Beschleunigt sich die Erderwärmung?

Stand: 25.09.2025 00:59 Uhr

Ein Bericht deutscher Wissenschaftler macht auf eine mögliche Beschleunigung des Klimawandels aufmerksam. Das hätte gravierende Auswirkungen. Doch Forschende sind sich dazu uneinig.

Von Annika Frank und Verena Mischitz, WDR

Die Folgen der Erderhitzung bekommt auch Deutschland immer häufiger zu spüren: Dürreperioden, Hitzewellen, Starkregenereignisse. Daher haben sich vor zehn Jahren 195 Staaten darauf geeinigt, die Erwärmung zu begrenzen, auf möglichst unter zwei Grad bis zum Ende des Jahrhunderts.

Nun warnen führende Meteorologen, dass sich die Erde viel stärker und vor allem schneller erhitzen könnte, als bisher von Forschern erwartet. „Wir können wirklich nicht mehr ausschließen, dass wir 2050 drei Grad globale Erwärmung bekommen“, sagt Frank Böttcher, Vorsitzender der Deutschen Meteorologischen Gesellschaft (DMG). Gemeinsam mit der Deutschen Physikalischen Gesellschaft (DPG) haben die beiden Gesellschaften einen Bericht veröffentlicht, der auf eine mögliche Beschleunigung der Erderhitzung hinweist und ein drängender Aufruf zu mehr Klimaschutz ist.

Auch Klimaphysiker Helge Gößling vom Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI), hält eine Erwärmung um drei Grad Celsius bis 2050 nicht für unmöglich – „aber doch für sehr unwahrscheinlich“. Er ist nicht Teil des Aufrufs. Für einen solchen Fall müssten wohl mehrere „worst cases“ zusammentreffen, sagte Gößling dem Science Media Center.

Geht alles schneller?

In den vergangenen Jahren wurde immer wieder diskutiert, ob der Klimawandel an Tempo zulegt. Im vergangenen Jahrzehnt reihte sich Temperaturrekord an Temperaturrekord, die Ozeane waren so warm wie nie seit Beginn der Aufzeichnungen. Gleichzeitig werden die Auswirkungen dieser Erwärmung spürbarer: Mehr Hitzetage, Starkregen, Dürren. „Die beobachtete Welt ist bereits ein Stück weit extremer geworden“, sagt Peter Hoffmann, Meteorologe und Wissenschaftler am Potsdam Institut für Klimafolgenforschung (PIK).

Ein Grund für einen beschleunigten Klimawandel könnten weniger Wolken und saubere Luft sein. Denn wenn weniger Aerosole in der Luft sind, können die Strahlen der Sonne die Erde stärker erwärmen. Bisher dienten die Meere als Puffer, in dem sie das meiste CO2 aufnahmen, doch weil der CO2-Gehalt so stark gestiegen ist und sich nun auch die Meere stark erhitzen, funktioniert dieser natürliche Speicher nicht mehr so gut.

Möglich ist auch, dass das Klimasystem sensibler auf die Erwärmung und die Treibhausgase reagiert als gedacht. Denn das Zusammenspiel zwischen Atmosphäre, Erdoberfläche und den Meeren ist extrem komplex und nur schwer ganz exakt in den Klimamodellen darzustellen. Möglicherweise nähert sich das Klima auch sogenannten Kippelementen, die zu unumkehrbaren Veränderungen im System führen könnten, viel schneller als vermutet. Diese Entwicklungen könnten dazu geführt haben, dass es in den vergangenen zehn Jahren schneller warm geworden ist, als in den Jahrzehnten zuvor.

Expertinnen und Experten sehen allerdings noch keinen wissenschaftlichen Konsens für eine Beschleunigung der globalen Erwärmung, betont auch Klimaphysiker Gößling. „Allerdings wäre eine tatsächliche Beschleunigung keine Überraschung, da auch die im sechsten Sachstandsbericht des IPCC verwendeten Modellsimulationen bei starken weiteren Emissionen in der Regel einen Anstieg der Erwärmungsrate wiedergeben.“ Auch Professor Bjorn Stevens vom Max-Planck-Institut für Meteorologie, der nicht am Apell beteiligt war, sagt: „Die Veränderungen über wenige Jahre hinweg können weder als Zeichen einer beschleunigten Erwärmung gewertet werden, noch schließen sie diese aus.“

Was das für Deutschland bedeuten würde

Für Deutschland hätte eine globale Erwärmung von drei Grad jedenfalls drastische Folgen – beispielsweise für die Gesundheit vieler Menschen. Schon jetzt sterben in Deutschland im Sommer tausende Menschen an den Folgen von Hitze. Vor allem ältere Menschen, Kinder und Menschen mit chronischen Erkrankungen können in Hitzeperioden gesundheitliche Probleme bekommen. Auch, weil bei Hitze Medikamente anders wirken. Forscher gehen außerdem davon aus, dass die Symptome von Pollenallergikern stärker werden und sich die Pollensaison insgesamt verlängert.

Neue Hitzerekorde

Im Sommer 2025 lagen die Höchsttemperaturen laut Deutschem Wetterdienst bei 38 Grad. Doch auch die Sommer werden heißer. Der ARD-Meteorologe Karsten Schwanke, der nicht zu den Autoren des aktuellen Aufrufs gehört, hat die Daten der vergangenen Jahre analysiert und in die Zukunft projiziert: „Ich gehe davon aus, dass wir wahrscheinlich vor dem Jahr 2050 die 45 Grad Celsius-Marke in Deutschland in einer Hitzewelle erleben werden.“

Wenn es tagsüber sehr heiß ist und nachts kaum abkühlt, kommt es häufiger zu sogenannten tropischen Nächten, in denen der Schlaf nicht mehr erholsam ist. Studien zeigen, dass Menschen sich dann schlechter konzentrieren können und weniger produktiv sind.

Folgen auch für die Wirtschaft

Wenn sich Wettermuster verändern, wird es für Landwirtinnen und Landwirte zunehmend schwierig: Im Frühjahr ist es zunehmend trocken – genau dann, wenn viele Pflanzen in der Wachstumsphase sind und viel Feuchtigkeit brauchen. Im Herbst und Winter ist es oft so nass, dass der Boden – vor allem mit schweren Maschinen – nicht bearbeitet werden kann.

Anpassung an die Veränderungen ist wichtig, aber auch kostspielig – und hat Grenzen, wie Studien zeigen. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) rechnet bis 2050 durch die Folgen der Erderwärmung in Deutschland mit Schäden in Höhe von bis zu 900 Milliarden Euro.

Lässt sich das noch aufhalten?

Wenn sich die Erde schneller erwärmt als erwartet, gibt es dann noch eine Chance? Frank Böttcher, Mitautor des aktuellen Appells, meint ja, „denn wir haben nur diesen einen Planeten“. Andere Forscher sehen das ähnlich. Die Klimaökonomin Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung betont: „Jedes Zehntelgrad zählt.“ Auch Karsten Schwanke sagt: „Das kann uns nicht egal sein.“ Es sei zwar „alles andere als ein Kinderspiel“ – „aber wir haben natürlich noch alle Möglichkeiten in der Hand“.

Zwar steht Klimaschutz auf der politischen Agenda derzeit nicht an erster Stelle. Das werde sich aber ändern, hofft Meteorologe Hoffmann vom PIK: „Wenn sich Sachen schneller entwickeln als bisher angenommen, dann müssen wir gewisse Maßnahmen ergreifen. Wenn dieser Punkt erreicht ist, können Dinge möglicherweise sehr schnell umgesetzt werden.“

Source: tagesschau.de