Gleich in der ersten Folge von Slow Horses hält Jackson Lamb (Gary Oldman) vom britischen Inlandsgeheimdienst MI5 eine Motivationsansprache: „Ihr seid verdammt noch mal alle völlig nutzlos. Alle. Die Zusammenarbeit mit euch war für mich der Tiefpunkt einer enttäuschenden Karriere.“ Und das ist eigentlich noch eher aufmunternd gemeint von einem Mann, der als Anwärter auf die „World’s Best Boss“-Tasse in etwa so prädestiniert wäre wie der legendäre Politikberater Malcolm Tucker aus der Satire The Thick of It, der seine Mitarbeiter mit elaboriert vulgären Flüchen zu traktieren pflegte.
In der Welt der Fernsehserien scheint die Arbeitsmoral auf einem historischen Tiefstand angekommen. Von unterirdischer Willkommensbereitschaft bis zu empathielosen Firmenchefs – noch nie war es so unattraktiv, zur Arbeit zu gehen. Anstelle von lediglich stümperhaften Idioten als Chefs haben wir es mit lauter verquälten Genies und masochistischen Verrückten zu tun. Der Arbeitsalltag ist geprägt von hohen Risiken, langen Arbeitszeiten und bescheidener Belohnung – und weit und breit ist keine Personalabteilung in Sicht.
In Krimiserien wie Blue Lights schieben Polizeibeamte eine aufreibende Schicht nach der anderen, während britische Krankenhausserien wie Breathtaking eine noch härtere Variante des öffentlichen Diensts zeigen, wenn sie von den furchtbaren Erfahrungen von NHS-Mitarbeitern in der Pandemie erzählen. In WeCrashed, Super Pumped und The Dropout wurde, inspiriert von realen Ereignissen, das heimtückische Innenleben diverser Tech-Start-ups enthüllt und Succession machte selbst den echten Medienmogulen dieser Welt Angst.
In Hacks ließ die Star-Komikerin Deborah Vance (gespielt von Jean Smart) die für sie schreibende Autorin Ava (Hannah Einbinder) ein Mal einfach mitten in der Wüste zurück. Und in der ersten Staffel von The White Lotus musste man miterleben, wie der von Murray Bartlett verkörperte Hotelmanager dazu gebracht wurde, in den Koffer eines Gastes zu defäkieren. Im Vergleich dazu wirken die Werbeagentur in Mad Men und das Büro der Vizepräsidentin in Veep als Arbeitsplätze geradezu professionell. Und tatsächlich könnte es in diesem Jahr noch schlimmer kommen, kehren doch drei der toxischsten Arbeitgeber der Serienwelt zurück: die skrupellose Investitionsbank Pierpoint in Industry das nervenzerrüttende Restaurant The Bear und die hirnspaltende Firma „Lumon Industries“ von Severance.
Basierend auf den realen Erfahrungen der Autoren Konrad Kay und Mickey Down stürzte die HBO-Serie Industry seit der ersten Staffel von 2020 eine Gruppe junger Möchtegern-Banker in die Höhle der Löwen voller Soziopathen in Maßanzügen und Demütigungen in aller Öffentlichkeit. Abgesehen vom enormen Druck, beim Bewegen von Millionen die Nerven behalten zu müssen, ist Pierpoint für die jungen Menschen der Ort, an dem ihre inneren Dämonen gedeihen, während sich äußere an ihnen weiden. Hier gibt es Drogenmissbrauch, psychosexuelle Rollenspiele, Insiderhandel und eine Weihnachtsfeier, bei der ein zugedröhnter Finanzlehrling wiederholt in ein Fenster rennt, ohne zu bemerken, dass er längst blutet. Im Zentrum von Industry steht eine pervertierte Mentor/Mentee-Beziehung, nicht unähnlich der von Tom (Matthew McFadyen) und Greg (Nicholas Braun), den „Disgusting Brothers“ aus Succession. Der Baseballschläger schwingende Vorgesetzte Eric (Ken Leung) und die ehrgeizige Harper (Myha’la Herrold) haben sich zwar (noch) nicht mit Wasserflaschen beworfen, aber sie sind sich schon so oft gegenseitig in den Rücken gefallen, dass ihre Savile-Row-Anzüge eigentlich völlig zerfetzt sein müssten.
Die direkten Vorgesetzten von Industry und Slow Horses mögen schrecklich sein, die wahren Bösewichte aber sitzen in der Führungsetage. Wie Eric auf die harte Weise herausfinden musste, schert sich die Pierpoint-Bank einen Dreck um seine jahrelange aufopferungsvolle Arbeit. Und dabei kann er sich noch glücklich schätzen: Beim MI5 von Slow Horses versuchen die hohen Tiere sogar mehrfach ihre Untergebenen umzubringen, nur um die eigene Haut zu retten.
In der Restaurantwelt von Chicago steht weniger auf dem Spiel, aber das macht die Sache nicht weniger spannend. Angeblich soll der in ein Gourmet-Haus verwandelte Imbiss in The Bear einen Gegenentwurf darstellen zu den Sterneküchen mit ihren rituellen Misshandlungen, aber das Streben nach Perfektion bietet viele Gelegenheiten, um andere zu demütigen und zu beleidigen. Inmitten von scharfen Klingen, heißen Pfannen und kochenden Soßen bleibt keine Zeit für Nettigkeiten. Als Souschefin Sydney (Ayou Edebiri) in der ersten Staffel versehentlich ein Messer in den Hintern ihres Kollegen Richie rammt, stellt Carmy keine Nachfragen, sondern kommentiert nur: „Wahrscheinlich hat er es verdammt noch mal verdient.“ In der zweiten Staffel lernen Carmy und Sydney immerhin, wie man sich in Zeichensprache entschuldigt. Gleichzeitig aber wird Sydney nicht einmal mehr bezahlt; ihr Gehalt „pausiert“, während das Geschäft wieder auf die Beine kommen soll. Die Arbeit mag repetitiv sein und die Arbeitszeiten anstrengend, aber das vielleicht größte Warnsignal ist, wenn ein Unternehmen wie eine Familie geführt wird und nicht wie ein … nun ja, ein Arbeitsplatz.
In der 2022 gestarteten AppleTV+-Serie Severance investieren die Arbeitnehmer gar nicht mehr die eigene Zeit, sondern sie geben gleich ihren Verstand auf. Wortwörtlich. Nach einem Eingriff, bei dem ihr Arbeits- und ihr privates Gedächtnis getrennt wurden, arbeiten sie nun mit einem doppelten Bewusstsein: als „Innies“, die nichts anderes als den Arbeitsalltag kennen, und als „Outies“, die sich nicht mehr ans Büro erinnern. Das Konzept der Work-Life-Balance hat sich aufgelöst, und die Arbeit wird als so belastend empfunden, dass eine Gehirnoperation die einzige Möglichkeit scheint, um damit fertigzuwerden. Auch wenn die Mitarbeiter von Severance ihre Horrorgeschichten aus dem Büro nicht mit nach Hause nehmen, sind die Dinge doch nicht weniger schrecklich. Das Missbrauchspotenzial scheint geradezu unerschöpflich. Wer braucht ein juristisches Team, das mit Verschwiegenheitsverpflichtungen herumwedelt, wenn die Mitarbeiter jenseits der klapprigen Wände ihrer Arbeitskabinen gar keinen Alarm schlagen können?
Aber vielleicht gibt es Hoffnung. Wir warten auf die zweite Staffel von Severance, um herauszufinden, ob die versuchte Meuterei der Innies erfolgreich war, und auf die dritte Staffel von The Bear, um zu erfahren, ob Carmy und die Küchenbrigade endlich einander so viel Respekt entgegenbringen, wie sie es gegenüber einer perfekten Spaghettisauce tun. Keine Hoffnungen darf man sich für die jungen Leute in Industry machen: Ihre Seelen waren schon in dem Moment verloren, als sie durch die Drehtüren der Pierpoint-Bank traten.
Miese Arbeitgeber
Die dritte Staffel von The Bear wurde in den USA bereits im Juni veröffentlicht, bei uns startet sie am 14. August auf Disney+. Carmy und Sydney kämpfen dann um einen Michelin-Stern. Die neue, vierte Staffel von Slow Horses mit Gary Oldman als groteskem Vorgesetzten einer Gruppe von gescheiterten Spionen des MI5 wird es ab 4. September auf AppleTV+ geben. Als Vorlage dient der vierte Band der Spionageserie des britischen Autors Mick Herron, Spook Street. In der dritten Staffel der BBC2/HBO-Serie Industry wird unter anderem Kit Harington als Vorgesetzter einer Bank in Erscheinung treten. Sie startet in den USA am 11. August; das deutsche Startdatum hat Sky noch nicht veröffentlicht. Die zweite Staffel der AppleTV+-Serie Severance mit Adam Scott und John Turturro wurde im April abgedreht und soll spätestens im Oktober starten. Barbara Schweizerhof