Arzneimittel-Knappheit: Ärzte und Apotheker warnen vor Medikamenten-Mangel – WELT

Die Herbst- und Wintersaison steht an und der Mangel an Arzneimitteln in Deutschland spitzt sich zu. Davor warnen jetzt Ärzte und Apotheker – und sehen mit Sorge auf die bevorstehende Grippe-Periode. Versuche der Bundesregierung, die Lage zu verbessern, gelten als gescheitert.

Deutschland bekommt die Knappheit in der Medikamentenversorgung nicht in den Griff und geht nur unzureichend gerüstet in die Herbst-/Wintersaison. Zahlreiche Ärzte und Apotheker sowie Herstellerverbände warnen daher in einer Umfrage von WELT AM SONNTAG vor einer zunehmenden Knappheit an Arzneimitteln.

„Jedes zweite Rezept ist von Lieferengpässen betroffen“, konstatiert der Apothekerverband Nordrhein. „Wir gehen genauso schlecht vorbereitet in diesen Winter wie bereits in den vergangenen Jahren.“ So fehlten derzeit unter anderem wichtige Asthmamittel, und auch bei vielen Antibiotika gebe es Engpässe. „Welche Medikamente konkret und in welchem Ausmaß betroffen sind, ändert sich ständig und ist auch regional sehr unterschiedlich“, bestätigt Markus Beier, Bundesvorsitzender des Hausärzteverbandes (HAEV).

Das Problem dabei: Schon vor etwa einem Jahr hatte die Bundesregierung das sogenannte Lieferengpass-Gesetz verabschiedet, das die Lage grundlegend verbessern sollte. Doch die Maßnahmen reichen aus Sicht der Gesundheitsbranche bei Weitem nicht aus, um die Probleme nachhaltig zu lösen. „Die Gesetze entfalten bislang keinerlei Wirkung“, kritisiert der Hessische Apothekerverband. Das Resultat sei alarmierend: „Die öffentlichen Apotheken können wegen massiver Lieferengpässe und unzureichender politischer Maßnahmen nicht mehr in vollem Umfang ihrem hoheitlichen Auftrag nachkommen, die Menschen in Deutschland mit Arzneimitteln zu versorgen.“

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Die Hersteller rezeptfreier Medikamente kritisieren die Situation ebenfalls. „Die Lage unserer Unternehmen hat sich gegenüber dem vergangenen Herbst nicht verändert“, teilte der Verband ProGenerika mit. Weder bei Kinderarzneimitteln noch bei Antibiotika seien Anreize für den Ausbau der Produktion geschaffen worden. „Solange die strukturellen Ursachen für die aktuellen Engpässe nicht behoben sind, kann es auch in diesem Winter dazu kommen, dass wichtige Arzneimittel nicht sofort zur Verfügung stehen“, heißt es beim Herstellerverband Pharma Deutschland.

Vor allem Kinderärzte bekommen Probleme

Aktuell verzeichnet das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) 498 Lieferengpässe (Stand 27.09.2024). Im Vorjahr lag diese Zahl mit 1000 gemeldeten Lieferengpässen noch höher. Allerdings sind die Angaben nur bedingt vergleichbar, denn die Erkältungssaison, in der der Medikamentenbedarf im Jahresverlauf am höchsten ist, beginnt gerade erst.

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Das Bundesgesundheitsministerium teilte mit, es gebe keine Versorgungsknappheit von Arzneimitteln, sondern „punktuelle Lieferengpässe in einem sehr komplexen Markt.“ Zudem stünden fast immer wirkstoffgleiche Arzneimittel oder therapeutische Alternativen zur Verfügung.

Ärzte und Apotheker kritisieren, dass die Verwaltung des Medikamentenmangels ihnen überlassen bleibt. Vor allem Kinderarztpraxen waren im vergangenen Jahr von Lieferschwierigkeiten bei Arzneien betroffen. Und auch jetzt zeichnen sich nach Angaben des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ) Probleme ab, etwa bei bestimmten Antibiotika. „Wir blicken mit Demut auf die beginnende Infektsaison. Sollte es wieder mehrere große Infektwellen geben wie im vergangenen Jahr, wird es erneut Engpässe bei den Kindermedikamenten geben“, sagte BVKJ-Bundessprecherin Tanja Brunnert.

Besorgt äußerte sich auch der Bundesverband niedergelassener Kardiologen (BNK). „Es gibt in der Praxis fast täglich Rückmeldungen, dass Medikamente nicht lieferbar sind“, sagte BNK-Sprecher Heribert Brück. Bei bestimmten Arzneiklassen könne es problematisch werden, wenn die Patienten diese Arzneien oder auch Ersatzpräparate nicht einnehmen würden.

Die Opposition kritisiert die Regierung angesichts der Lage: „Karl Lauterbachs Gesetze laufen ins Leere. Die Bundesregierung kann auch ein Jahr nach dem Lieferengpass-Gesetz keine Auskunft über konkrete Verbesserungen geben“, sagte der gesundheitspolitische Sprecher der Union im Bundestag, Tino Sorge. „Die anstehende Herbst- und Wintersaison könnte wieder zur Hängepartie für viele Eltern werden.“ Als „reine Flickschusterei“ bezeichnete Kathrin Vogler, gesundheitspolitische Sprecherin der Linken die Maßnahmen.

Source: welt.de

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