Den Ampel-Parteien fällt es offenkundig leichter, gemeinsam Wahlen zu verlieren als gemeinsam effektiv zu regieren. Trotzdem will es auch die FDP, die bei den Wahlen in Sachsen und Thüringen unter die Wahrnehmungsschwelle gerutscht ist, noch einmal mit Weiterregieren versuchen. „Wir brauchen eine Politik für den Standort Deutschland“, betonte der Parteivorsitzende und Bundesfinanzminister Christian Lindner am Montag in Berlin. Er verwies auf die Anfang Juli in der Regierung verabredete Wachstumsinitiative. „Es ist besser, diese Maßnahmen kommen jetzt, als dass sie nicht kommen“, erklärte Lindner sein politisches Kalkül.
Als Hauptaufgaben der Ampelkoalition für die kommenden Monate stellte der FDP-Chef dabei Steuerentlastungen, Bürokratieabbau, eine Reform der privaten Altersvorsorge und das sogenannte Generationenkapital für die gesetzliche Rentenversicherung heraus. In ganz ähnlichen Worten sprach am Montag auch die SPD-Ko-Vorsitzende Saskia Esken davon, dass die Koalition beschlossene Projekte nun sehr zügig umsetzen müsse und vermittelte insoweit Eindrücke von Harmonie.
Allerdings definierte sie ganz andere Hauptaufgaben: Der SPD geht es um stärkere Rentenerhöhungen, ein Tariftreuegesetz für Unternehmen und eine strengere Regulierung von Wohnungsmieten. Für die Grünen steuerte deren Ko-Vorsitzende Ricarda Lang die Forderung bei, „soziale Sicherheit nach vorn stellen“.
Das politische Gebäude der Regierung ist fragil
Ob der Ampelkoalition das effektive Regieren auf dieser Grundlage in Zukunft besser gelingt? Die erste Alltagsprüfung wartet auf sie schon kommende Woche. Denn dann, ausgerechnet, steht auf der Tagesordnung des Bundestags die erste Lesung des Bundeshaushalts 2025 – dessen Lücken sich schon als sommerfüllendes Thema erwiesen haben. Trotz verlängerter interner Beratung haben es Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) und Lindner nicht geschafft, das Milliardenloch wie geplant zu drücken. Es gibt weiterhin eine globale Minderausgabe von 12 Milliarden Euro. Das sind Kürzungen, bei denen nicht gesagt wird, wo das sein soll. Man baut vielmehr darauf, dass nicht alles an Mitteln abfließt, was zugesagt wurde. Ursprünglich wollten die Koalitionsspitzen die globale Lücke auf 8 bis 9 Milliarden Euro drücken. Damit hätte man sich in der Größenordnung früherer Jahre bewegt.
Die Aufgabe bleibt, den Etat auf eine realistischere Grundlage zu stellen. Das muss nicht zur ersten Lesung geschehen. Aber bis zur Schlussberatung im November sollten die Ampelfraktionen schaffen, was Scholz, Habeck und Lindner nicht gelang. Erschwerend kommt hinzu, dass die Regierung auf der Einnahmeseite ähnlich vorgegangen ist und auf eine „globale Mehreinnahme“ baut. Dahinter steckt der erhoffte Milliardensegen aus der Wachstumsinitiative.
Das zeigt, wie fragil das politische Gebäude der Regierung ist: Gelänge es der Koalition nicht, die 49-Punkte-Initiative umzusetzen, passte das Zahlenwerk des Etats noch weniger zusammen als ohnehin. Der damit vereinbarte Gesetzentwurf zur Umsetzung der steuerlichen Maßnahmen hat die Regierung schon Ende Juli auf den Weg gebracht. Er enthält die Erhöhungen der Freibeträge für Erwachsene und Kinder und die Verschiebung des Einkommensteuertarifs, um schleichende Mehrbelastungen durch Inflation zu korrigieren, außerdem bessere Abschreibungsbedingungen für die Wirtschaft – und eine Pflicht zur Mitteilung innerstaatlicher Steuergestaltungen. Gegen Letzteres läuft die Wirtschaft Sturm, weil sie die damit verbundene Bürokratie fürchtet.
Zankapfel Rente
Wenn Lindner nun forsch bekundet, er werde keine „Verwässerungen oder Verzögerungen“ beim Umsetzen der Wachstumsinitiative zulassen, verspricht er jedoch mehr, als er steuern kann. Es ist daher wohl vor allem als Appell an SPD und Grüne zu verstehen – in anderer Hinsicht aber auch an die eigenen Parteifreunde in der FDP-Fraktion. Das betrifft besonders die Rentenpolitik, die vielleicht heikelste Großbaustellen neben dem Haushalt und der Migrationsfrage.
Denn bei der Rente gibt es neben Interessengegensätzen zwischen den drei Koalitionspartnern belastet unterschiedliche Ansichten innerhalb der FDP. Während das Bundeskabinett im Mai mit Zustimmung Lindners das sogenannte Rentenpaket II gebilligt hat, vertreten bisher wesentliche Kräfte in der FDP-Fraktion die Ansicht, dass sie dem Paket in der vorliegenden Form nicht im Bundestag zustimmen könnten.
Wichtigster Punkt dieses Pakets ist das Festschreiben eines sogenannten Mindestsicherungsniveaus, um die jährlichen Rentenerhöhungen zu verstärken. Es zielt darauf, den Demographie- oder Nachhaltigkeitsfaktor in der Rentenformel auszuschalten, der bisher für einen Lastenausgleich zwischen den Generationen sorgen soll. Mit dem umstrittenen Rentenpaket käme zum ohnehin erwarteten des Rentenbeitragssatzes auf mehr als 21 Prozent des Bruttolohns in den nächsten zehn Jahren noch ein weiterer Prozentpunkt hinzu. Die Rentenausgaben würden sich um 30 bis 40 Milliarden Euro erhöhen. Das von der FDP in das Rentenpaket eingebrachte schuldenfinanzierte Generationenkapital könnte langfristig ein Viertel dieser Mehrausgaben übernehmen. Andernfalls würde der Beitragssatz noch stärker steigen.
Stolperfalle Bürgergeld
Die SPD dürfte im Hinblick auf dieses Projekt im parlamentarischen Verfahren wenig kompromissbereit sein. Denn das Festschreiben des Mindestsicherungsniveaus ist im Koalitionsvertrag vereinbart und war auch eines ihrer zentralen Versprechen im Bundestagswahlkampf 2021. Der stellvertretende Vorsitzende und parlamentarische Geschäftsführer der FDP, Johannes Vogel, vertrat bisher aber die Position, dass das vorliegende Paket gerade nicht dem Koalitionsvertrag entspreche, der eine „generationengerechte Finanzierung“ zur Bedingung mache. Um dieser Bedingung näherzukommen hat er mit Unterstützung des FDP-Parteitags unter anderem einen Ausstieg aus der sogenannten Rente ab 63 angeregt.
Lindners jüngste Aussagen verheißen SPD und Grünen jedoch Zustimmung auch zu diesem Paket. „Die verabredeten Vorhaben werden umgesetzt. Daran besteht gar kein Zweifel“, sagte er. Dazu soll auch eine im Nachgang mit der Wachstumsinitiative verabredete Ergänzung beitragen: die Einführung einer „Rentenaufschubprämie“ für Beschäftigte, die über die reguläre Altersgrenze hinaus weiterarbeiten wollen. Da die SPD einen Ausstieg aus der abschlagsfreien Rente ab 63 strikt ablehnt, liefe es darauf hinaus, künftig sowohl den vorgezogenen Renteneintritt zu fördern als auch das Weiterarbeiten. Ob dies die Bedenken der FDP-Fraktion ausräumt, scheint noch nicht geklärt.
Eine wichtige Rolle dürfte dabei spielen, wie gut die Ampelparteien auf weiteren anderen Baustellen zusammenwirken. Das betrifft nicht zuletzt die von der Regierung ebenfalls mit der Wachstumsinitiative beschlossenen Verschärfungen für Bezieher von Bürgergeld. Insoweit waren auch in Lindners koalitionsfreundlicher Botschaft vom Montag gewisse Bedingungen versteckt. Die FDP, so betonte er, werde keine „Verwässerungen oder Verzögerungen bei der Verschärfung des Bürgergeldes“ zulassen. Käme es da zu Bremsversuchen aus den Reihen von SPD und Grünen, würde das nicht nur das Zahlenwerk des Haushalts 2025 infrage stellen. Der dritte Partner im Bunde hätte dann auch einen neuen Anlass, die Zukunft der Koalition auf den Prüfstand zu stellen.