Antwort hinauf Cem Özdemirs Frankfurter Allgemeine Zeitung-Gastbeitrag zu sexualisierter Gewalt

In einem FAZ-Gastbeitrag prangert Grünen-Politiker Cem Özdemir sexualisierte Gewalt an, die seine Tochter von migrantischen Männern erfahre. Nun antwortet ihm der Autor und Männlichkeitsexperte Fikri Anıl Altıntaş


Billiger Populismus: Cem Özdemir

Foto: Kay Nietfeld/dpa/picture alliance


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„Die Strategie, vorhandene Missstände in der Gesellschaft zu beschreiben und die Themen zu popularisieren, ist wichtig und legitim, aber dann so zu tun, als täte man das mit einem wissenschaftlichen Anspruch, das finde ich problematisch.“ Das sagte Cem Özdemir 2007 in einem Interview in Mely Kiyaks Buch 10 für Deutschland.

Man möchte ihn daran erinnern, auch siebzehn Jahre später sich an dieser Haltung zu orientieren. Natürlich, Deutschland ist heute ein anderes Land, aber der Anspruch zur Wahrheit zu gelangen, in dem man unterschiedliche Perspektiven wahrnimmt, sollte doch keinem billigen Populismus weichen, oder?

In einem FAZ-Gastbeitrag Ende September erzählt der Politiker Cem Özdemir (Die Grünen) davon, dass seine Tochter in Berlin „unangenehm begafft und sexualisiert“ wurde, von Männern mit Migrationshintergrund. Er spielt das Lied der einfachen Akkorde: Wann immer Schuldige für eine Öffentlichkeit gesucht werden, die sie in Gefahr bringen, und mit ihnen Frauen, die sich berechtigt Sorgen um ihr Wohlbefinden machen, singt er den Chorus über die migrantischen Männer, die nicht anders können, als Frauen zu belästigen.

Wer soll es ihnen verübeln, sie können nun mal nicht anders. Sie kommen aus Ländern mit patriarchalen Strukturen. Das seien eben Wahrheiten, die „offensiver thematisiert“ werden müssten.

Deutschland: Schon immer patriarchal geprägt

Lieber Cem Özdemir, ist Deutschland kein Land mit patriarchalen Strukturen? Die dahinterstehenden Realitäten zu sehen und benennen heißt eben auch, dass sexualisierte Gewalt von rassifizierten Männern deutlich öfter als Gefahr für die gesamtdeutsche Ordnung verstanden wird. Und von Ihnen plötzlich auf die Tagesordnung gerät, wenn Sie für menschenfeindliche Abschiebepraxen werben. Frage an Sie: Wenn Ihre Tochter älter wäre, würde sie Angst vor dem Oktoberfest haben? Oder ist das Volksfest ein Ort, der zwar öffentlich ist, aber öffentlicher, politischer, ja deutschlandweiter Empörung nicht wert ist, weil die nachweislichen Täter weiß sind?

Ich würde Sie dazu aufrufen wollen, Ihre Grundüberzeugung zu hinterfragen: Dass sich sexualisierte Gewalt durch alle Fassaden und Wände, durch alle Köpfe zieht, weil wir als Gesellschaft sie derart sozialisieren. Und Gewalt gegen Frauen strukturell verankert ist. Die ganzheitlichen Gewalterfahrungen zu negieren heißt auch bewusst zu ignorieren, dass Deutschland schon immer „patriarchal geprägt“ ist, wie Sie gern in Bezug auf die Herkunftsländer der Männer sagen, denen Ihre Tochter begegnet ist.

Wenn Ihnen Gewalt gegen Frauen ein ernstes Anliegen wäre, bräuchten Sie Ihre Tochter nicht, um die politische Dringlichkeit zu erkennen: Dass wir in einem Land leben, in dem jeden zweiten Tag Femizide passieren, Frauenhäuser ausgelastet und unterfinanziert sind, Männergewalt an der Tagesordnung steht, die alle betrifft.

Ihre Argumentation hat nicht den Kampf gegen patriarchale Strukturen im Blick, sondern richtet sich nach dem Fähnchen im Wind. Dieser ist längst durchzogen von einer Kultur der Unwissenschaftlichkeit und der rassistischen Kulturalisierung. Was wir brauchen, ist die Arbeit mit Männern, um sie von der Gewalt zu lösen. Und keine Sprache, die Gewalt gegen sie legitimiert.

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