Armani, Jogginghose oder doch Blokecore? 10 Fakten hoch Fußballmode

A

wie Armani

„Troppi tatuaggi!“, ruft mein Mann, wenn Stürmer Gianluca Scamacca mal wieder den Ball verliert oder ihn weit über das Tor jagt. „Zu viele Tattoos“, soll bedeuten: Konzentriert euch aufs Spiel statt auf euer Aussehen! Andererseits: Wieso schauen wir Italienern so gerne beim Kicken zu? Es geht ja schon los, wenn sie aus dem Bus steigen in ihren Armani-Anzügen. Auch diesmal ist der Designer aus Piacenza, der auch die Carabinieri einkleidet, der offizielle EM-Ausstatter. Doch viele Italiener zürnen: Was soll diese blaue Zwei-Knopf-Jacke mit Rundkragen und der Blockschrift ITALIEN auf dem Rücken, die Trainer Luciano Spalletti seit dem Auftaktspiel trägt? „Das ist Old Money Style!“, postete jemand auf X, oder: „Diese Jacke schmeichelt Spalletti nicht, vermutlich schmeichelt sie niemandem.“ Es sei eine „Jacke aus der Horror-Galerie“. Die Uniformen der Italiener sollen an Olympia 1928 erinnern. Ein User verglich das Sakko eher mit einem „Morgenrock“. Ragazzi, bleibt cool. Ihr seid gescheitert, aber stylisch. Maxi Leinkauf

B

wie Blokecore

Auch abseits von Spielfeld und Fanmeile sind überall Trikots zu sehen. Dazu Sambas und Levis-Jeans: Die Rede ist vom Blokecore-Trend. „Bloke“ bedeutet so viel wie „Kerl“, denn der Look stammt eigentlich von den britischen Fußballfans aus der Arbeiterklasse in den 1990ern (→ Popkultur). Nostalgie scheint anzukommen, die gesamte Gen Z ist im Vintage-Fieber. Wer es verspielter mag, greift nicht zu Papas Oversize-Trikot, sondern schaut bei den jüngeren Geschwistern vorbei. Denn neben Blokecore gibt es nun auch Blokette. Körperbetonte Kleidung und klare Stilbrüche, Stulpen, Haarband und Anzug oder Rock werden mit einem Trikot kombiniert. Und tada, dein Fit steht, inklusive Schleichwerbung natürlich. Kleiner Tipp am Rande: So schön das Trikot auch sein mag, achten Sie darauf, welche Vereine und Sponsor*innen Sie damit unterstützen! Laura Schlagheck

F

wie Frauenshorts

Sie heißen Saja Kamal, Hanane Aït El Haj oder Ibtissam Jraïdi. Sie tragen das Haar lang oder sportlich kurz, vor allem aber – offen! Ohne Hijab oder Niqab und ohne Abaya sowieso. Denn sie spielen Fußball. Die saudischen Frauen dürfen das seit 2019. Im Frauensport sind hautenge Kleidungsstückchen üblich. Wo den Männern das edle Funktionalgewebe die muskulösen Glieder locker verhängt, sollen Frauen penibel abgeformt zeigen, was sie haben. Genau diese Art Sexismus ist in muslimischen Kreisen ein Argument für die öffentliche Verhüllung der Frauenkörper durch Hijab und Abaya. Die Fußballerinnen aber dürfen diese den Unterleib bis zu den Knien umschlotternden Langshorts tragen, die dort, wo ich aufwuchs, „Dynamo-Moskau-Hosen“ genannt wurden. Lew Jaschin, der Russe, und der Ukrainer Oleg Blochin trugen so was bei ihren Spielen mit der sowjetischen Nationalelf. Sexy sind sie nicht. Und erleben womöglich gerade deshalb eine → Zweite Karriere in arabischen Ländern. Michael Suckow

H

wie Hooligans

Hooligans sind die eitlen Pfauen der Fußballkultur. Nichts ist ihnen wichtiger, als in teure Markenklamotten (→ Jogginghose) gewandetin die Schlacht gegen Gleichgesinnte zu ziehen. Sie tragen ihren Stone-Island-Kaschmirpullover mit dem gleichen Stolz wie die kürzlich beim Infight mit den bösen Jungs von um die Ecke sorgfältig gebrochene Nase. Wer beim Wald-und-Wiese-Kampf nicht mindestens mit den aktuellen New-Balance-Sneakern antritt, kann gleich wieder gehen. Der Mundschutz ist selbstverständlich Marke Mouthgard Pro, und wenn mal ein paar Zähnchen verloren gehen, packt der stilsichere Hooligan sie in seine Fred-Perry-Retro-Sporttasche, und ab geht’s zur teuersten Zahnfee in Town. Sein Aftershow-Koks hat doppelte Street Quality, sein Sackschutz ist von Gucci, seine Begleiterin wählt er aus in der heißesten Disse der Stadt. Frank Willmann

J

wie Jogginghose

Manche Kleidungsstücke sind untrennbar mit einer bestimmten Person verbunden. Sherlock Holmes mit der Deerstalker-Mütze, Coco Chanel mit dem kleinen Schwarzen – und Gábor Király mit der Jogginghose. Der Ungar hütete jahrelang die Tore von Hertha BSC und 1860 München, 18 Jahre lang das der ungarischen Nationalmannschaft – stets in einem grauen, schlabbrigen Modell. Zuerst trug Király sie nur, weil keine andere Hose sauber war, doch die Jogginghose wurde sein Glücksbringer. Von wegen „Wer Jogginghose trägt, hat die Kontrolle über sein Leben verloren“, wie Karl Lagerfeld sagte. Király hatte seinen Kasten ziemlich gut im Griff. Auch für Fans könnte dieser Kleidungsstil ein Vorbild sein. Zwar ist bei gut 30 Grad kaum an eine lange Hose zu denken. Doch außerhalb der Sommerzeit eignet sich die Jogginghose perfekt für den Fanblock (→ Hooligans). Da braucht man nämlich Klamotten, die auch mal ein Bierregen treffen kann. Oder Senf, der von der Bratwurst tropft. Ben Mendelson

K

wie Kampagne

Ausgerechnet Thomas Müller als Model für die neuen Deutschland-Trikots – mit seinem Gespür für Mode fiel der Fußballprofi aus Bayern bisher nicht auf. Doch genau darum geht es bei der Kollektion Adidas und DFB: um den Eintritt in die Modebranche (→ Armani). Im Fashion-Magazin Sleek posierte Müller kürzlich mit den Klamotten. Die schwarz-rot-gelben Streifen in geraden Linien erinnern an die DFB-Trikots aus den 1990ern. Cowboyhut, Hornbrille und Samba-Turnschuhe komplementieren den Retro-Look (→ Blokecore). Die Sportkleidung wird straßentauglich präsentiert. So lässt der Bayern-München-Spieler die Herzen nicht nur der Fußball-, sondern auch der Modeinteressierten schneller schlagen. Auch Stylist*innen verwenden die Trikots in den sozialen Medien beim Gestalten von Outfits. Ein Sommermärchen für die PR-Abteilung von Adidas. Jerrit Schloßer

L

wie Lilawashing

Der „Flink“-Radler sieht aus wie Joshua Kimmich beim Shooting (→ Kampagne). Von Nahem erkennt man lila Streifen statt Zacken auf Pink. Nach dem Shitstorm sind die verblüffend ähnlichen, adrettvioletten, überteuerten Trikots begehrter als alle Vorgänger. So schlecht kann’s uns Deutschen nicht gehen, denkt man populistisch. Werbung verrührt eh alles zum süßlich-diversen Brei aus Hautfarben, Geschlechtern, Klamotten, weiß lachenden Zähnen, Konfetti und feiert die Ausbeutung der unteren Klassen so gut gelaunt lila wie oben die sportliche Vielfalt in Pink. Dumm nur, dass Hersteller Adidas Hemd Nummer 4 so gestaltete und auf den Marktplatz schickte, dass es Fans an zackige SS-Runen erinnerte. Ab 2027 darf sich US-Konzern Nike als Ausrüster hervortun, laut DFB „das mit Abstand wirtschaftlichste Angebot“. Bei den Bilanzen ist halt wie bei Spielern immer Luft nach oben. Fragt sich nur, welche – die stickige in den Fabriken, wo schwangere Näherinnen gefeuert und Fouls zur Regel werden? Derweil sitzen wir alle fair im TV-Sessel, lassen flink kicken – und liefern. Katharina Körting

P

wie Popkultur

Auf die Frage, was denn nun eigentlich der „perfekte Popsong“ sei, antwortete Ian Broudie von den Liverpooler Lightning Seeds, Pop sei erst dann perfekt, wenn die durch den Song artikulierten Gefühle ihre Trivialität verlieren und zu etwas Bedeutsamem im Leben der Menschen werden. Broudie ist in England bedeutsam, eine Legende sogar, vor allem, weil er Three Lions geschrieben hat, die Hymne zur EM 1996. Ein melancholisches Stück, das davon erzählt, wie es sich anfühlt, seit 1966 einfach keinen Titel mehr holen zu können. Im Video, dass es auch in einer 1998er-WM-Version gibt, lässt sich Fußballmode bestaunen: das weiße Trikot mit den „Three Lions“, riesige Umbro-Shirts, wie man sie in Cool Britannia in den mittleren 1990ern getragen hat. Die Geschichte des Fußballs ist Trikot-Geschichte – und kennt bessere Zeiten als die EM 1996. Marc Peschke

W

wie Wolfgang Overath

Buschige Koteletten hatten sie alle. Aber die Backenbärte der DDR-Fußballer waren besser zu sehen, weil ihr Haupthaar kürzer war als das der meisten BRD-Spieler. Selbst das Kölner Mittelfeldgenie Wolfgang Overath, damals immerhin schon 30, trug zur WM 1974 eine schulterlange Matte. Dem Zeitgeist der frühen 1970er konnten sich eben auch Fußballspieler nur schwer entziehen. 50 Jahre später sind die hoch bezahlten Rasenkünstler selbst zu stilistischen Vorbildern geworden, über deren kahl rasierte Schläfen, Zöpfchen und andere Körperzier (→ Armani) sogar auf den Seiten der FAZ debattiert wird. Seit sich ein David Beckham 1999 das erste Tattoo (von mittlerweile 60) stechen ließ, hat sich allerhand getan. Wolfgang Overath hingegen folgte treu der jeweiligen Mode. Aus der Langhaarfrisur wurde der bis in die 1990er Jahre hinein beliebte Vokuhila-Schnitt. Heute, mit 80 und vollem Haupthaar, wäre er das ideale Model für zielgruppenspezifische Werbung (→ Zweite Karriere). Aber das hat so ein bodenständiger Typ wie Wolfgang Overath zum Glück gar nicht nötig. Joachim Feldmann

Z

wie Zweite Karriere

Schiedsrichter sind modisch die Graugänse des Fußballs. Zu Seriosität verdammt auch bei der Wahl ihrer Kleidung. Ihr langweiliges Schiedsrichterset wird für den halbschmalen Taler bei diversen Sportartikelherstellern geführt. Es besteht aus Trikot, Hose (Arschtasche für die rote Karte nicht vergessen!) und Stutzen (→ Blokecore). Der auf dem Platz agierende Hauptschiedsrichter darf des Weiteren eine Pfeife und eine gelbe nebst einer roten Karte mit sich führen. Die Linienrichter werden mit schicken Fähnchen ausgerüstet, mit denen sie bei Gelegenheit hübsche Pirouetten ausführen dürfen, die meistens keiner sieht, weil alle nur auf das Spiel gucken. So unscheinbar, wie sie wirken, endet meist auch ihre Laufbahn. Ausnahme: Pierluigi Collina. Kahler Kopf, scharfer Blick. Er machte anschließend Werbung für Käse, Uhren, Toilettenpapier. Frank Willmann

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