In seinem Berufsleben war er Amtsrichter, jetzt nennt er sich Donaldist. Gerhard Severin ist 69 Jahre alt und weiß alles über Donald Duck. Er ist Initiator des ersten Comic-Museums in Deutschland, dem Erika-Fuchs-Haus im oberfränkischen Schwarzenbach an der Saale. Wer ihn dort antrifft, den begrüßt Severin im Tonfall echter Überzeugung: „Wir sind hier in Entenhausen.“ Der Mann meint es offenbar ernst.
Und er hat recht. Denn in Schwarzenbach wirkte besagte Erika Fuchs. Sie dürfte zwar nur eingefleischten Donald-Fans ein Begriff sein, gleichwohl war sie ein Schwergewicht hinter den Duck-Kulissen. Denn Fuchs, verstorben im Jahr 2005, übertrug in Schwarzenbach ab 1951 fast vier Jahrzehnte lang die Storys der Disney-Comics ins Deutsche.
Dabei schmuggelte sie – abweichend vom amerikanischen Original – die Namen von Orten und Landschaften aus dem umliegenden Fichtelgebirge in die Sprechblasen. Sie ist verantwortlich dafür, dass die Ducks an Flecken mit herrlichen Namen wie Kleinschloppen, Wackelstein und Ochsenkopf unterwegs waren. Ihren Wohnort verewigte die Übersetzerin in leichter Abwandlung als Schwarzenburg in den Comics.
Zum Verständnis des Duck-Kosmos in Deutschlands Randlage unweit der Grenze zu Tschechien ist ein Besuch im Comic-Museum im Ortskern der beste Einstieg. Figurenkollektionen, begehbare Kulissen von Entenhausen, Schautafeln und interaktive Stationen: Wer durch die Ausstellung geht, wird hineingezogen in die Welt von Donald, Gefährtin Daisy, Onkel Dagobert, Tick, Trick und Track sowie den Panzerknackern.
Vertiefen kann man sich ins Duck-Universum wunderbar in der Bibliothek. „Für Donaldisten sind die Zeichnungen von Carl Barks mit den Übertragungen von Erika Fuchs so etwas wie die Bibel“, sagt Severin. „Das sind immerhin knapp 700 Berichte, 6500 Seiten, 43.000 Bilder.“ Er spricht von Berichten, nicht von Geschichten: „Tatsachenberichte, so wie sie in Entenhausen vorgefallen sind.“ Das Gros der Bibliothek hat Sammler Severin aus seinen Privatbeständen bestückt, die früher sein Schlafzimmer füllten, während im Wohnzimmer Schiller und Simmel die Regale füllten.
Orte aus den Disney-Comics in Schwarzenbach
Der im Museum ausliegende Flyer „Erika-Fuchs-Weg“ animiert zur Entdeckung von allerlei Stationen in Schwarzenbach, die in den deutschsprachigen Ausgaben der Comics Erwähnung finden: das Schübelsgässchen, die Gaststätte „Mondschein“, die Bäckerei Köppel. Deren traditionelle Konditorwaren hielten 1970 bei einer Episode um Schweinchen Dick Einzug ins Micky-Maus-Heft Nummer 33 – dank der butterweichen Anisplätzchen. Die gibt es unverändert, sie sind im Museum erhältlich, allerdings zugeliefert von einer anderen Bäckerei, die Köppel-Backstube gibt es nicht mehr.
Comicfans zieht es in Schwarzenbach weiter zum Rathaushof, wo Emil Erpel, der Gründer von Entenhausen, auf einem Podest die Stellung hält. Die Holzskulptur eines lokalen Bildhauers war ein Geschenk von Gerhard Severin an die Stadt. Um den Duck-Bezug auch offiziell machen, hatte er dem Landrat vorgeschlagen, auf den Ortsschildern den Zusatz „Region Entenhausen“ zu platzieren.
Daraus wurde leider nichts. Immerhin kann man im nahegelegenen Fernweh-Park Oberkotzau ein originalgetreu gestaltetes Ortsausgangsschild Schwarzenbachs mit der Aufschrift „Region Entenhausen“ bewundern. Erika Fuchs selber begegnet man neuerdings als Skulptur am Parkplatz an der Brunnengasse.
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Severin trägt regelmäßig T-Shirts mit Donald-Duck-Motiv. Etwa 15, schätzt er, habe er daheim zur Auswahl. Für infantil hält er das nicht: „In jedem von uns steckt Donald Duck. Er ist unser wirkliches Leben. Er charakterisiert uns. Er hat unsere Probleme. Wir können von Entenhausen lernen.“
1988 setzte sich Übersetzerin Fuchs zur Ruhe – 2005 starb die gebürtige Rostockerin in München. Doch beigesetzt wurde sie auf dem Friedhof hinter der Gumbertuskirche in Schwarzenbach. Das Grab ist von Efeu überzogen, irgendwer hat eine kleine Daisy-Figur und ein Herz darauf gestellt. „Ich war es nicht“, sagt Severin.
Zum Abschied verrät er, dass Erika Fuchs bei ihren Übertragungen ins Deutsche etwa einhundert echte Namen aus dem Ort einfließen ließ. So fanden sich der damalige Schmied und auch der Tierarzt in den Sprechblasen erwähnt. „Das waren Zeiten, in denen Persönlichkeitsrechte keine Rolle spielten.“
Welche Worte Erika Fuchs erfand
Ins nahe Waldbad Schiedateich zog es in den Disney-Comics die drei Schweinchen, in den Nonnenwald die Panzerknacker. Ein Stück südwärts liegt Kleinschloppen, wo laut „Entenhausener Abendblatt“ bei einem Bauern „ein Gänschen mit vier Beinen“ aus dem Ei schlüpfte. Eingezeichnet war das Nest auch mal auf einer Schatzkarte von Onkel Dagobert – ungefähr dort, wo eigentlich New Orleans liegt.
Kaum drin, ist man schon wieder raus aus Kleinschloppen, dessen Blickfang die digitale Tempoanzeige an der Durchgangsstraße ist. Ähnlich verschlafen wirkt das Nachbardorf Großschloppen, wo Donald in einem Autohaus einen Wagen kaufte. Weitere Highlights: Kirschbäume auf Wiesen und in der Ortsmitte eine Trauerweide, die sich in den Teich neigt.
Wüsste man es nicht besser, man würde die Ortsnamen für geniale Wortschöpfungen von Erika Fuchs halten. Ihr verdanken wir Lautmalereien wie „Kawumm!“, „Kracks!“ und „Zosch!“ Nicht erfunden, obwohl es so klingt, ist zum Beispiel Oberkotzau, wo Goofy mit der Bahn einfuhr. In der Sammlung des erwähnten Fernweh-Parks finden sich neben dem Entenhausen-Schild rund 5000, teils kuriose Stadt-, Orts- und Straßenschilder aus aller Welt sowie eine Gedächtnisstele für Donald Duck, samt abgebildeter USA-Karte aus einem der Comicbände.
Statt Kalifornien ist darauf das Felsenlabyrinth Luisenburg verzeichnet. Auch das gibt es tatsächlich – es ist ein gigantisches, begehbares Granitsteinmeer und liegt bei Wunsiedel. Ein weiteres Naturziel, das in den Comics mehrfach auftaucht, ist der südlich von Bischofsgrün gelegene Ochsenkopf, mit 1024 Metern zweithöchster Berg des Fichtelgebirges. Dort gaben sich die drei kleinen Schweinchen dem Wintersport hin, es gab sogar einen Skilift zum Nulltarif.
Im echten Leben kostet die Auffahrt heute 7,50 Euro mit dem Sessellift der Seilbahn Süd und zehn Euro mit der Kabinen-Seilbahn Nord. Von oben hat man ein schönes Panorama über dichte Wälder bis hinüber nach Tschechien, wo sich das Fichtelgebirge unter dem Namen Smrčiny fortsetzt.
Das Fichtelgebirge als Ziel der Familie von Donald Duck
Den Fichtelsee machte Erika Fuchs ebenfalls öfter publik. „Ich hol’ nur meine Kamera, und dann fahren wir los. Zum Fichtelsee!“, ruft Donald seinen Neffen Tick, Trick und Track einmal zu. Ebenso kommt in den Comics das Fichtelgebirge als Ducksches Familienziel und „Gebirge der 1000 Quellen“ vor.
Das war sogar untertrieben, denn hier entspringen – sofern man alle Sicker-, Sumpf-, Tümpel-, Sturz- und Fließquellen zusammenzählt – sogar über 10.000 Quellen. Die wichtigsten sind die von Main, Eger, Naab und Saale, die den Weg nach Westen oder Osten antreten, Richtung Nordsee oder Schwarzes Meer. Durch das Fichtelgebirge verläuft die Europäische Wasserscheide.
Der im Duck-Kosmos relevanteste Fluss, der im Comic-Fichtelgebirge entspringt, ist allerdings in keinem Atlas eingezeichnet, obwohl er den abenteuerlichsten Verlauf hat: die Gumpe. Der Flussname ist eine Wortschöpfung von Erika Fuchs, im englischen Original heißt er Tulebug River. Die Gumpe fließt bekanntlich durch Entenhausen und muss also ihren Weg irgendwie von Oberfranken nach Amerika finden, denn Entenhausens Fluss mündet schließlich in den Pazifik.
Tipps und Informationen:
Anreise: Das Fichtelgebirge erreicht man mit dem Auto über die Autobahnen A 9 oder A 93, die Bundesstraße 289 verläuft quer durch Schwarzenbach an der Saale. Die Stadt hat einen Bahnhof, dort halten Regionalbahnen aus Nürnberg und Hof (bahn.de).
Unterkunft: Direkt am Wasser, umgeben von Wald, liegt das mit viel Holz eingerichtete Hotel „Am Fichtelsee“, Doppelzimmer inklusive Frühstück ab 96 Euro (hotel-am-fichtelsee.de). 45 Minuten Fußmarsch von der Quelle des Weißen Main entfernt liegt in Bischofsgrün mit Blick auf den Ochsenkopf das „Hotel Kaiseralm“, ein komfortables Viersternehaus, Doppelzimmer mit Frühstück ab 159 Euro (kaiseralm.de).
Museum und Park: In Schwarzenbach öffnet das Museum für Comic und Sprachkunst im Erika-Fuchs-Haus dienstags bis sonntags von 10 bis 18 Uhr, neben der Dauerausstellung – einem begehbaren Entenhausen – läuft derzeit eine Sonderschau zu 100 Jahren Disney, Eintritt fünf Euro (Kinder unter 18 Jahre zahlen drei Euro; Vorschulkinder frei), erika-fuchs.de. Der Fernweh-Park in Oberkotzau ist rund um die Uhr geöffnet, die Schildersammlung wird in der Nacht beleuchtet, Eintritt frei (fernweh-park.de).
Weitere Infos: Tourismuszentrale Fichtelgebirge: fichtelgebirge.bayern
Die Teilnahme an der Reise wurde unterstützt von der Tourismuszentrale Fichtelgebirge. Unsere Standards der Transparenz und journalistischen Unabhängigkeit finden Sie unter axelspringer.com/de/werte/downloads.
Source: welt.de