Mit einem Zukauf in China treibt Biontech seine Onkologie-Strategie zur Entwicklung neuartiger Kombinationstherapien gegen Krebs voran. Für stattliche 800 Millionen Dollar sowie mögliche Meilensteinzahlungen von bis zu 150 Millionen Dollar übernehmen die Mainzer das Biotechnologieunternehmen Biotheus, wie die Unternehmen am Mittwoch mitteilten. Biotheus ist auf die Entwicklung von Therapien für Krebs- und Autoimmunerkrankungen spezialisiert und für Biontech damit so interessant, dass Konzernchef Uğur Şahin dafür die bisher größte Transaktion der Firmengeschichte tätigt.
Für die Mainzer ist die Übernahme gleich auf mehreren Ebenen ein strategisch wichtiger Schachzug. Zum einen sichert sich Biontech damit die weltweiten Rechte an seinem bislang mit Biotheus in einer strategischen Partnerschaft entwickelten Wirkstoffkandidaten BNT327. Der bispezifische Antikörperkandidat ist eine Art der Krebsimmuntherapie. Er soll eine zentrale Rolle in dem von Biontech verfolgten Behandlungsansatz mit Kombinationstherapien spielen, wie Konzernchef Şahin der F.A.Z. in einem Interview im Spätsommer sagte. Biontech untersucht den Kandidaten schon in mehreren klinischen Studien, darunter zur Behandlung von Brustkrebs, Lungenkrebs und soliden Tumoren. Bislang verfügten die Mainzer allerdings nur über die Rechte außerhalb Chinas, jetzt kommt dieser lukrative Markt noch hinzu.
Großes Potential für neuen Behandlungsstandard
Außerdem habe BNT327 das Potential, gleich in mehreren onkologischen Indikationen einen neuen Behandlungsstandard zu setzen, der über die traditionellen Checkpoint-Inhibitoren hinausgeht, sagte Şahin am Mittwoch. Checkpoint-Inhibitoren sind eine Form der Immuntherapie, die in der Behandlung von Krebs bereits eingesetzt wird. Schafft BNT327 es bis zur Zulassung, könnte Biontech damit schnell in den breiten Markt der Checkpoint-Inhibitoren vorstoßen, der nach Angaben einer Unternehmenssprecherin jährlich 45 Milliarden Dollar umsetzt. Ein wichtiges Präparat ist dort das Krebsmittel Keytruda vom US-Konzern Merck & Co. – das derzeit umsatzstärkste Medikament der Welt.
Die volle Kontrolle über die Entwicklung des Antikörpers in Kombination mit Chemotherapie zu haben, sei daher der zentrale Treiber für die Übernahme von Biotheus gewesen, heißt es in Mainz. Noch in diesem und im kommenden Jahr sollen mehrere zulassungsrelevante Studien in verschiedenen Indikationen solider Tumoren starten. Darüber hinaus sind weitere klinische Studien geplant, um den Antikörper in Kombinationsmöglichkeiten mit anderen Wirkstoffkandidaten von Biontech zu evaluieren, wie etwa dem Antikörper-Wirkstoff-Konjugat BNT325, das Biontech gemeinsam mit dem chinesischen Partner Duality Bio entwickelt. Dieses ist ein weiterer vielversprechender Kandidat in Biontechs inzwischen auch durch Zukäufe gut gefülltem Onkologie-Baukasten.
Außerdem erkauft sich Biontech mit der Übernahme eine stärkere Präsenz in China. Bisher sind die Mainzer nur mit einem kleinen Büro und einem Dutzend Mitarbeitern in Shanghai vertreten. Mit dem Kauf von Biotheus kommen neben der Produktpipeline des bisherigen Partners ein Forschungs- und Entwicklungszentrum für klinische Studien, eine Produktionsanlage für biologische Präparate sowie mehr als 300 erfahrene Mitarbeiter vor Ort hinzu.