Argentiniens Präsident Milei: Zwischen Genie und Wahnsinn

Der Unterschied zwischen einem Genie und einem Wahnsinnigen besteht im Erfolg. Auf diese ziemlich ökonomische Weise definiert es Javier Milei. Der 54 Jahre alte argentinische Präsident, der vor genau einem Jahr die Regierung des wirtschaftlich zerrütteten Landes übernommen hat, sieht sich dieser Definition zufolge selbst als ein Genie. Der libertäre Ökonom hat die horrende Inflation Argentiniens innerhalb weniger Monate unter Kontrolle gebracht, präsentiert ausgeglichene Haushalte und positive Handelsbilanzen, steigende Reserven und stabile Wechselkurse. Seine Popularität in Argentinien hält sich auf einem hohen Niveau. Und international lässt Milei die Herzen der Märkte und von Liberalen höherschlagen. Selbst in Deutschland.

Doch auch nach einem Jahr im Amt lässt Milei Zweifel offen, wie viel Genie und wie viel Wahnsinn in ihm steckt. Nicht nur die wirtschaftliche Bilanz fällt gespalten aus. Den raschen Erfolgen stehen auch einige problematische Entwicklungen gegenüber. Die Hälfte der Bevölkerung lebt in Armut, die Ungleichheit und die Arbeitslosigkeit haben zugenommen, während die wirtschaftliche Aktivität eingebrochen ist. Anlass zum Zweifel gibt jedoch weniger sein konsequentes Sparprogramm, das im Grunde den Erwartungen entspricht, sondern die Person selbst. Milei, der es vor Jahren als aufbrausender Kommentator in Talkshows und mit seinen Hasstiraden gegen die politische Klasse ins Licht der Öffentlichkeit geschafft hat, hält bis heute an seinem Stil fest. Wer ihn hinterfragt, muss sich warm anziehen: Als „Ratten“, „Parasiten“ oder „verrottete Betrüger“ (um nur die harmlosesten Beispiele zu nennen) bezeichnet Milei selbst Skeptiker in den Reihen der bürgerlichen Parteien, die seine Politik im Kongress mittragen.

Mileis Hassrede richtet sich auch gegen die Presse. Er bezeichnet kritische Journalisten als „Mikrofondelinquenten“ oder beschuldigt sie, korrupt zu sein. Seine „Trolle“ im Internet zeigten die Realität besser, behauptet er. Diese Trolle stellen Journalisten an den Pranger und deren persönliche Daten ins Netz. Die argentinische Journalistenvereinigung spricht von einem Klima der Feindseligkeit und der Einschüchterung. Einer dieser hetzerischen Influencer im Netz gründete jüngst eine Gruppe namens „Kräfte des Himmels“, die sich als „bewaffneter Arm“ von Mileis libertärer Partei bezeichnet. Er bezog sich auf Mobiltelefone, „die mächtigste Waffe in der Geschichte der Menschheit“.

Mehr Hass seit Mileis Machtübernahme

Mileis Pressesprecher rechtfertigt den Stil Mileis mit dem Verweis auf die Meinungsfreiheit. Milei sei ein „super respektvoller Mensch“, der sich wie kein anderer für die Meinungsfreiheit einsetze. Den Verweis auf die Meinungsfreiheit kennt man von anderen Politikern, die sie als Argument verwenden, um ihre Gegner anzugreifen oder gar zu bedrohen. Den Argentiniern ist das zunehmend aggressive Klima nicht entgangen. In einer Umfrage sagten zwei Drittel der Befragten, dass Hass und Intoleranz zugenommen hätten, seit Milei die Macht übernommen habe.

Was die Wirtschaftspolitik angeht, so zeigt Milei einen klaren Blick. Sein Kurs mag die Meinungen spalten, doch er beruht auf einem rationalen Programm. Und das ist bisher relativ erfolgreich, auch politisch, wenn man den Rückhalt Mileis im Kongress und in der Bevölkerung als Maßstab nimmt. Wie viel Genie hingegen hinter dem konstanten Konfrontationskurs Mileis steckt, ist fraglich. Die meisten Beobachter sehen ihn als unnötig, kontraproduktiv und daher als nicht rational an.

Einige sehen dahinter gar ein pathologisches Verhalten, dessen Ursachen in Mileis Vergangenheit lägen, in der Milei selbst Aggressionen erfuhr. Sein Vater schlug ihn, während seine Mutter zuschaute. Geborgenheit fand Milei nur bei seiner Schwester Karina, die auch heute noch an seiner Seite steht und praktisch bei jeder Entscheidung ihres Bruders das letzte Wort hat. In jungen Jahren lebte Milei zurückgezogen. Sein treuer Begleiter war sein Hund Conan, der in Form von vier Klonen weiterlebt, die die Namen von bekannten libertären Ökonomen tragen.

Heute stehen die potentiellen Freunde Schlange beim einstigen Außenseiter und Einzelgänger. Und Milei sei sehr offen für neue Freunde, heißt es. Diese könnten aber ebenso rasch wieder aus dem Freundeskreis ausgestoßen werden. Einer dieser neuen Freunde ist Donald Trump. Die beiden begegneten sich schon lange vor der Wahl Trumps auf einer Veranstaltung der Conservative Political Action Conference (CPAC), wo sie sich in die Arme fielen und beste Freunde nannten. Amerikas neue Rechte hat den argentinischen Überflieger für sich entdeckt und vereinnahmt. Bereits viermal war Milei in diesem Jahr bei der CPAC eingeladen. Wer möchte nicht auf seiner Welle mitreiten?

Milei seinerseits genießt das Rampenlicht und den Applaus in diesen Kreisen, mit denen er seine Ablehnung des Sozialismus teilt. Was er dort schwieriger finden wird, sind Leute, die seine libertären Theorien teilen, gerade im Umfeld Trumps. Dort ist im Moment eher Protektionismus angesagt. Und mit diesem hat Argentinien seine ganz eigenen Erfahrungen gemacht.

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