Wie in einen Kokon aus Licht gehüllt, tritt sie dem Betrachter entgegen, frontal und in voller Gestalt. Fast scheint sie zu schweben in ihrer ornamental überhauchten Zartheit. Körper und Umhang sind als steil aufragende Dreiecksform komponiert, die in einem puderhellen Antlitz mit kohledunklen Augen gipfelt. Elisabeth Lederer, Tochter einer der reichsten Familien im königlich-kaiserlichen Wien, war Anfang zwanzig, als Gustav Klimt sie auf einer 1,80 Meter hohen Leinwand im Porträt verewigte.
Zwischen 1914 und 1916 war das, zu Beginn des Ersten Weltkriegs, der das Ende einer Epoche markiert. Als eine ihrer Vertreterinnen auf glanzvolle Weise ins Bild gesetzt, die kein Vergoldungsdekor in Fülle braucht wie frühere Werke des Sezessionsmalers, ist die österreichische Erbin nun die teuerste dargestellte Frau der Auktionsgeschichte.
Der Hammer fiel ers bei 205 Millionen Dollar
Erst nach einem zwanzigminütigen Bietergefecht wurde das „Bildnis Elisabeth Lederer“ am Dienstagabend vom Star am Auktionspult bei Sotheby’s, dem Chairman Oliver Barker, in New York zugeschlagen: bei 205 Millionen Dollar. Mit Aufgeld zahlt der ungenannte Käufer 236,4 Millionen. Damit ist das Gemälde das zweitteuerste je versteigerte Kunstwerk, nach dem angeblich von Leonardo da Vinci stammenden „Salvator Mundi“, der 2017 bei Christie’s hochspekulative 400 Millionen Dollar netto (450,3 Millionen brutto) erzielte. Auf Platz drei zurückgefallen ist Andy Warhols von einer Knallergeschichte aufgewertetes Monroe-Porträt „Shot Sage Blue Marilyn“, das 1964 Zielscheibe der bewaffneten Aktionskünstlerin Dorothy Podber war und 2022 von Larry Gagosian für 170 Millionen Dollar (195 Millionen inklusive Aufgeld) bei Christie’s ersteigert wurde.
Was macht Klimts Damenbildnis für hochvermögende Bieter so attraktiv, dass es die Vorabschätzung von 150 Millionen Dollar und den bisherigen Auktionsrekord des Künstlers – den Zuschlag bei 74 Millionen Pfund für „Dame mit Fächer“ 2023 bei Sotheby’s in London zugunsten der chinesischen Kunstberaterin Patti Wong für einen unbekannten Auftraggeber – pulverisierte? Es ist auch deutlich teurer als das 2006 privat für 135 Millionen Dollar von Ronald Lauder erstandene Klimt-Bildnis „Adele Bloch-Bauer I“. Aus dem Nachlass von dessen verstorbenem Bruder Leonard A. Lauder, der lange die von den Eltern gegründete Kosmetikfirma Estée Lauder leitete, kam nun das „Bildnis Elisabeth Lederer“ nach mehr als vierzig Jahren wieder auf einen Kunstmarkt, an dessen Spitze neue Investitionsfreude ausgebrochen ist.
Die blaue Stunde des alten Europa
Mit meisterhafter Raffinesse gemalt, weckt Klimts Spätwerk Erinnerungen an Sandro Botticellis „Venus“. Durch seine Entstehungszeit, Gestaltung und Farbgebung lässt es die blaue Stunde des alten Europa gewissermaßen für immer andauern. Orientalische Figuren im Hintergrund und die mit Drachen verzierte Kleidung verweisen auf das kaiserzeitliche China; rundliche, an biologische Zellen erinnernde Ornamentformen können auf Klimts Interesse an neuesten Forschungen verweisen und die Frau zu einer Verkörperung der Natur und Kultur gleichermaßen stilisieren.
Damit nicht genug. Die Tochter von August und Serena Lederer, zwei der wichtigsten Mäzene Klimts, behauptete nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten eine Tochter Klimts zu sein, um der Verfolgung wegen ihrer jüdischen Herkunft zu entgehen. Die bedeutende Kunstsammlung der Lederers wurde beschlagnahmt und nach Kriegsende stückweise restituiert. Das Porträt Elisabeth Lederers, die 1944 an einem Hirntumor starb, ging 1948 an ihren Bruder und kam über eine New Yorker Galerie an Leonard A. Lauder – ist also von makelloser Provenienz, erster Qualität und geschichtlich auf mehreren Ebenen mit Bedeutsamkeit aufgeladen. Gut möglich, dass es der chinesisch inspirierten Details wegen in den fernen Osten ging.
Für das Auktionshaus Sotheby’s, das wie die Konkurrenz zuletzt unter Umsatzrückgängen mit Kunst gelitten hat, ist der Verkauf die Krönung eines Triumphzugs. Mehr als 528 Millionen Dollar brachten zum Einstand im Breuer Building als neuem Hauptsitz des Unternehmens allein die 24 Lose aus der Lauder-Sammlung ein. In der folgenden „The Now & Contemporary Evening Auction“ kamen 178,5 Millionen Umsatz hinzu, angeführt von einem Jean-Michel Basquiat für 48,3 Millionen. Schon bei zehn Millionen, dem Startpreis, und nach nur einem einzigen Gebot fiel derweil der Hammer für Maurizio Cattelans goldene Toilette „America“, die mit der amerikanischen Kuriositätenkabinettfirma „Ripley’s Believe It or Not!“ genau den richtigen Käufer gefunden hat.
Nie wurde bei Sotheby’s nach eigenen Angaben mehr Umsatz an einem Abend gemacht. Am Donnerstag ging es weiter mit den Rekorden, in drei „White Glove“-Sales moderner Kunst, bei denen nichts liegen blieb. Frida Kahlos aus einer anonymem Privatsammlung stammendes Selbstporträt „El sueño“ schoss auf 47 Millionen Dollar: mit Aufgeld ergibt das 55 Millionen. Niemals zuvor wurde ein Werk einer Künstlerin zu einem höheren Preis versteigert, und angesichts der Popularität Kahlos dürfte immer noch Luft nach oben sein. Auch für Dorothea Tanning wurde eine neue Bestmarke aufgestellt. Surrealismus bleibt gefragt, aber auch die klassische Moderne: 63 Millionen inklusive Aufgeld ließ sich ein Sammler ein Bild Vincent van Goghs kosten, das nun sein teuerstes versteigertes Stillleben ist. Unterm Strich steht bei Sotheby’s nach den „New York Sales“ ein Gesamtergebnis von mehr als einer Milliarde Dollar.
Auch bei Christie’s sorgten die Bieter für Rekorde
Christie’s hatte im Rockefeller Center schon am Montagabend mit Kunst des 20. Jahrhunderts und herausragenden Nachkriegswerken aus der Sammlung des Unternehmers Robert Weis und seiner Frau Patricia vorgelegt. Beide Abendauktionen spülten mit einer Verkaufsrate von 94 Prozent zusammen 698 Millionen Dollar in die Kasse, weit mehr als die Vergleichssumme von 486 Millionen des Vorjahrs. Zahlreiche Vorabgarantien schützten – ähnlich wie bei Sotheby’s – vor unangenehmen Überraschungen. Die teuersten Trophäen bestätigten ihre Taxen: Pablo Picassos kontemplatives Porträt „La lecture (Marie-Thérèse)“ mit Zuschlag bei 39 Millionen Dollar, Mark Rothkos leuchtende Farbfeldmalerei „No. 31 (Yellow Stripe)“ bei 53,5 Millionen.
Ein Gemälde von Claude Monet (39 Millionen), eines von David Hockney (38 Millionen) und von Marc Chagall sorgten für die Topgebnisse im „20th Century Evening Sale“, wobei Chagalls mit bis zu zwölf Millionen Dollar veranschlagtes Bild „Le songe du Roi David“ auf mehr als das Doppelte stieg. Dass es sich lohnt, auf lange unterbewertete Kunst von Frauen zu setzen, bewies bei Christie’s Joan Mitchells Abstraktion „Sunflower V“ von 1969. Elaine Wynn, die erste Frau des Kasinokönigs Steve Wynn, hatte für das Bild 2005 1,5 Millionen Dollar gezahlt. Jetzt ersteigerte es der Kunsthändler Jonathan Boos für 14 Millionen netto. Der „21st Century Evening Sale“ von Christie’s geriet gleichfalls opulent mit einem Gesamtergebnis von 123,6 Millionen Dollar gegenüber 106,5 Millionen im vorigen November. Das höchste Gebot zog Christopher Wools Schrift-Bild „RIOT” von 1990 an, für das der Hammer taxgerecht bei 16,7 Millionen Dollar fiel. Insgesamt summierten sich die Umsätze der New Yorker „Marquee Week“ von Christie’s auf 864 Millionen Dollar.
Auch für Phillips, das kleinste der drei großen Auktionshäuser, geht eine gigantische Woche zu Ende. 67,3 Millionen Dollar setzte es allein in seiner Abendauktion moderner und zeitgenössischer Kunst am Mittwoch um, in der nur zwei von 33 Losen unverkauft blieben. Ein Diptychon von Francis Bacon wurde für 13,5 Millionen Dollar vermittelt, ein Bild von Joan Mitchell für zwölf Millionen – und ein Saurierskelett überstieg mit 4,35 Millionen seine Taxe. Das Ergebnis der Auktion versetze ihn in „Ekstase“, sagte Phillips-Chairman Robert Manley „ARTnews“: Er bedauere, nicht mehr zum Verkauf anbieten zu können, jetzt, da der Markt wieder derart an Stärke gewonnen habe. Es scheint, als hätten kapitalstarke Sammler es nach Jahren der Verunsicherung und Zurückhaltung angesichts geopolitischer und wirtschaftlicher Krisen satt, Angst vor Großinvestitionen in Kunst zu haben. Und als hätten die Auktionshäuser die richtigen Angebote für sie.
Source: faz.net