Bänke: Eines Tages stand sie da

Eines Tages stand sie plötzlich da, direkt vor meinen Fenstern, so nah, dass ich oft verstehen konnte, was die Leute sagten, die auf ihr saßen. Sie war aus dunklem Holz, die Füße und Rückenstreben waren aus grauem, bläulich schimmerndem Stahl. Wenn ich um den Zionskirchplatz herumging, entdeckte ich noch mehr von diesen Parkbänken, die ich hier nie vorher gesehen hatte. Sie standen an den unmöglichsten Stellen: zu nah an parkenden Autos, neben Müllcontainern, direkt am ungemütlichen Rand des Bürgersteigs. Wer immer sie aufgestellt hatte, wusste offenbar nicht, dass der Platz, wo man saß, lag, stand, mit der Mauer, dem Fenster, der Lücke zwischen zwei Häusern, den unsichtbar erzitternden Baumkronen, die man von dort anschaute, eins sein musste, damit man wenigstens in diesem Moment eine Spur Glück empfand.

Als die neue Bank aufgetaucht war, hatten wir noch Winter. Keiner beachtete sie, keiner setzte sich. Es war kalt und regnete ständig, manchmal lag eine dünne weiße Decke aus Schnee auf dem dunklen, feuchten Holz, die sofort schmolz. Dann kam der Frühling, die Luft wurde wärmer, die Sonne schien fast jeden Nachmittag, aber die Bank blieb leer. Ich überlegte, ob ich mich einmal selbst hinsetzen sollte, wenigstens wenn ich aufs Taxi wartete, damit andere Leute auf die gleiche Idee kamen. Das machte ich ein-, zweimal, aber es machte mir keinen Spaß, dort zu sitzen, und wenn ich später von oben rausguckte, stand meine Bank immer noch allein, nutzlos und traurig da. Ich bekam fast ein bisschen Mitleid mit ihr, aber dann dachte ich, ich bin zu viel allein zu Hause, ich sollte mehr unternehmen, dann mache ich mir keine Gedanken mehr darüber, ob sich ein paar Holzbretter und Metallschrauben einsam und vernachlässigt fühlen.

Ich hatte die Bank fast schon vergessen, als ich dort an einem Nachmittag im Mai – oder war es schon Juni? – eine Frau um die 40 sitzen sah. Sie hatte ihre teure schwarze Prada-Handtasche neben sich auf den Sitz gelegt, die nackten Beine übereinandergeschlagen und sich eine Zigarette angesteckt. Nach ein paar Minuten kam ein Mann mit kurzem braunen Vollbart vorbei, der jünger war als sie und einen azurblauen Adidas-Anzug trug. Er blieb stehen, ging weiter, blieb wieder stehen, kam zurück und sagte zu ihr: „Wissen Sie, wie wunderschön Sie sind?“ Ein Laster fuhr vorbei, darum konnte ich auf meinem Balkon nicht hören, was sie antwortete. Er setzte sich zu ihr, sie redeten leise weiter, und plötzlich küssten sie sich.

Haben sich die beiden wirklich gerade erst kennengelernt?, dachte ich. Oder war es das Rollenspiel eines Paars, das von den alten Worten und Gesten genug hatte? Ich stellte mir vor, wie sie ihn dazu überredet hatte, oder nein, das war bestimmt seine Idee gewesen, und es war bestimmt nicht der einzige Film, den er in seiner dreckigen Fantasie abspielte. Ich wurde kurz wütend auf ihn, ich dachte, so kann man mit einer Frau nicht umgehen. Dann dachte ich wieder, ich bin zu viel allein zu Haus, ich drehe bald durch.

Je wärmer es wurde, desto öfter sah ich jetzt Leute auf meiner Bank. Ich versuchte, mir keine Geschichten zu ihnen auszudenken, aber es war schwer. Was war das Geheimnis der beiden Frauen – bestimmt Tochter und Mutter –, die ich vom Flohmarkt auf dem Arkonaplatz kannte, wo sie immer den größten Stand hatten? Die Tochter stand neuerdings am Ende des Tages mit Plastiktüten voller Pfandflaschen vor meiner Bank, sie ließ sich erschöpft fallen und legte den Kopf müde, wie verzweifelt, auf die Seite. Als die Mutter in einem kleinen weißen dreckigen Subaru mit Vollbremsung neben ihr anhielt, stieg sie wortlos und fast widerwillig ein. Jeden Abend, den ganzen Sommer lang. Hasste sie die Mutter, weil sie mit ihr immer noch in einem Bett schlief? Musste sie nachher vielleicht sogar in ihren Natascha-Kampusch-Keller zurück?

Und wann, fragte ich mich, würden die beiden Jungs, die mit ihren falschen Gucci-Täschchen und ausrasierten Barbershop-Nacken wie alle anderen Teenager aus dem nahen Wedding aussahen und an einem regnerischen Montagvormittag auf der Bank ein paar sehr teure, glitzernde Uhren ausbreiteten, endlich begreifen, dass ihr halb kriminelles Ghetto-Leben nicht die Antwort auf ihre existenziellen Fragen war? Und was war eigentlich mit dem großen, künstlich lächelnden Mann los, der oft abends gegen sieben, wenn die untergehende Septembersonne den Platz in ihr schönes weiches spätsommerliches Licht tauchte, allein auf der Bank saß und versuchte, in seinem bauchigen Weißweinglas ihre vergehenden Strahlen einzufangen? War er einsam? War er froh, für eine halbe Stunde seinen Kindern und seiner Frau entkommen zu sein? Hatte ihm sein Arzt gesagt, dass er nur noch ein paar Monate zu leben hatte?

Seit ein paar Tagen habe ich niemanden mehr auf der Bank gesehen – seit es so kalt geworden ist und ständig regnet. Dafür lag neulich ein riesiger Haufen mit zusammengekehrten braunen Blättern daneben, und noch am selben Tag kam ein orangefarbener Lkw mit einer riesigen Baggerschaufel. Während einer der Fahrer das Laub auf die Ladefläche schaufelte, saß der andere in seinem orangefarbenen Overall auf der Bank und rauchte eine Zigarette. Auf Wiedersehen, Sommer, dachte ich, während ich ihnen zusah, es wird schwer werden ohne dich und die Geschichten von meiner Bank.

Eines Tages stand sie plötzlich da, direkt vor meinen Fenstern, so nah, dass ich oft verstehen konnte, was die Leute sagten, die auf ihr saßen. Sie war aus dunklem Holz, die Füße und Rückenstreben waren aus grauem, bläulich schimmerndem Stahl. Wenn ich um den Zionskirchplatz herumging, entdeckte ich noch mehr von diesen Parkbänken, die ich hier nie vorher gesehen hatte. Sie standen an den unmöglichsten Stellen: zu nah an parkenden Autos, neben Müllcontainern, direkt am ungemütlichen Rand des Bürgersteigs. Wer immer sie aufgestellt hatte, wusste offenbar nicht, dass der Platz, wo man saß, lag, stand, mit der Mauer, dem Fenster, der Lücke zwischen zwei Häusern, den unsichtbar erzitternden Baumkronen, die man von dort anschaute, eins sein musste, damit man wenigstens in diesem Moment eine Spur Glück empfand.

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