Felix
Ekardt forscht als Leiter der Leipziger
Forschungsstelle Nachhaltigkeit und Klimapolitik sowie Professor an der Uni
Rostock zu Politik, Recht und Ethik der Nachhaltigkeit. Er sucht anlässlich
seiner oft sehr kontroversen Positionen die Diskussion mit den Leserinnen und
Lesern der ZEIT. Auch diesmal antwortet er direkt unter dem Artikel auf
Leserkommentare. Diskutieren Sie mit!
Die Klimaschutzbilanz ist düster: Erst im Sommer hat der Internationale Gerichtshof (IGH) das Pariser
Klimaabkommen und die Menschenrechte so ausgelegt, dass die globale
Erwärmung auf 1,5 Grad begrenzt werden muss, um wenigstens das Schlimmste zu
verhindern.
Wie aktuelle Klimadaten zeigen, haben gemessen daran die Industriestaaten ihr Klimagasbudget
inzwischen aufgebraucht. Dennoch verliert das Thema mehr und mehr an
Aufmerksamkeit.
Noch schlechter sieht es allerdings beim Naturschutz aus. Seit der Industrialisierung hat sich das Artensterben rasant beschleunigt, der Biodiversitäts- und Ökosystemverlust ist noch deutlicher überschritten als
beim Klima (PDF). Das bedroht die physischen Grundlagen
jeglicher menschlichen Freiheit und damit die Menschenrechte, insbesondere die
auf Leben und Gesundheit. Denn ohne intakte Ökosysteme, Bodenneubildung,
funktionierende Bestäubung und funktionierende Süßwasserkreisläufe ist die
menschliche Existenz perspektivisch bedroht.
Naturschutz ist also kein Wohlfühlthema, das
wir uns im Zuge wirtschaftlicher und geopolitischer Krisen nicht leisten können.
Naturschutz ist zudem ein Wirtschaftsfaktor. Wissenschaftlich ist unstrittig,
dass der Biodiversitätsverlust um ein Vielfaches teurer zu werden droht als ein
wirksamer Naturschutz. Denn ohne Grundfunktionen der Natur wie Wasserreinigung
oder eben Bestäubung könnte die Menschheit nicht weiterleben. Sie künstlich zu
substituieren, ist teilweise gar nicht möglich – oder es ist extrem kostspielig. Wie
beim Klimathema gilt: Teuer ist primär nicht die Bekämpfung des Problems,
sondern seine ausbleibende Bekämpfung.
Trotzdem schützen wir in der EU und in
Deutschland die Natur nur bruchstückhaft. Die Politik treibt den
Arten- und Ökosystemverlust sogar eher noch voran, indem sie Massentierhaltung,
Pestizide und Überdüngung erlaubt und oft sogar subventioniert. Aktuell befreit die EU sogar die Bauern stärker von den
ohnehin begrenzten Ökoauflagen, obwohl die bisherige Landwirtschaft ein zentraler Grund für den Biodiversitätsverlust ist.
Der größte Teil der agrarischen
Landnutzung dient der Produktion tierischer Nahrungsmittel, womit der
Biodiversitätsverlust in weiten Teilen auf das Konto der Intensivtierhaltung geht.
Das Agrarrecht erlaubt die Tierhaltung dennoch praktisch unbegrenzt,
einschließlich der damit verbundenen übermäßigen Verwendung von Dünger und
Pestiziden für die Futtermittel. Bislang wird die Naturzerstörung nur punktuell
ausgeglichen, indem beispielsweise das Naturschutzrecht einzelne Gebiete
oder Arten unter besonderen Schutz stellt. Das gilt umso mehr, als das
Naturschutzrecht oft nur mangelhaft vollzogen wird und die Bundesregierung den
Naturschutz aktuell noch stärker beschneiden will, etwa wenn es darum geht, Großprojekte zu beschleunigen. Dabei ließen sich solche Verfahren mit mehr Behördenpersonal und mehr Digitalisierung viel wirksamer beschleunigen.
Zu begrüßen ist zwar, dass die EU im vergangenen Jahr die
sogenannte Wiederherstellungsverordnung beschlossen hat. Sie soll – in der
Theorie – den Biodiversitätsverlust stoppen und zerstörte Natur teilweise
wiederherstellen. Die Verordnung legt dabei verbindliche Ziele für die
Wiederherstellung der Natur in Land-, Küsten- und Süßwasserökosystemen bis 2030 respektive bis 2050 fest und verlangt von
den Mitgliedstaaten entsprechende Konzepte. Das könnte zum ersten Mal ein
wesentlicher Schritt in die richtige Richtung sein.
Diese Art von Naturschutz wird jedoch nur funktionieren, wenn die
Ziele der Verordnung deutlich konkretisiert und konsequent umgesetzt werden. Die
Verordnung setzt bislang zu lange Fristen, letztlich sogar bis 2050. Zudem ist die
Verordnung voll von Hintertürchen, und durch welche Maßnahmen sie umgesetzt
werden soll, ist bislang völlig unklar. Am schlimmsten: Speziell die
Christdemokratien in der EU und in Deutschland arbeiten seit Monaten daran, die
Verordnung wieder komplett abzuschaffen.
Das alles widerspricht dem
Klimabeschluss des Bundesverfassungsgerichts von 2021, nach dem die Politik
nicht Probleme einseitig in die Zukunft verschieben darf. Deshalb liegt seit Ende 2024 weltweit erstmals vor
einem obersten Gericht eine Klage auf eine wirksamere Naturschutzgesetzgebung beim
Bundesverfassungsgericht. Sie verlangt auf der Basis der Menschenrechte, dass
das Gericht den Bundestag – oder mittelbar die EU – zur Aufstellung eines
umfassenden gesetzlichen Biodiversitätsschutzkonzepts verpflichtet. Vorbild
ist die erfolgreiche Klimaverfassungsbeschwerde von 2018, die 2021 vor Gericht
Erfolg hatte.
Widersprechen sich Klima- und Naturschutz?
Man könnte an dieser Stelle
einwenden, dass Klima und Biodiversität doch Gegensätze seien, etwa bei der
Windenergie. Immer wieder befürchten etwa Naturschützer den Vogelschlag durch Windräder. Das stimmt allerdings nur
für bestimmte Standorte und bestimmte Arten. Die Schäden an der Tierwelt durch einen Windpark sind zudem weit geringer als etwa durch einen Flughafen. Außerdem ist der Klimawandel
selbst eine wichtige Ursache für den Verlust der Biodiversität. Massentierhaltung schädigt etwa Klima und Biodiversität gleichermaßen. Nicht zu
vergessen: Eine intakte Natur mit naturnahen Wäldern und Mooren speichert auch
jede Menge Klimagase.
Setzt man beispielsweise auf eine
starke Begrenzung der Tierhaltung und eine konsequentere Bekämpfung
des Klimawandels, gehen Natur- und Klimaschutz Hand in Hand. Ohnehin wäre es
verkürzt, Naturschutz vor allem als Schutz einzelner Arten statt von
Ökosystemen in der Fläche, auch in der Agrarlandschaft, zu konzipieren. Sinnvoller ist es, Schädigungsfaktoren wie Pestizide oder Tierhaltung zu begrenzen, etwa durch die Integration in den CO₂-Emissionshandel. Dies würde auch eher Akzeptanz finden, als Naturschutz allein mit Verboten und teuren Subventionen zu betreiben.
Sollte die Natur ein Klagerecht bekommen?
Sinnlos ist dagegen die aktuell verbreitete Forderung,
man müsse Tieren, Pflanzen oder Flüssen Eigenrechte losgelöst vom Menschen
verleihen. Diese Rechte haben etwa südamerikanische Gerichte in Ecuador anerkannt. Dabei verändert sich die Natur ständig und ist durch eine Konkurrenz
verschiedener Arten geprägt. Ohne menschliche Interessen als Maßstab wäre
unklar, ob nun der Naturzustand von 1970, der von 1900, von vor dem
Dreißigjährigen Krieg oder doch eher der nach der letzten Eiszeit anzustreben
wäre. Deshalb ist es wichtig, Naturschutz als Menschenrecht zu begreifen.