Zahlreiche Initiativen mobilisieren derzeit nach Gießen – dort wollen sie am Wochenende gegen die Gründung der neuen AfD-Jugendorganisation protestieren und damit auch ein Zeichen gegen die fortschreitende Normalisierung der Partei setzen. Zehntausende werden erwartet – doch eindeutig ist die politische Stimmungslage in Deutschland längst nicht.
Zur gleichen Zeit ist eine entgegengesetzte Bewegung aus der Wirtschaft zu vernehmen: Der Verband der Familienunternehmer hat jüngst seine „Brandmauer“ aufgekündigt. Ein bisheriges „Kontaktverbot“ sei aufgehoben, heißt es von der Verbandschefin. „Eine krasse Nachricht – die bürgerliche Kapitalseite bröckelt immer mehr“, warnte die Linken-Ko-Vorsitzende Ines Schwerdtner.
Tatsächlich sollte dieser Schritt angesichts der deutschen Geschichte nicht unterschätzt werden – für den Aufstieg und Erfolg der NSDAP am Ende der Weimarer Republik war die Unterstützung der Wirtschaftselite von großer Bedeutung. Zur Einschätzung der aktuellen Situation ist jedoch ein differenzierter Blick notwendig. Die Ankündigung des Familienunternehmer-Verbands ist so weniger das Signal, dass nun die gesamte deutsche Wirtschaft die AfD unterstützt – gleichwohl zeigt sie politische Risse in den Interessen der hiesigen Kapitalfraktionen. Und diese können sich schnell vertiefen und die Bedingungen in einer instabilen Gesamtlage verändern.
Der Verband der Familienunternehmer beendet „Kontaktverbot“ mit AfD
Zuerst ein Blick auf die Fakten: Der Verband der Familienunternehmer hat rund 6500 Mitglieder – wer diese genau sind, ist jedoch unbekannt. Nach eigenen Angaben vertritt er die Interessen von etwa 180.000 Unternehmen, de facto vom Mittelstand bis zum Großkonzern. Politisch setzt er sich für traditionell neoliberale Kernforderungen ein.
Jüngst wurde nun bekannt, dass der Verband erstmals Vertreter der AfD zu einer Veranstaltung eingeladen hatte. Das Treffen fand im Oktober in den Berliner Räumen der Deutschen Bank statt. Das „Kontaktverbot“ habe man mit dem Parlamentarischen Abend auf Bundesebene aufgehoben, erklärte daraufhin Verbandspräsidentin Marie-Christine Ostermann. Sie fügte hinzu: „In unseren Landesbereichen hat es diese Art der ‚Brandmauer‘ noch nie gegeben.“ Die AfD wolle man inhaltlich stellen, indem man zeigt, dass deren Politiker oft „inhaltlich blank oder widersprüchlich“ seien.
Was wie politische Entzauberung klingt, dürfte in der Praxis vor allem ein Arrangieren mit der AfD sein. Von Politikern und anderen Wirtschaftsvertretern wurde dies wohl auch so verstanden – was wiederum zahlreiche Reaktionen hervorrief.
In unseren Landesbereichen hat es diese Art der ‚Brandmauer‘ noch nie gegeben
Bemerkenswert ist, welche Unternehmergruppen positiv reagierten – vor allem Verbände, die traditionell eher standortgebunden aufgestellt sind. Beispielsweise der Zentralverband des Deutschen Bäckerhandwerks und der Zusammenschluss „Familienbetriebe Land und Forst“ erklärten gegenüber Medien, ebenfalls offen für Gespräche mit der AfD zu sein. Auch der Bundesverband Mittelständische Wirtschaft wolle seine Position überdenken, hieß es.
Gleichwohl gab es auch Abgrenzungen: Die Drogeriemarktkette Rossmann und der Hausgerätehersteller Vorwerk etwa erklärten, ihre Mitgliedschaft im Verband der Familienunternehmer beenden zu wollen. Vom einflussreichen Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) wurde gegenüber dem Freitag signalisiert, dass man weiter an der Brandmauer festhalte und den AfD-Positionen kritisch gegenüberstehe. „Wir suchen nicht proaktiv den Austausch mit Vertretern von radikalen Parteien wie der AfD“, sagte ein Sprecher. Er fügte hinzu: „Der Erfolg der deutschen Industrie basiert auf stabilen gesellschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen, welche die AfD mit ihren populistischen Positionen zu erschüttern versucht.“
Aus informierten Kreisen hieß es außerdem gegenüber dem Freitag, dass die Deutsche Bank künftig dem Verband der Familienunternehmer keine Räumlichkeiten mehr zur Verfügung stellen wolle. Ein Sprecher erklärte zudem, dass die Deutsche Bank keine Kenntnisse von der Gästeliste der Veranstaltung im Oktober gehabt habe. Die Deutsche Bank gehörte zu einer Gruppe von 30 deutschen Unternehmen, die sich im Mai 2024 zur Europawahl gegen die Wahl der AfD ausgesprochen hatte.
Kontakte sind nicht neu – aber die Normalisierung der AfD erreicht eine neue Stufe
Wie ist die Erklärung des Verbands der Familienunternehmer nun einzuordnen? Komplett neu sind Kontakte zwischen Wirtschaftsvertretern und der AfD jedenfalls nicht. In den vergangenen Jahren kam es immer wieder zu Begegnungen: etwa 2017 bei einer Podiumsdiskussion des Deutschen Industrie- und Handelskammertags, beim sogenannten Berliner Steuergespräch im selben Jahr oder zuletzt beim von der Welt organisierten „Wirtschaftsgipfel“ – wo Alice Weidel neben Elon Musk auftrat.
Auch einzelne Unternehmer pflegten immer schon enge Kontakte zur AfD oder unterstützten sie offen. Der Molkereimilliardär Theo Müller etwa bezeichnete sich in einem Interview als „Irgendwas“ zwischen Beobachter und Sympathisant. Der Unternehmer Hartmut Issmer überwies 2023 als größter Einzelspender 265.050 Euro an die AfD, der Lübecker Arzt und Unternehmer Winfried Stöcker für den diesjährigen Bundestagswahlkampf 1,5 Millionen Euro. Die Bundestagswahl zeigte den klaren Trend, dass die Unternehmensspenden an die AfD zunehmen und das Vertrauen in die extrem rechte Partei wächst.
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All das ist nun aber weniger eine Frage individueller Moral als ein Konflikt unterschiedlicher Kapitalfraktionen, also zwischen unterschiedlichen Unternehmensgruppen und ihren strategischen Interessen. Diese bestimmen letztlich auch ihr Verhältnis zur AfD.
Wir erinnern uns: Ursprung der AfD war Wirtschaftskrise
Um die Dynamik zu verstehen, muss man einige Jahre zurückblicken – hierbei lohnt ein Blick auf die Analyse des Autors und Forschers Sebastian Friedrich. Demnach hatten sich etwa um 2010 während der Euro-Schuldenkrise zwei Kapitalfraktionen in Deutschland herausgebildet: Einmal eine eher national orientierte Fraktion, die stärker auf Konsumnachfrage im Inland und nationalstaatliche Gesetzgebung setzte – und dann eine eher transnational ausgerichtete Fraktion, die stärker auf Export, Freihandel, Deregulierung und übergreifende Institutionen wie die EU setzte. Auch Positionen zur Migration (im Sinne vom Bedarf nach ausländischen Fachkräften) und zur NATO/Westbindung (im Sinne von Absatzmärkten) können zum Teil von diesen Interessen abgeleitet werden.
Der Konflikt entzündete sich dann primär an der Frage, wie mit der Schuldenkrise von Griechenland und anderen hoch verschuldeten Ländern umgegangen werden soll – und welche Rolle die EU und Deutschland dabei spielen sollen. Während der transnationale Teil des Kapitals eher auf eine Vertiefung und Stabilisierung der EU drängte, um Exportmärkte zu sichern, wandte sich der nationale Teil gegen „Rettungspakete“ beziehungsweise den sogenannten Europäischen Stabilitätsmechanismus – dies würde auf Kosten des deutschen Steuerzahlers und damit des Inlandskonsums gehen.
Teile der inländisch orientierten Kapitalfraktion begannen dann, sich um Ökonomen wie Bernd Lucke zu organisieren, um Druck auf die Bundesregierung auszuüben. Im Jahr 2011 fand beispielsweise in Berlin eine Konferenz von 200 rechten Euro-Gegnern statt: Auf dem Podium sprachen sich Hans-Olaf Henkel und Beatrix von Storch für die Schaffung einer neuen Partei aus – die Geburtsstunde der AfD, die dann zwei Jahre später auch offiziell gegründet wurde. Neben ihnen saß Marie-Christine Ostermann für den Bundesverband Junger Unternehmer, der Tochterverband von „Die Familienunternehmer“.
Die Alternative für Deutschland ist der Versuch der organisierten Familienunternehmer, die eigenen Interessen parteipolitisch zu vertreten
In Deutschland war es dann auch ebendieser Lobbyverband, der sich für eine national ausgerichtete Politik und gegen Gesamteuropäische Krisenlösungen aussprach. Als die Bundesregierung jedoch den Interessen des transnationalen Exportkapitals (vor allem repräsentiert über den BDI, also etwa der Maschinen, Auto- und Chemieindustrie) folgte und einen griechischen Staatsbankrott verhinderte, geriet der Verband endgültig in Opposition. „DieAlternative für Deutschland ist der Versuch der organisierten Familienunternehmer, die eigenen Interessen parteipolitisch zu vertreten“, schrieb der Autor Andreas Kemper 2013 im Freitag.
Um 2016 distanzierte sich der Verband jedoch wieder von der AfD – einige der Mitbegründer wie der Ökonom Lucke waren mittlerweile aus der Partei hinausgedrängt worden, deren extrem rechter Kern trat immer offener zu Tage. Zur diesjährigen Bundestagswahl forderte man dann AfD-Erstwähler auf, „aus strategischen und patriotischen Gründen doch für die Wirtschaftswende-Parteien FDP, CDU oder CSU zu stimmen“. Eine taktische Entscheidung. Die aktuelle Erklärung kann nun wieder als offene Annäherung verstanden werden – im vollen Bewusstsein über die fortgeschrittene Radikalisierung der AfD.
Bisher scheint die deutsche Wirtschaft nicht zu kippen – doch wie lange noch?
Steht nun ein Kippen der deutschen Wirtschaft bevor? Aktuell sieht es noch nicht danach aus – auch, da bisher eben bestimmte deutsche Kapitalkreise kein ökonomisches Interesse an einer AfD-Regierung haben. Dies kann sich aber auch rasch ändern.
Gerd Wiegel, Leiter des Referats Demokratie, Migrations- und Antirassismus-Politik beim DGB-Bundesvorstand, erklärte jüngst in einer Analyse für die Rosa-Luxemburg-Stiftung, dass sich einige Konservative perspektivisch fragen, „mit wem sich innenpolitisch der Um- und Abbau des Sozialstaates und außenpolitisch eine deutsche Führungsrolle in Europa am leichtesten durchsetzen ließen“. Die von Merz angekündigte „Agenda 2030 ist die Agenda der AfD“, argumentierte auch der Autor Simon Grothe. Wenn sich die AfD bezüglich ihrer Positionen zu EU, NATO und Euro kompromissbereiter zeigt, würden auch bei vielen Unternehmern rasch die letzten Widerstände fallen.
Dass man auf Kapitalseite grundsätzlich flexibel ist, zeigte sich nicht zuletzt beim diesjährigen Berliner CSD: Zahlreiche Unternehmen hatten ihre Spenden eingestellt – wohl auch aus politischen Gründen.
Wie schnell die Stimmung der Wirtschaft umschlagen kann, kann man zudem bereits gut in den USA erkennen. Die rechte Trump-Regierung wird hier aktiv von der fossilen Brennstoffindustrie, Immobilienunternehmen, dem Finanzkapital und Tech-Milliardären getragen. Diese Gruppen versprechen sich von dieser Unterstützung größere Gewinne und nehmen die Faschisierung von Teilen der Gesellschaft dabei in Kauf – demokratische Institutionen und Klimapolitik werden rigoros abgeschafft, wenn sie die Geschäfte verhindern.
Noch ist man in Deutschland nicht an diesem Punkt. Dass sich der Verband der Familienunternehmer nun wieder aus der Deckung wagt, ist zugleich ein nicht überraschendes, aber doch gefährliches Zeichen. Wer wissen will, wie weit die AfD kommen kann, darf nicht nur auf die Umfragen schauen. Entscheidend wird ebenso sein, welche Kapitalfraktionen als Nächstes kippen – weil sie die Faschisten als nützliche Kraft betrachten.