Vier Tage haben die Einsatzkräfte nach ihr gesucht, am Freitagmittag dann die Nachricht: Der Leichnam der 18 Jahre alten Hannah Lynch wurde gesichtet. Die Tote soll aus der Bayesian von Spezialtauchern aus 50 Meter Tiefe an die Oberfläche gebracht werden.
Laut britischer Medien hat Hannah Lynch in diesem Sommer gerade ihre A-Levels, das britische Abitur, bestanden. Im September wollte sie an der Universität von Oxford ein Studium der englischen Literatur aufnehmen, schrieb die „Times“. Sie sei eine fröhliche, beliebte und engagierte Schülerin gewesen, etwa in Fragen von Chancengleichheit und Bürgerrechten. Hannah Lynch besuchte die exklusive Latymer Upper School im Londoner Stadtteil Hammersmith, zu deren Absolventen offenbar auch die Schauspieler Hugh Grant und Alan Rickman gehörten. Die wohlhabenden Eltern waren Mäzene der Schule.
Börner: Gewitter war vorhersehbar
Unterdessen gehen die Spekulationen über die Unfallursachen weiter. Der deutsche Kapitän Karsten Börner hatte wenige Hundert Meter entfernt das niederländische Schiff Sir Robert Baden Powell durch den Sturm gesteuert und die 15 Überlebenden aufgenommen. Börner bestätigte im Interview mit dem „Spiegel“ die Aussage des Werftenchefs Giovanni Constantino gegenüber der F.A.Z., dass eine Wetterperturbation absehbar war. „Die grundsätzliche Windrichtung war West bis Nordwest, und es waren Gewitter vorhergesagt“, sagte Börner.
Der überlebende Kapitän der Bayesian, James Cutfield, hatte demgegenüber erklärt, die Besatzung sei von dem Sturm überrascht worden. Dies brachte den Werftenchef Giovanni Costantino zu der Vermutung, dass offene Türen, Bullaugen oder Luken viel Wasser einließen und die Bayesian damit zusammen mit dem Druck der Böen aus dem Gleichgewicht brachten. Das eingetretene Wasser sei die Hauptursache des Untergangs gewesen, vermutet Costantino.
Dagegen hat der gerettete Maschinist der Yacht Börner laut Angaben des deutschen Kapitäns gesagt, dass das Boot nicht „oben offen war“, sondern „geschlossen“. Daher sei „es allen ein großes Rätsel, wie die Bayesian so schnell sinken konnte“, meinte Börner. Er schließt aber nicht aus, dass „irgendwo auf der Wasserlinie noch Bullaugen offen waren“.
Seiner Ansicht nach „muss etwas offen gewesen sein, oder es muss irgendetwas beschädigt worden sein, vielleicht durch die Ankerkette?“. In italienischen Fachmedien kursiert die These des ehemaligen Yachtkapitäns und Sachverständigen Roberto Nencioni: Er hält es für möglich, dass die losgerissene Ankerkette sich in den drehenden Propellerwellen verfing und eine großes Leck in den Rumpf schlug. Das Leck sei für die Taucher nicht sichtbar, weil das Wrack auf der Seite liege.
Der deutsche Kapitän beschrieb auch, wie er sich auf den Sturm vorbereitet hatte. Die hohen Wassertemperaturen von mehr als 30 Grad hätten die Wahrscheinlichkeit für ein Unwetter deutlich erhöht. „An dem Tag wussten wir, dass die Gewitterfront näher kommt. Da haben wir schon frühzeitig den Motor gestartet, um gegenhalten zu können. Wir waren ja vor Anker, aber wenn da starke Windböen kommen, hält so ein Anker unter Umständen auch nicht. Und um unser Schiff dann mit dem Bug im Wind zu halten, haben wir den Motor gestartet, und das hat auch relativ gut geklappt.“
Die Bayesian soll nach Expertenangaben dagegen nicht mit dem Bug im Wind gestanden haben, sondern seitlich dazu. Der Anker hat sich wahrscheinlich losgerissen, und das Boot trieb für eine gute viertel Stunde im Wasser, bevor es unterging.
Börner verwies auch auf die Vermutung, dass der Hubkiel der Bayesian nicht ausgefahren war und das Schiff deshalb nicht stabil genug im Wasser lag. „Dann ist der Schwerpunkt viel zu weit oben. Wenn dann zwölf Windstärken angreifen, liegt das Ding natürlich in Sekunden platt.“ Der Bootshersteller Costantino von der TISG-Gruppe widerspricht in diesem Punkt: Er glaubt, dass auch bei eingefahrenem Hubkiel, der dann immer noch vier Meter lang ist, die Bayesian nicht hätte sinken müssen. Der Kiel wiege 50 Tonnen, und das gesamte 56 Meter lange Boot 700 Tonnen, böte genügend Gegenkräfte, um einem Sturm standzuhalten.
Börner sagte indes: „Ich könnte mir schon vorstellen, dass die Bauweise dieses Bootes in so einem Sturm problematisch ist. Das Schiff hatte einen irrsinnig hohen Mast von 73 Metern, was gegen jegliche Logik ist.“ Der Mast bietet auch ohne Segel viel „Angriffsfläche“ für den Wind. Laut des Segelmagazins „Yacht“ entspricht diese einer „passiven Segelfläche von etwa 70 Quadratmetern“. Die Konstrukteure dieser Megayachten halten dagegen, dass nicht nur die Masten immer höher, sondern auch die Boote immer größer, länger und schwerer würden und somit normalerweise ein Kentern verhindern.
Die niederländische Royal Huisman Shipyard arbeitet derzeit an einer Megayacht, die einen Mast von 93 Metern Höhe haben soll. Das wäre ein neuer Weltrekord unter den Einmastern, den bisher die Bayesian gehalten hat. Der Rumpf der niederländischen Yacht soll mehr als 80 Meter lang sein. Die italienische Werft Perini Navi, welche die Bayesian gebaut hat und aus dem Konkurs im Jahr 2022 von der TISG-Gruppe aufgekauft wurde, will noch weiter hinaus: Sie entwickelt derzeit ein Schiff in einer Länge von 99 Metern. Ob der Untergang vor der sizilianischen Küste solche Pläne verändern wird, bleibt abzuwarten.