Ausbeutung in jener indischen Textilindustrie: Alte Traditionen zwingen Mädchen zur Arbeit

In Indien ist die Familie der Braut traditionell für die Mitgift verantwortlich. Man erwartet Schmuck, Möbel und Geld – Summen, die arme Familien kaum stemmen können. Je jünger eine Braut verheiratet wird, desto niedriger fällt die Mitgift aus. Also drängen viele Eltern auf eine frühe Heirat. Doch selbst dann bleibt die finanzielle Last erdrückend und wird von den mittellosen Eltern auf ihre Töchter abgewälzt. Mädchen wie Kanishka tragen plötzlich die Verantwortung nicht nur für ihre eigene Zukunft, sondern für das Ansehen ihrer ganzen Familie.

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Die Besitzer indischer Garnspinnereien nutzen die schwierige Lebenssituation der Mädchen, um sie mit mehrjährigen Verträgen unter menschenunwürdigen Arbeitsbedingungen festzuhalten. Die Mädchen werden aus der Schule genommen, um fortan körperliche Schwerstarbeit zu leisten. Eine Arbeit, die auch tiefe Spuren in ihrer Seele hinterlässt.

Kanishka war 14 Jahre alt, als ihre Kindheit abrupt endete

Kanishka stellte ihre Schulbücher ins Regal und folgte der Anweisung ihres Vaters, in einer Textilfabrik zu arbeiten. Zwölf Stunden am Tag stand sie an lärmenden Maschinen, sieben Tage die Woche. Die Luft ist voller Staub, es gibt keinen Gehörschutz, keine Atemschutzmasken. Wer krank ist, bekommt eine Tablette und muss weitermachen. Die Aufseher beschimpfen, schlagen und belästigen die Mädchen. Selbst Fälle von Vergewaltigungen sind dokumentiert. Abends kehrt Kanishka in eine winzige Unterkunft zurück, fern von ihrer Familie, zusammengepfercht mit anderen Mädchen. In den Unterkünften schlafen 20 Arbeiterinnen im Schichtwechsel auf zehn Quadratmetern, auf dem Boden, streng bewacht und isoliert von der Außenwelt. Es ist ein Leben wie im Gefängnis: hinter hohen Mauern mit Stacheldraht.

Dazu kommt der Druck, die Mitgift zu erarbeiten – alles lastet gewaltig auf den Mädchen. Manche zerbrechen daran. In Kanishkas Heimatregion nahm sich kürzlich ein junges Mädchen das Leben, weil ihre Familie die Mitgift nicht aufbringen konnte. Ein tragischer Fall, der zeigt, wie gnadenlos veraltete Traditionen das Leben beherrschen können – und jungen Menschen die Zukunft rauben.

Raus aus der Fabrik – in ein selbstbestimmtes Leben

Dass Kanishka heute wieder in der Schule sitzt, ist das Ergebnis beharrlicher Arbeit. Sozialarbeiter*innen der Terre des Hommes-Partnerorganisation »CSED« sprachen mit ihren Eltern, klären über die miserablen Zustände in den Fabriken auf und zeigen Alternativen. Sie erklärten, dass Bildung der einzige Weg ist, um der Armut zu entkommen. Und dass eine Tochter, die lernen darf, eine bessere Zukunft haben wird. Es brauchte Zeit. Doch schließlich nahm die Mutter den Rat an – und sie überzeugte den Vater.

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CSED und Terre des Hommes sorgen dafür, dass die Mädchen und jungen Frauen in Bildungszentren die Schule abschließen und eine Ausbildung beginnen können. Dafür gibt es finanzielle Unterstützung. Für die Arbeiterinnen in der Fabrik werden am Verhandlungstisch mit den Fabrikbesitzern bessere Arbeitsbedingungen erkämpft und auf die Einhaltung der Arbeitsrechte bestanden.

»Nie wieder gehe ich zurück in die Fabrik«

Heute geht Kanishka wieder zur Schule. Sie will eine Ausbildung machen und erst heiraten, wenn sie genug Geld verdient. In Indien bedeutet das einen mutigen Bruch mit den bestehenden Traditionen. Kanishkas Geschichte zeigt, dass eine Veränderung zum Guten möglich ist: Die Zukunft gehört jetzt wieder ihr. »Nie wieder gehe ich zurück in die Fabrik. Ich will die Schule beenden und dann eine gute Arbeit finden – erst danach werde ich heiraten!«

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Noch sind Mädchen wie Kanishka eine Ausnahme in der indischen Textilindustrie. Längst nicht alle Textilarbeiterinnen haben erfahren, dass auch Mädchen das Recht haben, zur Schule zu gehen und dann eine Ausbildung zu beginnen. Doch es spricht sich herum, und viele junge Frauen sind entschlossen, ihren eigenen Weg zu gehen. Bis es in der Textilindustrie keine Ausbeutung mehr gibt, ist es noch ein weiter Weg, aber ein Anfang ist gemacht. Und immer wenn sich mutige indische Frauen und Mädchen Fabrikbesitzern entgegenstellen und in Europa eine aufmerksame Kundschaft fair gehandelte Kleidung kauft, ist ein Schritt hin zu Gerechtigkeit und Gleichberechtigung getan. Man könnte auch sagen: ein Schritt zur Veränderung der Welt!

Interview: Kanishka spricht über ihre Arbeit in der Fabrik

Die Tradition der Mitgift zwingt bis heute Tausende Mädchen in Indien, ihre Kindheit aufzugeben. Töchter armer Familien müssen Geld verdienen, um für ihre Hochzeit aufzukommen. So ging es auch Kanishka.

Terre des Hommes: Wie sah deine Arbeit in der Garnspinnerei aus?

Kanishka: Es war sehr hart, heiß, voller Staub, ich bekam nur schlecht Luft.

Gab es gefährliche Situationen?

Ja, gab es. Einmal löste sich eine der großen Spulen und schlug mir auf den Kopf.

War es laut in der Fabrik?

Ja, sehr laut.

Waren die Vorgesetzten freundlich zu dir?

Sie waren nicht freundlich. Sie haben sehr streng mit uns gesprochen.

Wie sahen deine Arbeitszeiten aus?

Ich habe jeden Tag von sechs Uhr morgens bis sechs Uhr abends gearbeitet und bin dann in meine Unterkunft gegangen. Es war hart, meine Hände und Beine taten mir weh. Ich hatte nur eine Pause am Tag während der Essenszeit.

Was ist passiert, wenn du krank warst?

Als ich krank war, gaben sie mir eine Tablette und verlangten, dass ich nach einer halben Stunde wieder arbeite.

Was hast du verdient und hast du den versprochenen Lohn erhalten?

Nein, sie versprachen mir 400 Rupien pro Tag, aber später gaben sie mir nur 200 Rupien (1,90 Euro).

Wo hast du geschlafen?

In einer Unterkunft auf dem Fabrikgelände. Das Zimmer war sehr klein, vielleicht zehn Quadratmeter, und dreckig. Dort waren 20 Mädchen untergebracht. Zehn Mädchen gingen morgens zur Arbeit und die anderen zehn gingen nachts. Wir hatten keine Betten und schliefen auf dem Boden.

Wie oft durftest du das Gelände der Fabrik und der Unterkunft verlassen?

Einmal im Monat, nur zusammen mit einem Aufseher. Wir waren eingesperrt, lebten hinter hohen Mauern mit Stacheldraht.

Wie oft konntest du deine Eltern besuchen?

Ich durfte meine Eltern einmal alle drei Monate sehen.

Gab es Freizeitaktivitäten, Spiele oder Sport?

Nein, sie ließen uns nicht spielen, aber wir waren auch viel zu erschöpft dafür.

Terre des Hommes – seit 1967 an der Seite von Kindern

»Terre des Hommes« steht für eine »Erde der Menschlichkeit«. Die Kinderrechtsorganisation unterstützt Kinder auf der Flucht sowie in bewaffneten Konflikten und Kriegen. Sie schützt Kinder vor Missbrauch und Ausbeutung und sorgt für die Ausbildung benachteiligter Mädchen und Jungen. Gemeinsam mit starken Partnerorganisationen fördert sie weltweit 416 Projekte. Terre des Hommes ist unabhängig von Regierungen, Wirtschaft, Religionsgemeinschaften und Parteien.

Ihre Spende zählt!

Jede Spende ist ein Geschenk, das weit über Weihnachten hinauswirkt: Sie schützen Mädchen wie Kanishka vor Ausbeutung und sichern ihnen eine Ausbildung und ein Leben in Würde. Bitte spenden Sie und schenken Sie Bildung:

75€ finanzieren einem Mädchen den Schulunterricht für ein Jahr.

105€ reichen für eine Nähmaschine, mit der junge Frauen sich ein unabhängiges Einkommen aufbauen können.

160€ ebnen den Weg zur Schneiderin – und ermöglichen damit einen Neubeginn.

Terre des Hommes – seit 1967 an der Seite von Kindern

»Terre des Hommes« steht für eine »Erde der Menschlichkeit«. Die Kinderrechtsorganisation unterstützt Kinder auf der Flucht sowie in bewaffneten Konflikten und Kriegen. Sie schützt Kinder vor Missbrauch und Ausbeutung und sorgt für die Ausbildung benachteiligter Mädchen und Jungen. Gemeinsam mit starken Partnerorganisationen fördert sie weltweit 416 Projekte. Terre des Hommes ist unabhängig von Regierungen, Wirtschaft, Religionsgemeinschaften und Parteien.

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