Elitär und chauvinistisch – Vorurteile über französische Führungskräfte halten sich hartnäckig. Mit der Realität haben sie nur (noch) wenig zu tun. So ist Frankreich gerade in der Unternehmenswelt viel moderner, als viele auf der anderen Rheinseite glauben. Die Managementstile mögen sich unterscheiden. Franzosen gelten als kreativer, Deutsche als perfektionistisch.
Schlechtes Englisch und Männerbünde aus Absolventen französischer Eliteschulen aber sind in den Führungsetagen großer Unternehmen praktisch nicht mehr anzutreffen. Das liegt auch daran, dass die Konzerne aus dem Börsenleitindex CAC 40 heute mehr als drei Viertel ihres Geschäfts im Ausland tätigen. Das zwingt zur Internationalisierung.
„Die europäische Perspektive ist in den Unternehmensführungen präsenter als in Deutschland“, sagt Annette Messemer. Auch viele Verwaltungsräte seien europäischer besetzt als deutsche Gremien. Die gelernte Investmentbankerin, die 15 Jahre lang für J.P. Morgan und Merrill Lynch tätig war und anschließend die WestLB kontrolliert und für die Commerzbank gearbeitet hat, muss es wissen.
Gleich vier Verwaltungsratsposten bekleidet Messemer heute in der französischen Wirtschaft. Dazu gehören der Bauriese Vinci, das Rohstoffunternehmen Imerys, der Molkereikonzern Savencia und die Großbank Société Générale, wo ihr Mandat diese Woche bestätigt worden ist. Die gebürtige Pfälzerin hat damit in Frankreich viel zu sagen, deutsche Staatsbürgerschaft hin oder her.
Die Liste lässt sich fortsetzen
Und sie ist alles andere als ein Einzelfall. Während sich auf politischer Ebene zwangsläufig nationale Entscheidungsträger mit nationalen Interessen gegenüberstehen, sind Deutsche in Führungspositionen von französischen Unternehmen genauso verbreitet wie umgekehrt. Die enge Zusammenarbeit beschränkt sich längst nicht nur auf Airbus, dem wohl europäisiertesten aller Großkonzerne.
Gleich zwei Deutsche stehen inzwischen gar an der Spitze von CAC 40-Konzernen: der Kölner Thomas Buberl bei Europas zweitgrößtem Versicherer Axa und der Saarländer Peter Herweck beim Siemens-Konkurrenten Schneider Electric. Bei Letzterem sitzt mit dem früheren Hewlett-Packard-Chef Léo Apotheker zudem ein Deutscher im Verwaltungsrat.
Buberl ist seit bald acht Jahren im Amt und sei mittlerweile „der französischste aller CAC 40-Chefs“, sagt ein Pariser Berater anerkennend. Er pflegt einen guten Draht in die französische Politik bis hinauf zu Präsident Macron und hat inzwischen neben dem deutschen und schweizerischen auch einen französischen Pass.
Wichtiger Posten
Die Liste der Deutschen in Frankreichs Führungsetagen lässt sich fortsetzen. So ist Diana Schillag seit bald 30 Jahren beim Industriegasekonzern Air Liquide und heute im Vorstand verantwortlich für den Gesundheitsbereich, Nachhaltigkeit und den globalen Einkauf.
Auch der Ex-Siemensianer Bernhard Quendt bekleidet als Technikchef des Elektronik- und Rüstungskonzerns Thales einen wichtigen Posten, während Iris Knobloch neben ihrem Amt als Präsidentin des Filmfestivals von Cannes auch in den Verwaltungsräten des Hotelkonzerns Accor und des Streaminganbieters Deezer sitzt.
Juergen Esser wiederum verantwortet beim Lebensmittelkonzern Danone die Finanzen, Norbert Gorny beim Luxusgüterriesen EssilorLuxottica das operative Geschäft und Heinz-Jürgen Löw beim Autohersteller Renault die Nutzfahrzeugsparte.
Und damit nicht genug: Als da wäre Thomas Lingelbach, der dem französischen Impfstoffhersteller Valneva vorsteht, Sibylle Scherer als Präsidentin des Champagnerhauses Moët & Chandon, dessen neue Marketingchefin Isabel May ebenfalls Deutsche ist, oder der Deutsch-Franzose Patrick Koller an der Spitze des Autozulieferers Forvia.
Im Joballtag verschwimmen die Grenzen
In der französischen Start-up-Szene trifft man ebenfalls auf den einen oder anderen Deutschen. Etwa auf Maximilian Bittner, den Geschäftsführer der Secondhandmodebörse Vestiaire Collective, und dessen Marketingchefin Marie-Christin Oebel. Außerdem übernimmt zum 1. Juni Rolf Heinz die Leitung des Medienhauses L’Équipe. Und wenn auch nicht in Spitzenämtern, so sind selbst in der französischen Notenbank fünf Ökonomen mit deutschem Pass beschäftigt.
„Unternehmen bauen sehr viele Brücken zwischen Deutschland und Frankreich“, sagt die Air-Liquide-Vorständin Schillag. Ihr Unternehmen sei in beiden Ländern an vielen Projekten der Energiewende beteiligt und damit ein gutes Beispiel dafür, dass die enge Zusammenarbeit längst Alltag ist. „Das zeigt, dass es geht und die deutsch-französische Lokomotive viele Chancen bietet“, so Schillag.
Persönlich fühlt sich die gebürtige Hamburgerin schon lange als Europäerin. Sie merke, dass sie so einiges von der französischen Kultur angenommen habe, wie zum Beispiel der Fokus auf den Menschen und nicht nur die Sache, sie zugleich aber immer noch eine deutsche Prägung habe. „Ich bin für französische Verhältnisse recht direkt und bringe die Dinge gerne auf den Punkt“, erzählt sie.
Im Joballtag verschwimmen dann die Grenzen. Französisch zu sprechen ist und bleibt für den Dialog mit den lokalen Mitarbeitern ein Pluspunkt. Aber längst nicht nur bei Air Liquide ist Englisch heute Geschäftssprache, und zwar auch bei allen Sitzungen von Vorstand und Verwaltungsrat. Zahlen der Berater von Russell Reynolds belegen den Trend hin zu mehr Internationalität.
So sind in den 120 größten börsennotierten französischen Konzernen inzwischen 22 Prozent der Geschäftsführer Nichtfranzosen. Vor drei Jahren waren es 15 Prozent. Bei der Berufung von Verwaltungsräten fiel die Wahl seit Ende der Pandemie sogar zu 57 Prozent auf Nichtfranzosen, davor waren es erst 34 Prozent.