„Das Wasser schmeckt, als würde man ein rostiges Eisenrohr auslutschen.“ Der Satz von Reiseführer Robert Hoge macht wenig Hoffnung, dass die so gesunde Quelle auch mundet. Doch die Hoffnung auf Verjüngung – die Einheimischen von São Miguel sprechen von mindestens 20 Jahren – lässt manchen Gläubigen dann doch beherzt zugreifen.
Robert Hoge, gebürtiger Tiroler, der auf einem Bauernhof unweit von Innsbruck aufwuchs und vor zweieinhalb Jahrzehnten der Liebe wegen auf die größte, wirtschaftlich bedeutendste und bevölkerungsreichste Azoren-Insel umgezogen ist, hat nicht übertrieben. Die Mineralquelle schmeckt nicht nur scheußlich, sie riecht auch penetrant nach einem Mix aus faulen Eiern und nassem Hund.
Wem die Trinkkur noch nicht den Rest gegeben hat, der kann im unverschämt üppig grünen Tal von Furnas noch mehr für das eigene Wohlbefinden tun. Menschen mit Gelenkbeschwerden planschen tapfer in der gelblich-braunen Brühe im Terra-Nostra-Park, lassen sich warme Schlammpackungen auf die wunden Glieder packen oder lustwandeln durch die herrlichen Parks des beschaulichen Ortes, der eine Mischung aus mondänem Kurort und verschlafenem Bauerndorf ist.
Nirgendwo auf São Miguel lässt sich die vulkanische Seite des Azoren-Eilandes besser entdecken als in Furnas, nur 50 Kilometer von der geschäftigen und fast schon großstädtisch wirkenden Inselhauptstadt Ponta Delgada entfernt. Am Rande des Dorfes schießen kochend-heiße Schwefelquellen in die Höhe; aus den Erdlöchern blubbern CO2-Bläschen wie in einer geöffneten Sprudelflasche. Dampfschwaden mit stechendem Geruch strömen aus Felsritzen, was Schriftsteller Mark Twain, nie um einen sarkastischen Spruch verlegen, mit den Worten quittierte: „Der Geruch von Schwefel ist für einen Sünder nicht unangenehm.“
Überall sind Ablagerungen von gelbem Schwefel und rotem Eisen zu entdecken. Ein Stück Hölle mitten im Paradies. Die Idee, mal kurz die Hand in eine der „Caldeiras“ zu strecken, lässt man besser bleiben: Die Caldeira Grande, die ergiebigste der 24 mineralreichen Quellen, sprudelt mit 98 Grad aus dem Boden und speist die Thermalbecken von Furnas – natürlich auf erträgliche Temperaturen gekühlt.
Ein Park mit exotischen Pflanzen aus aller Welt
Es war der betuchte Amerikaner Thomas Hickling, der den Grundstein für den Kurort in unmittelbarer Nachbarschaft zum Lagoa das Furnas gelegt hat. Der aus Boston stammende Kaufmann hatte ein Vermögen mit dem Orangenanbau auf der Azoren-Insel gemacht, besaß ein feudales Anwesen in Ponta Delgada und leistete sich die Villa „Casa do Parque“ im Tal von Furnas, das mitten in einem Vulkankrater liegt.
Die wilden Partys auf seinem Anwesen waren so legendär, dass die Einheimischen dem Sommerhaus den Namen „Yankee Hall“ verliehen. Nicht minder groß war seine Liebe zu exotischen Pflanzen aus der ganzen Welt. So gestalteten Thomas Hickling und die nachfolgenden Besitzer den Privatgarten in einen botanischen Park um, in dem Experten aus dem Schwärmen über all die international zusammengetragenen seltenen Baumexemplare nicht mehr herauskommen.
Hier wachsen Baumfarne, japanische Zedern, aber auch die immergrüne australische Wollemia nobilis, die aus den Urzeiten des Planeten zu stammen scheint. Heute gehört das zwölf Hektar große Gelände zur 1935 eröffneten Nobelherberge „Terra Nostra“, deren Gäste bis in die Abendstunden im wohlig-warmen Thermalbecken unter botanischen Raritäten verweilen.
Auf den Azoren wechselt das Wetter ständig
Den schönsten Blick auf den Kessel von Furnas haben Einheimische und Touristen vom Miradouro do Pico do Ferro – vorausgesetzt, die Kraterwände und die umliegenden Berge hüllen sich nicht in dichte Wolken. „Auf den Azoren wechselt das Wetter alle 30 Minuten“, versichert Robert Hoge. Deshalb sollte man sich nicht unbedingt auf das Azorenhoch verlassen, den Hochdruck-Klassiker schlechthin, der seinen Namen schlicht dem Umstand verdankt, dass es weit und breit keinen anderen Bezugspunkt als die abgelegene, zu Portugal gehörende Inselgruppe gibt.
Wenn eine steife Brise die tief hängenden Wolken wegpustet und sich die Sonne über dem lieblichen Tal Bahn bricht, tut sich eine Szenerie für Götter auf. 300 Meter tiefer spiegeln sich die spitzen Türme der aus Frankreich importierten, neugotischen Kapelle Ermida da Nossa Senhora das Vitórias in den Fluten des Lagoa das Furnas. Am Nordufer brodeln weitere Caldeiras: In den dortigen heißen Erdlöchern köcheln Familien am Wochenende das traditionelle Cozida, einen Eintopf aus sehr viel Fleisch, Gemüse, Kartoffeln und Yamswurzeln.
An den steil abfallenden Hängen sprießen Bäume, Büsche und Blumen dank ergiebiger Regenfälle das ganze Jahr über in solcher Pracht, dass der Hobbygärtner nur neidisch auf diese Fülle der Natur blicken kann. Azaleen mit Abertausenden Blüten konkurrieren mit blauen Hortensien, die als Windschutz der Felder gepflanzt wurden. Mammutblätter, bis zu eineinhalb Meter groß, wuchern entlang der Straße. Ganze Hänge verschwinden unter Massen von falschem Ingwer, der im August die Welt in Gelb taucht. Über allem thronen die Eisenholzbäume, deren rote Blüten filigranen Schmuckstücken gleichen.
Die vielen exotischen Pflanzen, die auf São Miguel wie auf den acht weiteren Azoreninseln gedeihen, sind übrigens das Resultat des Imponiergehabes der reichen Grundbesitzer. Die ließen sich einst ihre Gärten mit Pflanzen aus aller Welt bestücken, und „weil auf den Azoren jeder Setzling gedeiht, den man in die Erde steckt, breiteten sich die Pflanzen im Handumdrehen über die Inseln aus“, so Robert Hoge, der heute Exkursionen und Wanderungen in seiner zweiten Heimat organisiert.
Blick auf die spektakulären Kraterseen
Wer Krater sehen möchte, ist auf São Miguel goldrichtig. Einst lagen die rauchenden Ungetüme wie Solitäre im Meer. Erst mit der Zeit und zahllosen Eruptionen bildeten sich die Landbrücken zwischen den fauchenden Riesen aus. Rund um Ponta Delgada, das seinen Aufstieg der fast völligen Zerstörung von Vila Franca do Campo durch ein Erdbeben zu Beginn des 16. Jahrhunderts verdankte, finden sich unzählige Lavatuffkegel, die von jüngeren Ausbrüchen am Mittelatlantischen Rücken künden, wo die Kontinentalplatten aufeinandertreffen.
Der Vulkan beim Bauerndorf Sete Cidades, was übersetzt sieben Städte heißt, war einst 1200 Meter hoch und ein wichtiger Orientierungspunkt für die ersten Siedler, die Mitte des 15. Jahrhunderts auf São Miguel landeten. Doch dann flog die Landmarke während einer gewaltigen Explosion in die Luft und zurück blieb eine zwölf Kilometer breite Caldeira, die größte des gesamten Archipels.
Der Anblick des sattgrünen Kessels ist so atemberaubend schön, dass kein Werbeplakat, keine Broschüre auf das Postkartenmotiv verzichten kann. Mittendrin liegen die beiden Kraterseen Lagoa Azul und Lagoa Verde, die nur durch eine schmale Brücke voneinander getrennt sind. Die blaue und grüne Farbe der beiden Gewässer erklären Wissenschaftler durch die unterschiedlichen Tiefen.
Doch ein solch abgeschiedenes Paradies verlangt förmlich nach Sagen und Legenden. Einst sollen sich eine schöne Prinzessin und ein einfacher Hirte ineinander verliebt haben. Ihre heimlichen Treffen blieben nicht unbemerkt. Es kam, wie es kommen musste: Der König verbot die nicht standesgemäße Liebschaft und versprach das Töchterlein einem edlen Prinzen. Ein letztes Mal trafen sich die beiden Liebenden. Ihre bitterlichen Tränen aus blauen und grünen Augen füllten die beiden Seen.
Aus dem Luxushotel auf São Miguel wurde ein Lost Place
Wer auf dem Aussichtspunkt Vista do Rei steht, dem Spiel der Wolken auf dem See folgt und staunend die vielen unterschiedlichen Grüntöne aufsaugt, ist fast geneigt, die Geschichte von der Prinzessin und ihrem Hirten zu glauben. So überirdisch schön ist dieser Ort im Westen der Insel.
Aus der grandiosen Lage mit Blick auf Meer und Seen müsste sich doch Kapital schlagen lassen, dachte sich ein französisches Unternehmen, das Anfang der 1980er-Jahre wenige Meter oberhalb des Miradouros ein Fünf-Sterne-Hotel eröffnete. „Das Monte Palace war das luxuriöseste, was São Miguel je zu bieten hatte – mit goldenen Wasserhähnen, Theater und Spielcasino“, erzählt Robert Hoge.
Doch schon nach einem Jahr machte die Luxusherberge ihre Pforten dicht, es fehlten ganz einfach die Gäste. Die Betreiber verschwanden nach Frankreich, um neues Geld aufzutreiben und wurden nie wieder gesehen. Später kauften Chinesen die Nobel-Immobilie für 1,2 Millionen Euro. Doch viel geschehen ist seitdem nicht und so rottet das einstige Vorzeigeprojekt der windgepeitschten, sturmerprobten Insel São Miguel vor sich hin: ein Dorado für Lost-Places-Jäger mitten in den Weiten des Atlantiks.
Tipps und Informationen:
Anreise: TAP Air bietet täglich Flüge von Frankfurt nach Ponta Delgada mit Zwischenstopp in Lissabon an. Azores Airlines fliegt zweimal die Woche ab Frankfurt nach Ponta Delgada und bedient von dort aus die übrigen Azoren-Inseln. Lufthansa fliegt einmal pro Woche ab Frankfurt nach Ponta Delgada mit Zwischenlandung in Lissabon.
Unterwegs auf der Insel: Das öffentliche Busnetz ist sehr dünn geknüpft. Wer abgelegene Orte besuchen möchte, muss sich Touren anschließen oder einen Mietwagen buchen. Bis zu 100 Euro pro Tag verlangen die Agenturen vor Ort für einen kleinen Wagen. Versicherungen kommen dazu.
Beste Reisezeit: Auf den portugiesischen Inseln herrscht subtropisches ozeanisches Klima. Es gibt keine großen Schwankungen zwischen den Temperaturen im Sommer und Winter. Von Juni bis August herrschen die stabilsten Wetterverhältnisse. Allerdings sollte man immer Regenschutz dabeihaben.
Übernachten: Einfache Unterkünfte gibt es bereits für 35 Euro pro Nacht im Doppelzimmer. Die meisten Hotels finden sich direkt in Ponta Delgada, einige direkt an der Uferpromenade. Schöne Strandhotels gibt es an der Südküste.
Ausflüge: In Ponta Delgada kann man Touren jeder Art buchen – abenteuerliche Trips mit dem Jeep, aber auch Wanderungen. Robert Hoge bietet ganztägige Touren an, die zu den schönsten Aussichtspunkten von São Miguel führen. Kosten: 85 Euro pro Person (azorenguiderobert.com).
Extratipp: Unweit des Ortes Maia an der Nordostküste von São Miguel liegt die Teefabrik Gorreana. In dem seit 1883 existierenden Betrieb werden jährlich etwa 40 Tonnen Tee hergestellt. Wer möchte, kann einen Blick in die Produktionshallen mit ihren altertümlichen, aber voll funktionsfähigen Maschinen werfen (gorreana.de).
Auskünfte: visitazores.com/de
Source: welt.de