Bessere Versorgung: Die digitale Patientenakte wird scharf gestellt

Wenige Tage bevor es ernst wird mit der elektronischen Patientenakte „ePA“, ist die Mehrheit der Patienten und Ärzte halbwegs gut darauf vorbereitet. Es gibt aber noch Unsicherheiten und technische Schwierigkeiten. Diese werden sich bis Mittwoch nicht ausräumen lassen. Schon vom 1. Oktober an sind alle Mediziner und Apotheker verpflichtet, die individuellen elektronischen Datensammelstellen der Patienten zu befüllen, welche die Krankenkassen für mehr als 70 Millionen Versicherte vorbereitet haben. Doch noch bleibt etwas Zeit, die letzten Hürden zu überwinden: Denn erst im neuen Jahr drohen Sanktionen, wenn Praxen, Krankenhäuser oder Pharmazeuten die ePA nicht nutzen.

Niedergelassene Ärzte können vom 1. Januar an bestraft werden, Kliniken von März an. Möglich sind Honorarkürzungen um ein Prozent sowie eine Reduktion der Pauschale für die Telematikinfrastruktur. Sollte eine medizinische Einrichtung ihre Software weiterhin ohne zertifiziertes ePA-Modul betreiben, kann bei fortdauernder Verweigerung ein kompletter Abrechnungsausschluss drohen.

In der Akte werden künftig Medikamentenpläne, Befunde, Arztbriefe oder Laborergebnisse gespeichert. Der Patient kann selbst entscheiden, welcher Leistungserbringer Zugriff auf welche Informationen erhält. Er kann auch der Akte vollständig widersprechen, muss dies aber aktiv in seiner Kasse anmelden.

Akte wird von Patienten noch wenig genutzt

Die Betroffenen sehen den neuen Verfahren optimistisch entgegen, kennen sich damit oft aber nicht aus und nutzen die Möglichkeiten entsprechend wenig. Die Allgemeinen Ortskrankenkassen (AOK) haben nach eigenen Angaben etwa 25,8 Millionen ePA-Konten eingerichtet. Nur etwas mehr als vier Prozent der Versicherten hätten der Erstellung widersprochen. Aber gerade einmal 265.000 Patienten, also nur ein Prozent der Freigeschalteten, haben sich sogenannte persönliche Gesundheits-IDs angelegt, um Zugriff auf ihre Akten zu erhalten. Im August galten lediglich 70.000 AOK-Versicherte als aktive Nutzer, jeder von ihnen greift im Durchschnitt zweimal im Monat darauf zu.

Eine neue Forsa-Umfrage im Auftrag des AOK-Bundesverbands ergab am Montag, dass mehr als die Hälfte der Befragten sich wenig oder gar nicht gut über die ePA informiert fühlen. 84 Prozent der Versicherten, die im laufenden Jahr beim Arzt waren, gaben an, dass die Akte dort nicht Thema gewesen sei. Nur neun Prozent wurden dort darauf angesprochen, sechs Prozent schnitten die Frage selbst an. Dabei zeigen 88 Prozent Interesse daran, ihre Gesundheitsdaten in der Cloudlösung einzusehen, 63 Prozent wollen selbst Dokumente dort hochladen und den Behandlern zur Verfügung stellen.

Ältere setzen sich häufiger mit ePA auseinander

Dass die Ärzte jetzt die Akte verpflichtend befüllen müssen, unterstützen ebenfalls mehr als 80 Prozent. 92 Prozent wünschen sich, dass ihre Krankenkasse sie über die Akte informiert, dahinter folgen das Bundesgesundheitsministerium, die Praxen und die Medien. AOK-Verbandschefin Carola Reimann wies darauf hin, dass sich der Umfrage zufolge ältere Menschen, die häufiger zum Arzt gingen, häufiger mit der neuen Akte auseinandersetzten als jüngere. Mit der jetzt verpflichtenden Befüllung durch die Ärzte dürften aber immer mehr Personen damit in Kontakt kommen: „Die Nutzung der elektronischen Patientenakte dürfte schnell zu einer selbstverständlichen Routine werden.“

Gesundheitsministerin Nina Warken (CDU) hat die elektronische Patientenakte unmittelbar vor ihrer verpflichtenden Nutzung durch alle Ärzte gelobt. „Der Mehrwert der ePA ist unbestritten“, sagte sie der F.A.Z. „Dadurch steigern wir die Effizienz und die Patientensicherheit.“ 90 bis 95 Prozent der Praxen könnten die Akte nutzen: „Die ePA kommt als Kernstück der Digitalisierung im Gesundheitswesen immer breiter zum Einsatz.“ Sie helfe auch bei der Patientensteuerung.

Laut einer Umfrage der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) nutzten bisher 60 Prozent der Praxen die ePA. „Nun sind etwa 90 Prozent ,ePA-ready‘, die Praxen sind Vorreiter in Sachen Digitalisierung“, sagt KBV-Vorstand Sibylle Steiner. Von den Kliniken seien hingegen nur neun Prozent zum 1. Oktober auf die Neuerung vorbereitet, zum Jahresende 42 Prozent. Bundesärztekammerpräsident Klaus Reinhardt bestätigte am Montag, die Systemumstellung in den Kliniken sei besonders kompliziert, „sodass viele Häuser die ePA zum Starttermin voraussichtlich noch nicht einsetzen können“.

„In vielen Fällen mangelhaft“

Laut KBV-Umfrage sieht eine Mehrheit der Praxen mit ePA-Nutzung im Zugriff auf Medikationslisten oder andere Dokumente einen Nutzen. Probleme bereiten die Praxisverwaltungssysteme, jeweils 40 Prozent der ePA-Nutzer sind damit zufrieden beziehungsweise unzufrieden. Drei Viertel meldeten technische Schwierigkeiten mit der Akte. Fast 60 Prozent der Praxen ohne ePA-Anbindung führten an, der Aufwand sei höher als der Nutzen. Steiner kritisierte die geplanten Sanktionen: „Es kann nicht sein, dass die Praxen bestraft werden, wenn Hersteller der Softwaresysteme es nicht rechtzeitig schaffen, Module für den ePA-Einsatz bereitzustellen.“

Markus Beier, Vorsitzender des Hausärztinnen- und -ärzteverbands, bestätigt diese Haltung. Die ePA sei sinnvoll und habe enormes Potential. „Aber die Umsetzung durch die Gematik – die Bundesgesellschaft für Telematik –, die Krankenkassen und die Industrie ist auch nach unzähligen Jahren der Vorbereitung in vielen Fällen mangelhaft.“ Für die Patienten sei der Registrierungsprozess zu kompliziert, die Krankenkassen informierten sie zu wenig. Noch sei die Akte zudem eine „PDF-Sammlung“ ohne Volltextsuche. Nicht einmal ein digitaler Impfpass sei verfügbar.

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