Außerirdisches Leben: Die neuen Ufo-Aktivisten

Die neuen Ufo-Aktivisten – Seite 1

Wer Ufo sagt, vollzieht einen paradoxen Sprechakt. Er nennt ein
Flugobjekt unidentifiziert und identifiziert es doch im selben Moment. Denn
wer Ufo hört, klar, der hört Raumschiff, hört Außerirdische. Nachdem die
Weltöffentlichkeit tagelang und terminologisch korrekt von Ufos über Alaska und
Kanada gefesselt war, sah sich das Weiße Haus schließlich zu einer Klarstellung
veranlasst: „Es gibt keinen – nochmals – keinen Hinweis auf Aliens oder
außerirdische Aktivitäten bei den jüngsten Abschüssen.“

Glück gehabt. Trotzdem verbleibt, wenn man sich das Statement auf der
Zunge zergehen lässt, ein leicht surrealer Nachgeschmack. Die
Selbstverständlichkeit, mit der hier einen Nachrichtenzyklus lang über die
Unglaublichste aller Möglichkeiten spekuliert wurde, ist mehr als ein Ausdruck
unserer popkulturellen Langzeitobsession mit außerirdischen Besuchern. Sie ist
auch das Resultat einer gezielten Kampagne in den USA, die der Ufo-Hypothese in
den vergangenen Jahren zu ungekannter Akzeptanz in Medien, Politik und
Wissenschaft verholfen hat.

Es
ist nicht allzu lange her, da war das Intro von Akte X so etwas wie der
popkulturelle Klingelton des Humbugs. Ufos und Außerirdische lebten im absoluten
Jenseits der Vernunft, und wer von ihnen als mehr als einer stochastischen Wahrscheinlichkeit
des Universums sprach, musste ebenfalls dort leben. Dann schien plötzlich alles
anders. Die New York Times deckte 2017 die Existenz eines Ufo-Programms
der amerikanischen Regierung auf
, angesiedelt im Pentagon und finanziert durch
den Kongress. Die im Zuge der Enthüllung veröffentlichten Videos amerikanischer
Kampfpiloten zeigten unidentifizierbare Objekte in der berückenden
Uneindeutigkeit des Infrarots, Pixelsilhouetten, die durch Wolken flogen oder
dicht über den Wogen des Atlantiks hinweg. Das Pentagon bestätigte später die
Authentizität der Aufnahmen.

Seither
konnte man sich des Eindrucks nicht erwehren, an der Schwelle eines neuen
Zeitalters zu stehen
. „Beinahe täglich“ sei es zu mysteriösen Sichtungen
gekommen, berichtete der Veteran Ryan Graves in der Nachrichtensendung 60
Minutes
. Seine 2004 auf dem
Flugzeugträger USS Nimitz stationierten Kollegen David Fravor und Alex Dietrich
schilderten ihre Begegnungen mit einem weißen Fluggerät, das einer riesigen
Tic-Tac-Pastille geglichen habe und zu fantastischen Manövern und Geschwindigkeiten weit
jenseits aller gegenwärtigen Technik in der Lage zu sein schien. Auch in
Deutschland fragte der Spiegel in einer Titelgeschichte: Sind wir noch
allein? Der Büchner-Preisträger Clemens J. Setz prophezeite in einem Essay für
die ZEIT: „Die Existenz der unbegreiflichen Flugobjekte abzustreiten wird wohl
bald ähnlich albern wirken, wie die Existenz von Elektrizität oder Viren
abzustreiten.“

Und
die Sichtungen gehen weiter. „Die US-Regierung hat mehr als 350 neue Ufo-Fälle
gesammelt“, titelte CNN, als im Januar der jährliche Regierungsbericht in
Sachen Ufo-Sichtungen erschien, zu dem das US-Verteidigungsministerium seit
2021 per Gesetz verpflichtet ist. In einem Videobeitrag verkündete die
Washington Post wenige Tage zuvor lapidar: „Ufos sind real und die Regierung
nimmt sie endlich ernst.“ Stellt sich die Frage: Warum eigentlich? Wieso nimmt
das politische Washington die unidentiefied
aerial phenomena
(UAP), wie die mysteriösen Sichtungen im Regierungsjargon genannt
werden, ernst genug, um ihnen Gesetze, Anhörungen und Analyseteams zu widmen?
Wer danach fragt, warum die Regierung tut, was sie tut, noch dazu die
amerikanische, findet sich selbst rasch im zwielichtigen Cui bono des
konspirativen Denkens wieder.

Trotzdem ist es plausibel, einen Zusammenhang
zwischen der medialen und der politischen Konjunktur des Phänomens zu
vermuten. Dabei konnte man in den letzten Jahren eine Art
Glaubwürdigkeitsspirale beobachten, in der das Ufo als Diskursobjekt kreist. Seriöse Medien verweisen auf die
amerikanische Regierung, die Ufos für mindestens real genug halte, um zu
ermitteln. Die Berichterstattung von New York Times und anderen wiederum
verleiht dem Thema erst den Tatsachencharakter, aus dem politische
Entscheidungsträger wie die demokratische Senatorin Kirsten Gillibrand einen
medienwirksamen Handlungsauftrag ableiten. Bei näherem Hinsehen zeigt sich
jedoch, dass der Glaube an Ufos auch heute ist, was er immer war: eine
Verschwörungsideologie ohne Beweise oder überzeugende Indizien für die extraterrestrischen
Piloten.

Angebliche Beweise

Die
zeitgenössische Variante des Glaubens an Ufos unterscheidet sich allerdings
frappierend von den typischen Verschwörungserzählungen unserer Zeit. Mehr noch, in
ihren Argumenten und Affekten markiert sie geradezu einen Gegenpol zu
Strömungen wie QAnon, dem Great Reset oder Querdenkern. Die moderne Ufo-Bewegung
beschwört das Ideal einer vorurteilsfreien Wissenschaft, sie hat ein im Kern
positives Verhältnis zur Regierung und den seriösen Leitmedien. Die moderne
Ufo-Bewegung zielt auf die Akzeptanz durch diese Institutionen und auf
Anschlussfähigkeit für ein Milieu, das man im amerikanischen Kontext verkürzt
als das „liberale Establishment“ in Wissenschaft, Medien und Politik fassen
kann.

Folgerichtig
gilt der Glaube an Ufos bei anderen, eher rechten Verschwörungserzählungen (wie
dem Great Reset) aktuell als eine Inszenierung linker globalistischer Eliten.
Wenig verwunderlich, könnte man einwenden – wer Fremde hasst, fürchtet sich
vermutlich umso mehr vor Außerirdischen als den ultimativ Fremden, und wer seine
körperliche Unversehrtheit durch Impfungen bedroht sieht, ist wohl auch kein
Freund der berühmten Analsonde aus der Alienfolklore. Bei alldem ist der
Ufo-Glauben als solcher natürlich kein irgendwie liberales oder progressives Monopol.
In den vergangenen Jahren ist der rechtsradikale Fox-News-Moderator Tucker Carlson
durch sein reges Interesse an Ufos aufgefallen und der Podcast des
Impfskeptikers Joe Rogan bietet Ufo-Storys eine reichweitenstarke Plattform.
Zudem hat das Ufo in der gegenwärtigen Debatte in den USA hochrangige
Unterstützer aus den Reihen der Republikaner wie den Senator Marco Rubio oder
den Abgeordneten Mike Gallagher, der Spitzenbeamte des Pentagons mit angeblichen
Beweisen für bruchgelandete Ufos konfrontierte
.

Aus
dem Mund eines republikanischen Spitzenpolitikers überraschen derlei
Verrücktheiten niemanden mehr. Umfragen zeigen jedoch, dass der Glauben an
außerirdische Besucher in den USA
unter Wählern der Demokraten mindestens
genauso stark, wenn nicht sogar stärker als unter Republikanern verbreitet ist.
Wirklich erstaunlich ist, dass in den vergangenen Jahren prominente, ja die
prominentesten Vertreter der Demokraten und des liberalen Establishments
maßgeblich zur öffentlichen Legitimierung des Ufos beigetragen haben. Der
langjährige Mehrheitsführer der Demokraten im Senat, Harry Reid, war die
treibende parlamentarische Kraft hinter dem Ufo-Programm des Pentagons, das bis
2017 vom Militärgeheimdienstler Luis Elizondo geleitet wurde. Reid bekannte
sich stolz zu dem Programm, als die New York Times dessen Existenz
offenlegte, und bestätigte in einem öffentlichen Brief Elizondos Tätigkeit, an
der Zweifel laut geworden waren
. Ungleich größere mediale Wirkung entfalteten
die Statements des ehemaligen Präsidenten Barack Obama, der in einer Late-Night-Show bekräftigte, dass die unerklärlichen Objekte am Himmel der weiteren
Erforschung bedürften
. Später ließ sich
Obama im Podcast des liberalen Lieblingsintellektuellen Ezra Klein, der
seinerseits fasziniert von Ufos ist, zu den Folgen einer hypothetischen
Kontaktaufnahme befragen. 

Obamas
Nachfolger Donald Trump konnte sich öffentlich stets nur zu halbherzigem
Interesse aufraffen. Die Demokratin Hilary Clinton dagegen, selbst Ziel
krudester rechter Verschwörungserzählungen, machte 2016 die Veröffentlichung
geheimen Regierungswissens über Ufos zu einem Versprechen ihres Wahlkampfs.
Neben Popularitätskalkül war dafür wohl auch Clintons Wahlkampfleiter John
Podesta verantwortlich, der für sein Interesse an Ufos bekannt ist. Podestas gehackte
E-Mails auf WikiLeaks legen nahe, dass er sich rege mit dem Ufo-Aktivisten Tom
DeLonge ausgetauscht hat, Frontmann der Poppunkband Blink-182, der von
geborgenen Ufos in den Hangars des Rüstungskonzerns Lockheed Martin zu wissen
glaubt.

Man
kann davon ausgehen, dass weder Barack Obama noch Hilary Clinton überzeugte
Anhänger der Extraterrestrik sind. Ihre Neugierde angesichts der unbekannten
Phänomene am Himmel ist aber durchaus Ausdruck und Teil eines kulturellen
Moments, einer kollektiven Faszination. Dieser Moment ist mehr als eine
Bewegung des Zeitgeists, mehr als die zyklische Rückkehr einer Angstlust vor
dem Fremden, der Invasion und möglicher Rettung durch eine überlegene
Intelligenz, die Amerika und die Welt schon in früheren Jahrzehnten heimsuchte.

Die Rückkehr des Ufos ins kulturelle Bewusstsein ist das Ergebnis von gezielter
Arbeit einer relativ kleinen, eng vernetzen Gruppe von Aktivisten. Indem diese
Aktivisten zentrale Werte der unter Druck geratenen liberalen Demokratien
anrufen – die vorurteilsfreie Wissenschaft, die Glaubwürdigkeit der Medien, die
Transparenz der Regierung – haben sie dem Außerirdischen als Gesprächsthema
innerhalb weniger Jahre vom Alu- zum Doktorhut verholfen. Ein genauerer Blick
hinter die rhetorische Kulisse der neuen Ufo-Bewegung offenbart jedoch ein
seltsames Desinteresse der rationalen Kontrollmechanismen ebendieser
Institutionen. Wir haben es, weniger pathetisch formuliert, mit ziemlichem
Quatsch zu tun, aber bislang sagte es kaum jemand.

Erstes
Beispiel: die Wissenschaft. Historisch stand die universitäre Welt dem Ufo skeptisch
bis feindselig gegenüber. Bekannt ist der Fall des Psychologen John Mack, dem
die Universität Harvard die Professur entziehen wollte, als dieser begann,
einen Großteil seiner Zeit und Reputation den Opfern vermeintlicher Entführungen
durch Aliens zu widmen. Seit einiger Zeit bekennt sich jedoch eine kleine, aber
wachsende Zahl von Akademikern zum Ufo als Forschungsgebiet. Der in Ohio
lehrende Politikwissenschaftler Alexander Wendt fordert eine Antwort der
politischen Theorie auf die fortwährende Penetration des Luftraums souveräner
Staaten durch die Ufos. Die Theologin Diana Walsh Pasulka begreift den Glauben
an Ufos als spirituelle Praxis. Selbstverständlich sind nicht alle diese
Wissenschaftler selbst Ufo-Gläubige. In Deutschland sucht Hakan Kayal,
Professor für Raumfahrttechnik
, vom Dach der Universität Würzburg mit optischen
Sensoren und künstlicher Intelligenz ergebnisoffen nach ungewöhnlichen
Flugobjekten. Auch die UAP-Studiengruppe der amerikanischen Weltraumagentur
Nasa will erst einmal untersuchen, ob es überhaupt etwas zu untersuchen gibt.

Knöpfe außerhalb der Erde

Wie
stark kann man an Aliens glauben, ohne vom Wissenschaftler zum Aktivisten zu
werden? Während für Anhänger esoterischer Bewegungen, etwa der Homöopathie, die
Ablehnung der akademischen Forschung und Schulmedizin ein
identitätsstiftendes Moment ist, berufen sich überzeugte Ufo-Aktivisten
offensiv auf die methodischen Ideale der Wissenschaft, auf den liberaldemokratischen
Imperativ des Follow the Science.

Selbstbewusst wird der Begriff des Paradigmenwechsels angerufen, mit dem der
Wissenschaftsphilosoph Thomas Kuhn beschrieben hat, wie eine anschwellende
Menge an Anomalien in der Beobachtung dazu führt, dass sich in der Wissenschaft
gänzlich neue Erklärungsmodelle jenseits der akzeptierten Theorien Bahn brechen.
Entsprechend bewirbt etwa der in Harvard lehrende Astronom Avi Loeb sein im
Juli 2021 enthülltes Galileo-Projekt. Wie sich einst die Zeitgenossen Galileos weigerten,
die heliozentrische Realität durch das Fernrohr zu erblicken, sollen die
Teleskope des Galileo-Projekts zukünftig den Himmel nach unbekannten
Flugobjekten absuchen, die unsere bisherigen Weltmodelle ins Wanken bringen. Im
Frühjahr will Loeb am Meeresgrund nach Fragmenten eines 2014 vor
Papua-Neuguinea niedergegangenen Objekts suchen, bei denen es sich um
Bruchstücke eines interstellaren Meteors handeln könnte, nach Loebs Vermutung aber
auch um ein technisches Artefakt einer anderen Zivilisation, ein Sonnensegel
womöglich
. Freimütig bekennt Loeb seinen Traum, „auf einem außerhalb der Erde
gefertigten Gerät ein paar Knöpfe zu drücken“.

Loeb
selbst ist ein angesehener Forscher, kein Evangelist des Ufo-Glaubens. Dennoch
sucht er Kontakt zum eng vernetzten Kreis der neuen Ufo-Bewegung. Die Website
seines Galileo-Projekts listet eine Reihe bekannter Namen der Szene: Der
ehemalige Leiter des Ufo-Programms im Pentagon, Luis Elizondo, ist ein
assoziiertes Mitglied, ebenso der Ex-Staatssekretär Christopher Mellon, der die
viel gespielten Navy-Videos an die New York Times weitergab und seitdem
als Lobbyist in Washington für Ufo-Gesetzgebung wirbt.

Teil des Galileo-Forschungsteams ist auch ein
Mathematiker, der für einen Fonds des rechtslibertären Techmilliardärs Peter
Thiel arbeitet. Das öffentliche Interesse des Silicon Valleys scheint bislang
auf Einzelfiguren wie den früheren Facebook-Investor Sean Parker begrenzt, der
jüngst eine UAP-Konferenz finanzierte, bei der neben Aktivisten wie Elizondo
offenbar auch Lady Gaga anwesend war. Großen Einfluss in der Ufo-Bewegung haben
indes die Thesen des 1939 geborenen Valley-Veterans und Wagniskapitalisten
Jacques Vallée, der bereits als Vorbild für die Figur des französischen Wissenschaftlers im Film Unheimliche Begegnung der dritten Art diente. Vallées Ideen laufen
darauf hinaus, dass wir es nicht mit außerirdischen Piloten zu tun haben (warum
sollten diese auch seit Jahrzehnten ständig auf der Erde aufkreuzen?), sondern
mit einem weitaus komplexeren Phänomen, das sich aus einer anderen Dimension
geisterhaft in der unseren manifestiert, physische Realität und Trick des
Bewusstseins zugleich.

Der in Stanford lehrende Immunologe Garry Nolan, auch er
Teil des Galileo-Teams, nennt Vallée einen Freund und Mentor. Nolan wurde in
der Ufo-Szene zunächst als skeptische Stimme bekannt, als er 2013 per Genanalyse
die zweifelsfrei menschliche Herkunft des sogenannten Atacama-Babys
nachweisen konnte, der tatsächlich sehr außerirdisch anmutenden Mumie eines mit
mehreren Fehlbildungen tot geborenen Kindes. Nolan ist seitdem offensichtlich tiefer
eingestiegen und heute ein häufiger Gast in abseitigen Podcasts und
YouTube-Shows, die das mediale Ökosystem der zeitgenössischen Ufologie bilden.

Die Ufo-Suche als Hütchenspiel

Dort
berichtet er von den Aliens, die ihn und seine Geschwister als Kinder im
Schlafzimmer aufsuchten, und einem Ufo, das er als Teenager beim
Zeitungaustragen gesichtet hat. Natürlich, auch jemand mit derartigen
Erfahrungen kann ein guter, ja herausragender Wissenschaftler sein. Den
Eindruck, dass Nolan sich seiner Materie ausschließlich mit der
Unvoreingenommenheit des Forschers widmet, hat man indes nicht gerade – voll aktivistischem
Eifer liefert er sich auf Twitter Wortgefechte mit dem Ufo-Skeptiker Mick West,
dem es immer wieder gelingt, verblüffend irdische Erklärungen für Sichtungen zu
finden und sogar für jene Videoaufnahmen, die angeblich selbst die Experten der
US-Regierung nicht aufklären konnten.

In
Wirklichkeit stehen Figuren wie Loeb oder Nolan mit ihrer Forschung ziemlich
allein da. Trotzdem fühlen sich beide nach eigener Aussage von ihren
Universitäten Harvard und Stanford wohlwollend unterstützt, nennenswerter
Widerspruch oder gar Widerstand aus der akademischen Community regt sich
bislang nicht
. Warum nicht? Zum Teil
liegt dies auch am Erfolg der Ufo-Aktivisten selbst, die die Institutionen der
liberalen Demokratie gegeneinander ins Spiel bringen, um ein der Erforschung
harrendes Phänomen zu suggerieren. Es ist eine Art Hütchenspiel – Wissenschaft,
Leitmedien oder Politik –, irgendwo werden sich die Beweise für das Ufo schon
verstecken.

Zweites Beispiel: die Politik. Welche
Behörde, welcher Abgeordnete wollte sich der Forderung nach Transparenz, einem
Kernanliegen moderner Good Governance, schon widersetzen? Noch dazu bei einem
Thema, das die Öffentlichkeit brennend interessiert? Am Ende könnte der
Eindruck entstehen, man habe tatsächlich etwas zu verbergen. In den vergangenen
Jahren haben Ufo-Aktivisten in den USA auf diesem Weg Anhörungen im Parlament,
offizielle Berichte des Pentagons und weitreichende Gesetzgebung auf den Weg
gebracht. Diese Bereitschaft des politischen Systems zu Transparenz wird dann
im gleichen Zug genutzt, um „die Regierung“ rhetorisch als eine Art objektiven
Wahrheitsgarant in Stellung zu bringen. Wer, wenn nicht die Regierung, könnte
die Realität von Ufos bestätigen?

Das
Problem? Auch die Regierung besteht aus Individuen, darunter solchen mit eher
merkwürdigen Ideen, für die Angehörige der Geheimdienste vielleicht besonders
anfällig sind. Der Immunologe Garry Nolan erzählt von einigen Wissenschaftlern
im langjährigen Dienst amerikanischer Geheimdienste, die ihn nach der
Geschichte mit dem Atacama-Baby in seinem Büro aufsuchten. Sie wollten Nolan
für die Erforschung einer mysteriösen Strahlenkrankheit gewinnen, die
amerikanische Soldaten nach vermeintlichem Ufo-Kontakt entwickelt hätten. Wie
man in dem 2009 verfilmten Buch The Men
Who Stare at Goats
nachlesen kann, war dieselbe Gruppe an
Wissenschaftlern bereits in das Ende der Siebzigerjahre gestartete
Stargate-Projekt involviert, bei dem amerikanische Geheimdienste die
paranormalen Fähigkeiten angeblicher Hellseher
nutzbar machen wollten.

Ufologen
nehmen gemeinhin an, dass die Wahrheit über abgestürzte Raumschiffe von einer
Verschwörung innerhalb der Regierung geheim gehalten wird – dadurch wird der
Glaube an Ufos ja erst zur Verschwörungstheorie. Nicht selten werden den
Verschwörern dabei eher wohlmeinende, paternalistische Motive unterstellt, wie
jenes, dass die Öffentlichkeit für die „Wahrheit“ noch nicht bereit sei. Und
gerade weil man die Wahrheit irgendwo im Staatsapparat versteckt glaubt, kann
aktivistisch um die Regierung als ultimative Verbündete im Kampf um die
Wahrheit gerungen werden. Geradezu systematisch ausgeblendet wird dabei die
Möglichkeit, dass auch der Staat immer wieder auf Illusionen und Scharlatane hereinfallen
kann.

Drittes
Beispiel: die Medien. Der 2017 in der New York Times erschienene Artikel
über das Ufo-Programm des Pentagons markierte den spektakulären Wiedereintritt
des Ufos in die Glaubwürdigkeitssphäre. Das Ufo-Programm der Regierung hatte
tatsächlich existiert, es hörte auf die unhandlichen Akronyme AAWSAP und später
AATIP und wurde durchgeführt vom exzentrischen Immobilientycoon Robert Bigelow,
der ein Raumfahrtunternehmen in Las Vegas betrieb. Ab 2008 analysierte Bigelows
Team die Ufo-Sichtungen von Angehörigen der amerikanischen Streitkräfte und
nachdem später der Bigelow-Vertrag nicht verlängert wurde, führte der
Militärgeheimdienstler Luis Elizondo das Programm als loses Netzwerk ohne
eigene Finanzierung im Pentagon
weiter.

Es
waren fantastische Dinge, von denen hier berichtet wurde, fantastisch, aber offenbar
durch das strenge Fact-Checking der Times gedeckt. Noch fantastischer
allerdings ist, was die Autoren nicht berichteten. So ist Milliardär Robert Bigelow,
der dank seiner Freundschaft zu Senator Reid den Zuschlag für das Ufo-Programm
erhielt, seit Langem bekannt für seine outrierten Obsessionen. Sie reichen vom
Weiterleben im Jenseits bis zu Poltergeistern, Telekinese, Bigfoot, Werwölfen und
interdimensionalen Portalen. All diese Phänomene hat Bigelow dann auch im Zuge
des Ufo-Programms auf seiner Ranch in Nevada studieren lassen.

Es reicht tief bis in die Gesetzgebung

Wieso
tauchen diese Informationen, die das Ufo-Programm in ein völlig aberwitziges
Licht rücken
, in der Berichterstattung der New
York Times
nicht auf? Wussten die Autoren nichts vom esoterischen Teil der
Geschichte? Unwahrscheinlich. Eine der beteiligten Autorinnen, Leslie Kean, schrieb
damals schon seit Jahren über Ufos, von deren Realität sie überzeugt ist. Auch
die Rolle Bigelows als Financier des Paranormalen ist in Ufo-Kreisen seit Langem
bekannt, bereits früher hatte er Pseudowissenschaftler aus alten
Stargate-Zeiten um sich geschart, um Alien-Entführungen und
Rinderverstümmelungen zu untersuchen.

Der
Journalist Gideon Lewis-Kraus hat treffend die Angewohnheit Keans beschrieben,
abstrakt über die öffentliche „Wirkung der Times-Story“ zu sprechen, als sei
nicht sie selbst die Autorin ebendieser Story. Und tatsächlich muss man den
Eindruck haben, dass Kean und Co-Autor Blumenthal das Ufo-Programm bewusst
seriöser darstellten, als es in Wahrheit war. Ihr Interesse war dabei kein
journalistisches, sondern ein aktivistisches
: Wenn erst die New York Times über Ufos schrieb, mussten auch die Politik und andere
Medien das Thema Ufos ernst nehmen. Die übliche zirkuläre Logik der Ufologie –
doch das Kalkül ging auf. Die eigentliche Geschichte des Ufo-Programms, eine
Geschichte der Verschwendung öffentlichen Geldes auf der Suche nach Aliens,
Geistern und Werwölfen, kommt weder in späterer Berichterstattung der Times
noch im öffentlichen Diskurs vor.

Stattdessen präsentiert sich heute, fünf Jahre
später, das Bild einer Gruppe von eng vernetzten Aktivisten, denen es gelungen
ist, kleine, aber nicht unwichtige Teile der staatlichen Organe, der seriösen
Medien und Ränder des Wissenschaftssystems davon zu überzeugen, das Ufo als
extraterrestrische Realität und Forschungsauftrag ernst zu nehmen.

Die
Erfolge der Ufo-Aktivisten reichen bis tief in die amerikanische Gesetzgebung.
Der diesjährige National Defense
Authorization Act verpflichtet das Pentagon zur Offenlegung seines
gesammelten Wissens über Ufos, aller diesbezüglichen Unterlagen und
Informationen von 1945 bis heute. Dazu wird Whistleblowern Straffreiheit
garantiert, die bestehende Verschwiegenheitsklauseln brechen, um bei geplanten
Anhörungen geheime Regierungsinformationen über Ufos preiszugeben. Dem Ufo-Aktivisten
Christopher Mellon zufolge zielt der Whistleblower-Schutz darauf, zu erfahren,
ob die amerikanische Regierung tatsächlich außerirdische Technologie und
womöglich sogar außerirdische Lebewesen geborgen habe. Eine
Verschwörungstheorie wird in Gesetze gegossen – der Mythos um das Ufo
perpetuiert.

Als
in dieser Woche die unbekannten Objekte über den USA und Kanada abgeschossen
wurden, postete Mellon stolz ein Foto, das ihn und Ufo-Programmleiter Elizondo
mit der demokratischen Senatorin Gillibrand als Vorkämpfer gegen seltsame
Objekte im Luftraum inszeniert. Mit dem banalen Ballon, einem Objekt voll mit heißer Luft, könnte diese jüngere
Diskursgeschichte des Ufos nun enden. Die Ufo-Aktivisten allerdings werden es
dabei nicht belassen. Denn genau deshalb wollen wir ja an Ufos glauben: Alles
andere wäre so banal.

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