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Umgehen die Taliban in Deutschland die gegen sie verhängten Sanktionen? Das zumindest legt ein vertrauliches Protokoll nahe. Demnach soll Bargeld in afghanischen Vertretungen gesammelt und nach Kabul geschickt werden.
Es war ein durchaus produktives Gespräch, das der Diplomat Safet R. Ende April dieses Jahres mit dem Büroleiter des afghanischen Außenministers führte. Wie sie Landsleuten helfen können, war die wichtigste Frage, denn afghanische Staatsangehörige „seien in europäischen Ländern mit zahlreichen Schwierigkeiten konfrontiert.“ So heißt es in einem vertraulichen Protokoll, das das ARD-Studio Neu-Delhi einsehen konnte.
Per Dekret habe der oberste Talibanführer Haibatullah Achundzada die Lösung dieser Probleme angeordnet, sie sei deshalb nun „eine der Hauptaufgaben der Regierung des Islamischen Emirats Afghanistan.“ „Islamisches Emirat“: So nennen die Taliban ihren Staat, der außer von Russland von keinem anderen Land der Welt anerkannt wird. Und Safet R. ist afghanischer Generalkonsul in Grünwald bei München.
Einschränkungen durch Finanzsanktionen
In dem Dokument vom 24. April 2025 werden die Ergebnisse dieses Gesprächs zusammengefasst. Man einigte sich demnach auf den Austausch von Unterlagen zu „finanziellen und administrativen Angelegenheiten“, zur Ausstellung von Reisepässen und darüber, dass das Generalkonsulat künftig regelmäßig Berichte nach Kabul schickt.
Doch der wichtigste Punkt war ganz offenbar Geld. „Aufgrund von Bankensanktionen und mangelnder finanzieller Interaktion mit europäischen Ländern ist es nicht möglich, die Einnahmen des Konsulats an die Zentrale zu überweisen“, heißt es in dem Papier, dessen Echtheit aus afghanischen Diplomatenkreisen bestätigt wird. Es trägt das Siegel des Außenministeriums und die Unterschriften von Taliban-Außenminister Amir Khan Muttaki und seines Büroleiters.
Mit Barzahlung Sanktionen umgehen?
Tatsächlich gibt es seit 2021 umfangreiche Finanzsanktionen gegen das Taliban-Regime, weil die Radikalislamisten die Menschenrechte und vor allem die Rechte von Frauen und Mädchen verletzen. Einfach Geld an staatliche Einrichtungen in Afghanistan zu überweisen, ist nicht möglich. Das zu kontrollieren, ist zunächst Pflicht der betroffenen Banken. Doch bei diesem Gespräch im April ging es auch darum, wie die Sanktionen umgangen werden können:
„Daher wird vorgeschlagen, die Einnahmen des Konsulats in bar von den Antragstellern einzuziehen und monatlich an die Zentrale oder eine der politischen oder konsularischen Vertretungen des Islamischen Emirats Afghanistan im Ausland zu überweisen, um sie in die Staatseinnahmen einzubeziehen.“
Mit „Zentrale“ ist das Außenministerium in Kabul gemeint, bei den „politischen oder konsularischen Vertretungen des Islamischen Emirats Afghanistan im Ausland“ soll es sich nach ARD-Informationen um Konsulate und Botschaften in Europa und in einem der Golfstaaten handeln. Ob tatsächlich solche Gelder unter Umgehung der Sanktionen nach Afghanistan gebracht werden, ist indes unklar.
Taliban von Finanzmarkt abgeschnitten
Tatsächlich seien die Finanzsanktionen ein Problem für die Taliban, sagt Katja Mielke vom Bonner Internationalen Zentrums für Konfliktstudien (BICC). Sie schränkten „sie natürlich sehr stark ein, weil sie einfach auf dem internationalen Finanzmarkt keine Kontakte knüpfen können und die Währungsreserven international eingefroren sind. Das heißt, sie müssen wirtschaften mit dem, was sie regional einnehmen.“
Die Taliban verfügten zwar über umfangreiche Einnahmen aus der Rohstoffförderung im Land. „Möglicherweise hat es aber auch was mit Vertrauen zu tun, dass man eben möchte, dass dieses Geld (Anm. der Red.: aus den Konsulaten) zum Großteil unter der Kontrolle der Zentrale ist und vielleicht von dort dann bei Bedarf wieder überwiesen wird“, sagt Mielke.
Einen vollständigen Überblick über die Einnahmen haben die Taliban vor allem, weil sie seit Anfang Oktober alle drei diplomatischen Vertretungen Afghanistans in Deutschland kontrollieren. So werden die Botschaft in Berlin und das Generalkonsulat in München von Diplomaten geführt, die zwar von der früheren Regierung entsandt worden waren, die aber inzwischen offen mit Kabul kooperieren. Und das Generalkonsulat in Bonn wird seit Kurzem sogar von einem Mitglied der Taliban geleitet. Er ist einer der zwei von der Bundesregierung jüngst neu akkreditierten Diplomaten, die die Abschiebung afghanischer Straftäter in ihr Heimatland erleichtern sollen.
Taliban streiten Vorwürfe ab
Auf eine ARD-Anfrage Ende Oktober widersprachen Taliban-Vertreter zunächst vehement dem Vorwurf, dass überhaupt gegen Finanzsanktionen verstoßen werde. „Die Ihnen vorliegenden diesbezüglichen Informationen sind unrichtig und entsprechen nicht der Realität unserer Arbeit“, hieß es Ende Oktober in einer E-Mail des afghanischen Generalkonsulats in München.
Alle Aktivitäten erfolgten „unter strikter Einhaltung der Gesetze des Gastlandes, internationaler Bestimmungen, in voller Abstimmung mit dem Auswärtigen Amt und gemäß den etablierten diplomatischen Verfahren.“ Man habe zudem keine „Mitteilung über einen Transfer von Einnahmen erhalten“.
Auch dass im Generalkonsulat in München überhaupt in bar gezahlt werden kann, wies die Vertretung zurück. „Das Generalkonsulat erhebt alle konsularischen Gebühren ausschließlich über Bank- und Telecash-Systeme – transparent und nachvollziehbar in enger Abstimmung mit der BaFin (Anm. der Red.: deutsche Finanzaufsicht). Gebühren werden weder bar angenommen noch verarbeitet, und konsularische Einnahmen werden grundsätzlich nicht bar erhoben“, hieß es. Für weitere Fragen solle man sich an die afghanische Botschaft wenden. Als das ARD-Studio Neu-Delhi dann aber bei der Berliner Botschaft nachfragte und sie mit dem vertraulichen Dokument konfrontierte, verstummten die Diplomaten plötzlich.
Auforderung zur Barzahlung auf Website
Inzwischen liegen dem ARD-Studio Neu-Delhi Fotos von Quittungen vor, die für die Barzahlung von konsularischen Dienstleistungen in München ausgestellt wurden. Und zumindest das afghanische Generalkonsulat in Bonn wies Anfang November für einige Tage auf seiner Webseite ausdrücklich darauf hin, dass „nur Barzahlung“ möglich sei. So sollten beispielsweise die Ausstellung einer Eheurkunde oder eines Erbscheins je 300 Euro kosten. Kurz nach einer zweiten ARD-Anfrage verschwand dieser Hinweis auf Barzahlung wieder aus dem Internet.
Die laufenden Einnahmen aus konsularischen Dienstleistungen sind aber womöglich nicht das Einzige, wofür sich die Taliban interessieren. Denn die Sparkassen- und Bankkonten der afghanischen Vertretungen in Deutschland sind nach ARD-Informationen prall gefüllt.
Wohl seit Machtübernahme der Taliban im August 2021 wurden die Einnahmen für die Ausstellung von Reisepässen und anderen Dokumenten nicht mehr nach Kabul überwiesen. Zum einen, weil die Konsulate zunächst noch von Talibangegnern geführt wurden und die kein Geld an die Radikalislamisten überweisen wollten. Aber auch, weil die Finanzsanktionen Überweisungen nach Kabul eben unmöglich gemacht haben.
Mindestens zehn Millionen auf Taliban-Konten
Den Recherchen zufolge handelt es sich um einen Betrag von insgesamt mindestens zehn Millionen Euro. Ehemalige afghanische Diplomaten berichten, die Taliban hätten schon seit Langem Druck auf Generalkonsulate und Botschaften ausgeübt, auch dieses Geld nach Afghanistan zu schaffen. Das Auswärtige Amt beantwortete Fragen zu diesem Thema nicht. Von einem der betroffenen Geldinstitute heißt es, man sei sich der Finanzsanktionen bewusst und habe die betroffenen Konten im Blick.
Eingefroren sind die Gelder auf diesen Konten nicht. Einem Ex-Diplomaten zufolge sind allerdings nur in beschränktem Umfang Überweisungen für laufende Kosten des betroffenen Konsulats möglich, zum Beispiel für Stromrechnungen, Reparaturen und Gehälter von Diplomaten und anderen Mitarbeitern. Größere Summen abzuheben oder gar ins Ausland zu überweisen, das gehe nicht.
Source: tagesschau.de