Das Aufwachsen in Armut kostet viele Kinder und Jugendliche eine eigentlich unbeschwerte Zeit. Armutsbekämpfung ist aber auch in den aktuellen Koalitionsverhandlungen zwischen CDU und SPD kein Thema.
Armutsbetroffene sind die Spardose der Nation
Montage: der Freitag, Material: Midjourney
Die Herkunft aus einem armen Elternhaus kostet uns Zukunftschancen im Beruf und in der Bildung. In keinem anderen Land ist es so schwer, sozial aufzusteigen. Klassenherkunft ist prägend, auch wenn es heißt: Jeder hat die gleichen Chancen.
Es ist eine Fehlannahme, dass soziale Aufstiegsgeschichten die Regel sind. Ihrer wird sich gern bedient, um das neoliberale Weltbild nicht ins Wanken zu bringen. Fakt ist: Die allerwenigsten schaffen es aus der Armut.
Das Aufwachsen in Armut fördert Selbstzweifel, schädigt das Selbstbewusstsein und begünstigt psychische Erkrankungen durch Dauerstress. Armut kostet vielen Kindern die Kindheit. Von klein auf mit dem Mangel an sozialer und finanzieller Teilhabe zu leben, wirkt sich prägend auf das spätere Leben aus.
Kinder und Jugendliche sollten sich in unserem Land nicht mit Frustration und Existenzängsten beschäftigen müssen. Dennoch leben über vier Millionen Menschen unter 18 Jahren in Einkommensarmut. Laut den Zahlen von 2022 sind über 16 Prozent der jungen Menschen betroffen, bei den 18- bis 25-Jährigen sogar über 25 Prozent.
Die „Spardose“ der Nation
Wer die „Diskussionen“ ums Bürgergeld verfolgt, bekommt zu hören, dass Bürgergeldempfänger*innen den Staat zu viel kosten. Ist das realistisch?
Nein, denn die Bundesagentur für Arbeit hat im Jahr 2023 laut Bundesregierung rund 43 Milliarden Euro für die Zahlungsansprüche von Menschen, die Bürgergeld beziehen, ausgegeben. Die Gesamtausgaben des Bundes im Jahr 2023 betrugen knapp 614 Milliarden Euro. Das Bürgergeld macht also weniger als sieben Prozent aus.
Ich bin es leid, als Armutsbetroffene mitansehen zu müssen, wie Leistungsempfänger zur „Spardose“ der Nation gemacht werden sollen. Es sind Menschen, die am Existenzminimum leben. Alles darunter wäre verfassungs- und menschenfeindlich! Ich frage mich, welchem Zweck diese „Debatte“ ums Bürgergeld dient? Auch in den derzeitigen Koalitionsverhandlungen wird es weniger um Armutsbekämpfung gehen, als darum, wieviel Leistung man den Leuten abringen oder auch streichen kann.
Ist dies ein erfolgreiches Ablenkungsmanöver, um nicht über dringendere Probleme zu sprechen wie etwa dem Klimawandel? Ist es Absicht, zu polarisieren und um verschiedene Gruppen in der Gesellschaft gegeneinander auszuspielen, damit diese sich nicht solidarisieren und Einfluss gewinnen?
Soziale Ungleichheit kostet nicht nur Geld, sondern wirkt sich ungünstig auf das gesellschaftliche Klima aus und schadet unserer Demokratie.
Gesunde Ernährung ist mit dem Regelsatz nicht möglich
Die Armutszahlen steigen seit Jahren. Dennoch sind die mittlerweile 17,7 Millionen Armutsbetroffenen immer noch nicht interessant genug, um Armutsbekämpfung als politisches Hauptziel zu benennen. Die Folgekosten von Armut sind immens. Es gibt mittlerweile etliche wissenschaftliche Studien, die belegen, dass gesunde Ernährung mit dem Regelsatz nicht möglich ist.
Die Folge: Mangelernährung. Besonders bei Kindern und Jugendlichen macht sich diese mit kognitiven Problemen, Krankheitsanfälligkeiten und Wachstumsstörungen bemerkbar. Bestehende Krankheiten, sowohl chronisch als auch psychisch, verstärken sich durch die belastende Armutssituation. Es ist wissenschaftlich erwiesen, dass arme Menschen eine kürzere Lebenserwartung haben.
All das ist bekannt, doch wer nimmt diese Entwicklung ernst genug?
Es ist also dringend notwendig, eine effektive Armutspolitik zu betreiben. Die Kindergrundsicherung wäre eine Chance gewesen und endete als Bürokratiereform. Darüber bin ich immer noch wütend.
Armut lässt sich nicht wegignorieren
Es geht hier um Menschen, die sich eine lebenswerte Zukunft wünschen. Wenn ich jedoch als junger Mensch erfahre, dass ich als Mensch dem Staat das Geld nicht wert bin, richtet das höchstwahrscheinlich einen erheblichen emotionalen Schaden an. Es geht um ein Leben in Würde.
Die Regierenden müssen endlich einen Blick auf diejenigen werfen, die nicht finanziell privilegiert sind. Vor allem brauchen wir einen effektiven und langfristig wirksamen Plan, der die Armut in Deutschland verringert. Armut lässt sich nicht wegignorieren. Die Armut ist hier und sie wird mehr.
Ob unsere neue Regierung diesbezüglich etwas unternehmen wird? Es bleibt abzuwarten.