Bezahlbare Miete: Streitgespräch zwischen Grünen-Vorsitzendem und Vonovia-Chef

Herr Buch, Herr Nouripour, bei der Europawahl haben mehr junge Leute Protestparteien gewählt als erwartet. Hat die Unzufriedenheit auch damit zu tun, dass gerade Jüngere keine bezahlbare Wohnung mehr finden?

Nouripour: Das war nicht das einzige Thema, aber offensichtlich ein großes. Wer heute zwanzig Jahre alt ist, musste wegen der Lockdowns in einer wichtigen Lebensphase auf soziale Kontakte verzichten. Und die Inflation hat gerade auf Jüngere den Druck erhöht, die Diskussion über eine Dönerpreisbremse hat ja durchaus einen ernsthaften Hintergrund. Dann wollen die jungen Leute von ihren Eltern weg – und als Erstes erleben sie, dass sie keine bezahlbare Wohnung finden. Das ist natürlich frustrierend.

Buch: Es gab mal das Versprechen: Wenn du eine ordentliche Ausbildung machst, kannst du selbstbestimmt leben. Das gilt nicht mehr. Meine Tochter ist Uni-Absolventin und hat ein gutes Einkommen, aber sie hat in Frankfurt keine Wohnung gefunden. Als sie endlich ein Angebot bekam, wollte die Vermieterin keine Berufsanfänger haben. Also musste ich meinen Gehaltsnachweis bringen und die Wohnung für meine Tochter mieten. Eine Wohnung in der Stadt bekommt man also oft nur noch, wenn man einen Elternteil mit guter Bonität hat. Das spaltet die Gesellschaft.

Nouripour: Wir haben ja eine Mietpreisbremse. Aber auch die hat Lücken: In Frankfurt wird inzwischen ein Drittel der Wohnungen möbliert vermietet, da greift sie nicht. Darüber sprechen wir gerade in der Koalition.

Buch: Aber wenn Sie noch mehr regulieren, nützt das auch nicht. Da entsteht ein legaler Schwarzmarkt, und das hat auch mit der Mietpreisbremse zu tun.

Es hilft der Berufseinsteigerin auch nicht, wenn die Miete zwar gedeckelt ist, sie die Wohnung aber nicht bekommt.

Nouripour: Das stimmt. Deshalb müssen Wohnungen gebaut werden, wo das möglich und sinnvoll ist. In Frankfurt, wo ich herkomme, ist das seit zehn Jahren das große Thema. Das geht nicht von heute auf morgen.

Sie haben 400.000 Wohnungen im Jahr versprochen, nächstes Jahr werden wohl nur 200.000 gebaut.

Nouripour: Ich verstehe, dass den Leuten die Geduld ausgeht. Die Ursachen kann man präzise beschreiben: die gestiegenen Preise und die höheren Zinsen. Nach fast drei Jahren Regierungszeit müssen wir feststellen: Wir sind weit vom Ziel entfernt, und das müssen wir natürlich auch mit der zuständigen Ministerin diskutieren.

Buch: Die 400.000 Wohnungen kamen aus einer anderen Welt. Damals hatten wir nur ein Problem, die verschleppten Baugenehmigungen. Jetzt kommen die Kosten dazu. Wenn ich 5000 Euro Baukosten pro Quadratmeter habe und vier Prozent Zinsen an die Bank zahle, dann brauche ich 18 Euro Miete pro Quadratmeter, und das können sich viele Menschen nicht leisten. Da baut man lieber nicht. Jetzt haben wir nur drei Chancen: die staatliche Förderung erhöhen, die Baukosten senken oder das pauschal angewendete Mietrecht sozialer gestalten. Starke Schultern müssen mehr tragen als schwache. Es gibt keinen Grund, warum jemand mit meinem Einkommen von der Mietpreisbremse profitiert.

Also mehr Sozialwohnungen?

Buch: Da wird schon viel gemacht. Wir brauchen vor allem die Preislage knapp oberhalb der Sozialwohnungen, in Berlin sind das neun oder zehn Euro pro Quadratmeter. Da fehlt es am meisten. Ich war ein Verfechter der temporären Mietpreisbremse, aber nach vielen Jahren kann man die marktverzerrende Wirkung gut sehen. Sie erwähnten die möblierten Wohnungen, Sie können auch die illegalen Untervermietungen nehmen. Mit der Mietpreisbremse lösen Sie das Problem nicht, Sie verschärfen es. Zusätzlich müssen die Bauvorschriften gelockert werden. Und der Staat muss verbilligte Kredite anbieten.

Nouripour: Es ist absehbar, dass die Zinsen wieder sinken, und die Energiepreise als Treiber der Inflation gehen auch zurück. Aber es fehlen Arbeitskräfte, und in manchen Bereichen fehlt noch Material. Genehmigungen brauchen zu lange, weil Behörden oft unterbesetzt und nicht ausreichend digitalisiert sind.

Könnte man die Behörden nicht auch entlasten, indem man das Baurecht entschlackt?

Nouripour: Darüber können wir reden. Aber der erste Schritt ist die Digitalisierung. Damit die Beamten nicht in den Keller gehen müssen, um eine Akte zu suchen. Wenn man beispielsweise illegale Ferienunterkünfte im eigenen Haus melden will, heißt es auf dem Amt: Wir können uns darum nicht kümmern, wir haben zu wenig Leute.

Die Baukosten haben auch mit Ökologie zu tun. Muss Klimaschutz das Bauen so teuer machen?

Nouripour: Wir wollen verhindern, dass die Leute in eine Kostenfalle laufen, denn: Ab 2027 wird das Heizen mit Öl und Gas durch den europäischen Emissionshandel substanziell teurer. Gleichzeitig wollen wir dabei niemanden überfordern. Deshalb haben wir zum Beispiel den Effizienzhaus-40-Standard vorerst aufgeschoben. Der gibt vor, wie energieeffizient ein Gebäude sein muss.

Buch: Der Energieverbrauch muss runter, da gibt’s keine Diskussion. Vor zehn Jahren hatte jede vierte Vonovia-Wohnung einen schlechten Energiestandard, heute ist es nicht mal mehr jede dreißigste. Die vielen Mieter, die jetzt in einem sanierten Gebäude wohnen, haben den Energiepreisschock viel weniger gespürt. Wir müssen aber aufhören mit detaillierten Vorschriften wie dem Heizungsgesetz. Jedes Haus ist anders. Die CO2-Emissionen müssen runter, aber wie, da sollen die Hauseigentümer selbst entscheiden, was am sinnvollsten ist. Bei uns machen das auch nicht wir in der Zentrale in Bochum, das machen die Kolleginnen und Kollegen vor Ort.

Nouripour: Genau aus diesem Grund haben wir kein Wärmepumpengesetz gemacht, sondern ein Gebäudeenergiegesetz, das neun verschiedene Heizungsformen erlaubt! Und das Ganze basiert auf der kommunalen Wärmeplanung.

Buch: Die erste Version des Heizungsgesetzes hätten Sie trotzdem nicht machen müssen.

Nouripour: Es ist doch üblich, dass das Parlament Gesetze verbessert, die die Regierung vorlegt.

Herr Buch, Sie haben sich gerade selbst für Ihre Modernisierungen gelobt. Im Gegenzug sind Ihre Mieten stärker gestiegen als im Bundesschnitt.

Buch: Nicht stärker als der Bundesschnitt. Aber natürlich steigen die Mieten durch die Modernisierungsumlage. Trotzdem bleibt die Warmmiete in vielen Fällen gleich, weil der Mieter im Gegenzug an den Energiekosten spart.

Nouripour: Sind bei Ihnen nicht auch die Nebenkosten stark gestiegen?

Buch: Für uns sind die Nebenkosten ein durchlaufender Posten. Wir bekommen die Rechnung von den Versorgern und verteilen sie auf die Mieter. Da sitzen wir mit den Mietern in einem Boot. Unser Interesse ist, dass die Miete in Summe möglichst attraktiv ist, die Kundinnen und Kunden schauen auf die Warmmiete. Bei der Fernwärme stellen viele Versorger ihre Rechnungen auf Basis der kurzfristigen Energiepreise, mit starken Ausschlägen nach oben – selbst wenn sie den Brennstoff sehr viel günstiger eingekauft haben. Das geht nicht, da braucht es Regulierung.

Nouripour: Deshalb wollen wir für mehr Transparenz bei den Nebenkostenabrechnungen sorgen, um solche Aufschläge aufzudecken.

Herr Nouripour, in Ihrem letzten Wahlprogramm haben Sie gefordert, die Modernisierungsumlage auf 1,50 Euro pro Quadratmeter zu begrenzen. Gilt das noch?

Nouripour: Das ist drei Jahre her, damals waren die Kosten noch viel niedriger.

Das heißt, der Plan ist weg?

Nouripour: Er ist nicht weg, aber natürlich schauen wir, was heute möglich ist. Es gibt in diesem Land nicht nur Mieterschutz, es gibt auch Vermieterschutz.

Sind Sie sich da einig: mehr sanieren, mehr auf die Mieter umlegen?

Nouripour: Moment! So einfach ist es nicht.

Buch: Mehr sanieren, da sind wir uns einig. Im jetzigen Tempo werden wir die Klimaziele nicht einhalten. Da geht es nicht nur um politische Vorgaben. Wenn wir als Vonovia den Klimapfad verfehlen, werden unsere Kredite teurer.

Nouripour: Wir machen auch als Staat einiges! Bund und Länder investieren in sechs Jahren 45 Milliarden Euro in den sozialen Wohnungsbau.

Buch: Unsere Rechnung ist: Die 400.000 neuen Wohnungen kosten 100 Milliarden Euro pro Jahr, die energetische Sanierung kostet 120 Milliarden Euro pro Jahr. In den nächsten zehn Jahren müssen also zwei bis drei Billionen Euro investiert werden. Es ist eine Illusion zu glauben, dass das Geld vom Staat kommen kann. Sie werden das Thema nur lösen, indem der Kapitalmarkt das Geld bereitstellt. Deswegen muss dieses Land endlich verstehen, dass die Kapitalmärkte nicht gut oder böse sind, sondern emotionsfrei und der Ort, wo viele Pensionäre Geld anlegen.

Oha, das klingt ganz schön emotional!

Buch: Ich selbst bin nicht emotionsfrei, die Kapitalmärkte sind es. Deshalb werden wir in Deutschland lernen müssen, dass die Verzinsung nicht vom Bundeskanzler festgelegt werden kann.

Nouripour: Und die genannten Zahlen betreffen ja nur die Baubranche. Es stimmt, die öffentliche Hand kann nur einen Teil davon aufbringen. Aber es geht nicht nur um den Leitzins, wir müssen auch mehr privates Kapital mobilisieren. Da würde im Übrigen eine echte Kapitalmarktunion in Europa helfen. Das ist eine dringende Aufgabe für die neue EU-Kommission.

Herr Buch, machen Sie es sich nicht sehr leicht zu sagen: Der Neubau rechnet sich nicht, also lassen wir’s?

Buch: Klar, auch wir als Auftraggeber sind gefordert, die Baukosten zu senken. Da geht es um Themen wie serielles Bauen. Und um die Baustandards. Schon die Gebäude von vor zehn Jahren wären heute nicht mehr genehmigungsfähig, diese schöne grüne Parteizentrale aus der Gründerzeit erst recht nicht.

Apropos, Herr Nouripour, ist Ihre Pannen-Wärmepumpe hier in der Parteizentrale endlich in Betrieb?

Nouripour: Ja. Und zur Vollständigkeit: Es handelt sich um eine Geothermie-Anlage, das hat eine andere Komplexität. Auch hier übrigens das Problem: Das hatte auch mit den langwierigen Genehmigungsverfahren zu tun.

Buch: Geothermie mitten in der Stadt ist auch ein mutiges Projekt. Aber zurück zur Ausgangsfrage. Wir müssen mit den Baustandards runter. Nicht beim Klimaschutz, aber bei anderen Themen. Dafür brauchen wir aber ein Gesetz. Heute muss der Bauunternehmer unterschreiben, dass er den neuesten Stand der Technik liefert. Es muss möglich sein, als Auftraggeber bewusst Abstriche zu machen.

Herr Nouripour, Ihre Parteifreunde im Land Berlin wollen nach wie vor die Wohnungskonzerne enteignen.

Nouripour: Es gibt im Grundgesetz In­strumente für den äußersten Notfall, von denen niemand Gebrauch machen will.

Wirklich niemand?

Nouripour: Das Thema ist, wie wir ausreichend bezahlbaren Wohnraum auf den Markt bekommen. Da sind die In­strumente noch bei Weitem nicht ausgeschöpft. Am Ende hilft nur Bauen, Bauen, Bauen.

Da würde es auch helfen, das Tempelhofer Feld zu bebauen?

Nouripour: Wenn ich mich recht entsinne, wurde das in einer Volksabstimmung abgelehnt.

Dafür hatten sich damals auch die Berliner Grünen ausgesprochen.

Nouripour: Ich kann hier meine persönliche Meinung kundtun, aber Plebiszit-Ergebnisse sind einzuhalten.

Buch: Zum Tempelhofer Feld habe ich einen Vorschlag. Da gibt’s immer noch die betonierten Start- und Landebahnen. Wir könnten diese Flächen begrünen und im Gegenzug dieselbe Zahl von Quadratmetern am Rand mit Wohnungen bebauen.

Nouripour: Dann beantragen Sie dafür doch eine Volksabstimmung!

Begehrt sind vor allem bestimmte Stadtteile wie Berlin-Kreuzberg, München-Haidhausen oder das Frankfurter Nordend. Die lassen sich aber nicht vervielfachen.

Nouripour: Man kann verdichten, und man kann Büroflächen umwidmen, die wegen des verstärkten Homeoffice nicht mehr gebraucht werden. Aber natürlich gibt es Orte, die attraktiver sind. Dass die Leute dort nicht alle wohnen können, ist klar. Deshalb müssen wir die Attraktivität anderer Orte mehr herausstellen, etwa durch eine bessere Infrastruktur im ländlichen Raum . . .

. . . wo die Leute oft das entgegengesetzte Problem haben, dass ihr Haus immer weniger wert wird.

Buch: Sie können den Menschen aber nicht vorschreiben, wo sie wohnen müssen. Natürlich kann nicht jeder in Kreuzberg leben, das geht einfach ganz praktisch nicht. Das kann nur ein Preismechanismus steuern – allerdings sozial abgefedert, wir wollen keine Londoner Verhältnisse.

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