Bergbau: Der Steiger kehrt zurück ins Erzgebirge

Kommt der Steiger zurück nach Deutschland? Ein Doktorand an der Niederlassung des Ifo-Instituts in Dresden stellte im vergangenen Jahr diese Frage in den Titel eines Arbeitspapiers zu den Aussichten des Bergbaus in Deutschland. Anlass war eine kurz zuvor aktualisierte Schätzung zum Lithiumvorkommen im Erzgebirge, das die Firma Zinnwald Lithium in den nächsten Jahren im großen Stil erschließen will. Fast eine halbe Million Tonnen des Leichtmetalls, das unter anderem für die Herstellung von Batterien für Elektrowagen benötigt wird, wird im Gestein unter Zinnwald, einem Ortsteil von Altenberg im östlichen Erzgebirge, vermutet.

Es handelt sich um eines der größten Lithiumvorkommen in Europa. Die strategische Bedeutung des Projekts für die Versorgung Europas mit Lithium aus eigenen Lagerstätten hat im Sommer sogar Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) ins Erzgebirge gelockt.

Zinnwald Lithium will noch vor dem Jahr 2030 damit beginnen, die Lagerstätte abzubauen, und jährlich bis zu drei Millionen Tonnen Erz aus dem Berg fördern, das in der Region weiterverarbeitet werden soll. Rund 400 Arbeitsplätze könnten so entstehen. Der eine oder andere Steiger, wie die Vorarbeiter im Bergbau genannt werden, würde wohl auch gebraucht. Doch der Zeitplan ist ambitioniert, und die Finanzierung ist noch nicht gesichert. Derzeit arbeitet Zinnwald Lithium an einer Vormachbarkeitsstudie, die im ersten Quartal abgeschlossen werden soll. Eine Genehmigung des Rahmenbetriebsplans für das Bergwerk peilt das Unternehmen bis 2027 an. Danach soll mit der Einrichtung des Bergwerks begonnen werden.

Mehr als 500 Millionen Euro nötig

Die erforderlichen Investitionen beziffert Zinnwald Lithium auf mehr als 500 Millionen Euro. Bisher hat das Unternehmen, zu dessen wichtigsten Anteilseignern das Rohstoffunternehmen AMG Critical Materials zählt, rund 25 Millionen Euro in die Erkundung des Vorkommens in Altenberg investiert. Bis zu einer möglichen Genehmigung könnten noch einmal Kosten in dieser Größenordnung anfallen. Eine Garantie für die Realisierung des Projekts sind diese Investitionen aber nicht, denn Bergbauvorhaben sind auch im 21. Jahrhundert mit vielen Risiken behaftet. Das Projekt von Zinnwald Lithium hat aber auch wegen der Bedeutung von Lithium für strategisch wichtige Wertschöpfungsketten rund um die Elektromobilität in Europa gute Chancen.

Bei der Rückkehr des Steigers ins Erzgebirge könnte Zinnwald Lithium dennoch ein anderes Projekt zuvorkommen. Denn in Pöhla, etwa hundert Kilometer westlich von Altenberg, ist das Berggeschrei – die Kunde neuer Erzvorkommen – schon konkreter. Ende September hat das Sächsische Oberbergamt in Freiberg dem Unternehmen Saxony Minerals & Exploration (SME) die Zulassung für den Rahmenbetriebsplan zu einem Bergwerk erteilt. Es geht in erster Linie um die Förderung von Wolfram, Flussspat und Zinn. Die ersten beiden stehen zusammen mit Lithium auf einer Liste mit 34 kritischen Rohstoffen aus Brüssel. Bis 2030 will die EU ein Zehntel des Eigenbedarfs an kritischen Rohstoffen wie Wolfram aus eigener Produktion sicherstellen.

„Man kann keine Industriepolitik ohne Wolfram betreiben“

„Man kann keine Industriepolitik ohne Wolfram betreiben“, sagte Thomas Reissner, der Mehrheitseigentümer und Aufsichtsratsvorsitzende von SME, bei der Vorstellung der Pläne für das neue Bergwerk Anfang November im unweit von Pöhla gelegenen Breitenbrunn. Im geplanten Bergwerk von SME in Pöhla soll die Förderung schon 2027 beginnen. Es wäre nach Einschätzung des Unternehmens das erste komplett neue Erzbergwerk in Deutschland, das seit Ende des Zweiten Weltkriegs genehmigt, errichtet und in Betrieb genommen wird – sieht man einmal vom Bergbaukonzern Wismut ab, der zur Zeit der DDR im Erzgebirge Uran für die sowjetische Nuklearindustrie abgebaut hat.

Im wenige Kilometer von Pöhla entfernten Johann­georgenstadt gingen die Aktivitäten der Wismut so weit, dass in den Fünfzigerjahren rund 4000 Einwohner der Stadt wegen Einsturzgefahr umgesiedelt werden mussten. Der Ruf des Bergbaus hat darunter selbst in der traditionsreichen Montanregion Erzgebirge gelitten. Von den umfangreichen Erkundungsbohrungen der Wismut profitieren Unternehmen wie die SME allerdings bis heute. Für eine vergleichbar präzise Erkundung des Vorkommens in Pöhla hätte SME nach eigenen Angaben rund 180 Millionen Euro investieren müssen.

Förderung im Erkundungsschacht in PöhlaSaxony Minerals & Exploration

„Das ist erst der Anfang“, sagte SME-Aufsichtsratschef Thomas Reissner Anfang November mit Blick auf weitere Vorhaben des Unternehmens in der Region. Der Unternehmer aus Baden-Württemberg, der knapp zwei Drittel an der Aktiengesellschaft hält, will mit SME auch in der Nähe der Stadt Geyer im Erzgebirge eine Mine entwickeln und zudem ein Besucherbergwerk in der Region wieder für den aktiven Bergbau ausrüsten. Es wäre ein Symbol für die Rückkehr der Steiger. „Man darf nicht nur über Traditionen reden, über die rund 60 Besucherbergwerke, Bergparaden und die Montanregion als Weltkulturerbe“, sagt Klaus Grund, der bei SME als Vorstand Bergbau und Technologie auch für die Errichtung des Bergwerks in Pöhla verantwortlich ist.

„Man muss auch zulassen, dass neue Traditionen entstehen, und das geht nur in Form neuer Bergwerke“, sagte Grund bei der Vorstellung der Pläne von SME Anfang November in Breitenbrunn, zu der er in der traditionellen Paradekleidung eines Markscheiders erschienen war. Ein Markscheider ist ein im Bergbau tätiger Vermessungsingenieur. Grund hat in dieser Funktion früher für die Wismut gearbeitet. Mit der SME will er nicht nur dem Bergbau in der Region neues Leben einhauchen. „Bergbau war stets der Motor des Fortschritts und der industriellen Entwicklung in Deutschland“, sagt er.

Bis zu 400.000 Tonnen Erz jährlich

Ähnlich schätzt Thomas Reissner die Bedeutung des Bergbaus ein. „Wenn wir das hinbekommen, haben wir eine einzigartige Position geschaffen“, sagt er über die drei Vorhaben von SME im Erzgebirge. Das Vorkommen in Pöhla soll als Erstes erschlossen werden. Dazu soll im Herbst 2025 eine Rampe in den Berg getrieben werden. Insgesamt plant das Un­ternehmen mit Investitionen in der Größenordnung von 50 Millionen Euro. Bis zu 400.000 Tonnen Erz will die SME jährlich gewinnen und in einer Anlage in Mittweida aufbereiten. Etwas mehr als hundert Arbeitsplätze sollen in der Region entstehen. Reissners Geschäftsplan sieht jährliche Erlöse in der Größenordnung von 90 Millionen bei Betriebskosten von gut 30 Millionen Euro pro Jahr vor. Über die nächsten zwanzig Jahre rechnet er entsprechend mit einem Gewinn in Höhe von mehr als einer Milliarde Euro. Die Genehmigung des Oberbergamts ist auf 70 Jahre begrenzt.

Ein historischer Fahrlader steht unter einem überdimensionalen Schwibbogen mit dem Schriftzug „Glück auf“ im Besucherbergwerk Pöhla.dpa

Zinnwald Lithium und Saxony Minerals & Exploration sind nicht die einzigen Unternehmen, die im Erzgebirge an einem Comeback des Bergbaus arbeiten. Das Oberbergamt in Freiberg zählt derzeit drei Dutzend von ihr erteilte Erlaubnisse zur Erkundung von Rohstoffvorkommen in der Region. Mit weiteren Genehmigungen für neue Bergwerke sei kurz- oder mittelfristig nicht zu rechnen, sagte Oberberghauptmann Bernhard Cramer vor einigen Wochen im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur.

Die Saxore Bergbau GmbH, die ebenfalls in der Nähe von Breitenbrunn Zinn abbauen will, überarbeitet dennoch gerade die Unterlagen zur Genehmigung ihres Rahmenbetriebsplans. Neue Schätzungen gingen von einem größeren Vorkommen als bisher angenommen aus, teilte das Unternehmen zuletzt mit. Die Lagerstätte, die Saxore erschließen will, wird mittlerweile auf rund 138 Millionen Tonnen Erz und damit fast ein Drittel größer als bisher geschätzt. „Die verbesserte Ressourcenschätzung gelang vor allem dank neuer, umfangreicher Daten aus den Archiven der Wismut“, erklärte Saxore-Geschäftsführer Matthias Faust der dpa. „Mit diesem Ausblick wird unser künftiges Bergwerk wirtschaftlich noch attraktiver.“ Der frühere Plan, 2026 die erste Tonne Zinn zu fördern, sei trotzdem nicht zu halten. Ziel sei, künftig Rohstoffe mit minimalinvasiven Methoden abzubauen, heißt es bei Saxore. Dabei soll das Erz unter Tage verarbeitet werden, sodass an der Oberfläche keine Halden entstehen. Pro Jahr sollen auf diese Weise künftig etwa 3000 Tonnen Zinn gewonnen werden.

Die Rückkehr der Steiger ins Erzgebirge ist nicht erst seit den jüngsten geopolitischen Verwerfungen, die die Abhängigkeit Europas von Rohstoffen aus dem Ausland ins Bewusstsein gerufen haben, ein Thema. Schon in den Nullerjahren nahm die Erkundung von Rohstoffvorkommen in der Region getrieben vom Schweinezyklus auf den Rohstoffmärkten Fahrt auf. Mehr als hundert Erkundungsprojekte hat das Oberbergamt in Freiberg seither genehmigt. Nicht umsonst gilt das Erzgebirge als eine der dichtesten polymetallischen Lagerstätten weltweit. „Außer Kohle und Gas finden wir hier alles“, heißt es dazu im Oberbergamt.

Doch viele Vorkommen sind zu klein, um sie wirtschaftlich sinnvoll erschließen zu können, auch weil die Akzeptanz für den Abbau in einem dicht erschlossenen Siedlungsraum teuer erkauft werden muss. Die Genehmigungsprozesse sind entsprechend aufwendig. Allein die Zulassung des Rahmenbetriebsplans für das neue Bergwerk von SME in Pöhla hat fünf Jahre in Anspruch genommen. Die Rückkehr des Steigers ins Erzgebirge könnte deshalb am Ende doch noch etwas auf sich warten lassen.

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