht ernst?

Natürlich nehmen wir neue Wettbewerber ernst. So wie auch jeder andere Hersteller weiß, dass BMW ein ausgesprochen ernst zu nehmender Wettbewerber ist. Wir beobachten die Entwicklungen in unserer Industrie sehr genau und lassen uns nicht von scheinbar eindeutigen Statistiken blenden. Ein Beispiel: Es stimmt, dass rund 20 Prozent der E-Autos in Europa 2023 aus China importiert wurden – aber weit mehr als die Hälfte davon stammt gar nicht von chinesischen Firmen. Sondern von westlichen Herstellern, die in China fertigen und zum Teil exportieren, so wie auch wir mit unserem BMW iX3.

Oliver ZipseJan Roeder

In Bremerhaven stehen ja offenbar massenweise chinesische Elektroautos, die hier noch keine Käufer finden. Was kommt da auf die heimische Autoindus­trie zu?

Haben Sie sich schon einmal einen chinesischen Hafen angesehen? Da sehen Sie lauter europäische Autos.

Die Hafenbetreiber sagen selbst, es seien ungewöhnlich viele, und die Standzeiten seien ungewöhnlich lang.

Das würde bestätigen, dass der Markteintritt für neue Hersteller eine Herausforderung ist und nicht über Nacht gelingt. Wenn jetzt europäische Hersteller nervös sind, hat das eher damit zu tun, dass strategische Fehler gemacht wurden: vor allem, alles auf eine Technologie zu setzen, auf das Elektroauto. Das entpuppt sich mehr und mehr als Fehleinschätzung. Aber diese Fehleinschätzungen können sie nicht auf chinesische Wettbewerber abwälzen.

Womit wir bei der Produktplanung wären. BMW bringt 2026 die Neue Klasse, eine reine Elektroplattform. Wenn bis dahin die Elektroautos immer noch nicht so gefragt sind: Wie kriegen Sie dann einen Verbrennungsmotor in die Neue Klasse?

Wir glauben fest an die Zukunft der E-Mobilität. Aber eben nicht ausschließlich. Die Neue Klasse ist nicht nur eine E-Plattform, sondern eine neue Architektur. Wir führen damit gleichzeitig vier neue Technologiecluster ein: für den elektrischen Antriebsstrang, für Fahrdynamik und automatisiertes Fahren, für das Bedienkonzept und für die gesamte Bordelektronik. Abgesehen vom Antriebsstrang werden wir diese Technologiecluster auch in alle anderen BMW-Modelle ausrollen – eben auch in die mit Verbrennungsmotor. Und andersherum werden wir auch in unserer flexiblen Architektur diesen elektrischen Antriebsstrang einsetzen.

Sie können das Design der Neuen Klasse über die Verbrenner stülpen?

Nicht nur das Design, sondern alle Technologien. Das ist technisch anspruchsvoll, aber wir wollen unseren Kunden immer die beste technologische Lösung und das BMW-typische Design bieten – unabhängig von Antriebsvariante und der zugrundeliegenden Architektur.

Mit einer solchen Modellpalette wird BMW wie viele Autos verkaufen?

Ich werde Ihnen keine Zahl nennen, ich versichere Ihnen aber: Wir haben eine sehr klare Wachstumsambition.

Gehören dazu auch noch Sechs- und Zwölfzylindermotoren, etwa für Rolls-Royce?

Unser Zwölfzylinder ist ein technisches Meisterwerk, dessen Zeit aber abläuft. Die Differenzierung entsteht bald ohnehin nicht mehr durch die Zylinderzahl, sondern vielmehr durch die Reichweite in Elektroautos. Und die wird einen Preis haben. Das ändert aber nichts an der Tatsache: Es wird auch 2035 noch Verbrennungsmotoren geben, und zwar sehr effiziente.

Noch mal ein kurzer Blick nach China, weil der Markt so bedeutend ist. Die jüngste Automesse in Peking hat gezeigt, dass die Chinesen den deutschen Autoherstellern die Schau stehlen. Sie waren auch vor Ort. Waren Sie beeindruckt?

Ich habe vielleicht ein anderes Bild: Man kann die Autoshow in Peking auch als eine Investoren-Messe ansehen. Dort zeigt eine ganze Reihe von Unternehmen ihre Ideen für Elektroautos – oft mit sehr prominenten Einzelfeatures. Aber die wenigsten verkaufen signifikante Stückzahlen oder verdienen mit diesen Autos Geld. Angesichts des Konsolidierungsdrucks im Markt sind viele schlicht auf der Suche nach Investoren.

Wer bleibt von den chinesischen Ausstellern übrig?

Das wird sich zeigen. Wir konzentrieren uns auf unseren Weg.

Es entsteht aber das Bild: China hält eine rauschende Automesse ab, und wir kriegen in Deutschland keine gescheite IAA mehr hin. Ist deren Zeit einfach vorbei?

Physische Messen sind alles andere als tot. Die IAA Mobility in München wird immer beliebter. Autoshows werden immer mehr zu Tech-Messen wie die CES in Las Vegas. Und München ist mit den attraktiven Ausstellungsflächen in der Stadt zusätzlich eine Bürgermesse geworden.

Eine letzte Frage, weil Audi gerade Nico Hülkenberg verpflichtet hat und Mercedes-Benz schon länger dabei ist: Wann steigt BMW in die Formel 1 ein?

Dazu gibt es keine Pläne. Natürlich ist Motorsport auf zwei und vier Rädern Teil unserer DNA, und wir feiern Erfolge in zahlreichen internationalen Wettbewerben. Aber die Formel 1 brauchen wir dafür sicher nicht.

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