Anreiz statt Verbote – Von jener Leyen beerdigt dasjenige nächste Projekt ihres „Green Deals“

Anreiz statt Verbote – Von jener Leyen beerdigt dasjenige nächste Projekt ihres „Green Deals“

Die EU-Kommission stellt ein neues Programm für die Landwirtschaft vor. Es ist ein bemerkenswerter Bruch mit der bisherigen Bauern-Politik, verspricht es doch weniger Öko-Regeln und eine Neuverteilung der Gelder. Manche Visionen passen schwer zusammen. Dennoch gibt es viel Zuspruch.

Eine „neue Ära der Landwirtschaft“ versprach die EU einst. Im Jahr 2020 stellte Ursula von der Leyen eine Strategie mit dem Namen „Farm to Fork“ vor, auf Deutsch etwa „vom Hof bis zur Gabel“. Die Präsidentin der Kommission wollte die gesamte Wertschöpfungskette klimafreundlich umbauen. Bauern sollten etwa weniger Pestizide einsetzen und weniger Kohlendioxid verursachen. Nun wurde das Projekt – vor fünf Jahren noch ein zentraler Teil der europäischen Umweltpolitik – beerdigt.

Die Kommission stellte ein neues Programm vor, es heißt „Vision für Landwirtschaft und Ernährung“. Der Schutz der Natur steht nicht länger im Mittelpunkt, stattdessen sollen Europas Höfe wettbewerbsfähiger werden. Brüssel will die Bauern auf dem Kontinent von Öko-Regeln und Bürokratie befreien.

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Es ist ein bemerkenswerter Bruch mit der bisherigen Politik. Von der Leyen widmete ihre erste Amtszeit dem Kampf gegen den Klimawandel und setzte den „Green Deal“ auf, beflügelt von Greta Thunberg und der Bewegung Fridays for Future. In ihrer zweiten Amtszeit – nach europaweiten Protesten von Bauern und unzähligen Beschwerden aus der Wirtschaft – wendet sie sich davon ab.

Im vergangenen Jahr rollten an manchen Tagen mehr als 1000 Traktoren durch Brüssel und legten den Verkehr lahm, einige durchbrachen sogar die Barrieren der Polizei nahe der Kommission. Bauern zündeten Reifen an und kippten Gülle auf die Straßen. Man habe diesen Hilferuf gehört und antworte jetzt, sagte am Mittwoch EU-Agrarkommissar Christophe Hansen, als er die neue Strategie vorstellte.

Brüssel setzt nun auf Anreize statt auf Verbote

Was könnte sich mit ihr ändern? Derzeit bekommen Europas Bauern feste Summen Geld je Hektar Land. Künftig sollen jene, die in finanziellen Schwierigkeiten stecken oder sich besonders stark für Umweltschutz und Tierwohl einsetzen, mehr Unterstützung erhalten.

Anreize statt Verbote, so lautet das Versprechen der EU-Kommission. Ein Beispiel: Die Behörde dürfte den Einsatz von Pestiziden deutlich weniger einschränken als geplant. Die Idee einer Halbierung bis 2030 scheiterte vergangenes Jahr am Widerstand der Konservativen im EU-Parlament. „Wir müssen umdenken“, sagt nun der Luxemburger Hansen, selbst Sohn eines Bauern.

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Er will auch dafür sorgen, dass für noch mehr importierte Agrarprodukte als bisher dieselben strengen Standards gelten, die heimische Produzenten erfüllen müssen. Etwa bei der Haltung von Vieh oder dem Versprühen von Chemikalien auf den Feldern. Denn sonst, so Hansen, drohe Europas Bauern ein Wettbewerbsnachteil.

Noch enthält die „Vision“ der Kommission viele vage Ankündigungen. Man werde etwa mit einem „Nachhaltigkeitskompass“ und einem „ambitionierten Fahrplan“ auf „neue beispiellose Herausforderungen“ reagieren.

Was genau bedeutet das? Noch weiß das wohl niemand. Zudem scheint von der Leyens neue Strategie alles auf einmal zu wollen. Die Zahl der Öko-Regeln sinke, verspricht ihre Behörde – aber Abstriche beim Umweltschutz gebe es nicht. Das passt schwer zusammen.

Viel Lob – aber Kritik von den Grünen

Viele in Brüssel begrüßen die Pläne zum Bürokratieabbau. „Niemand entscheidet sich für eine Tätigkeit in der Landwirtschaft, um Formulare für die EU auszufüllen“, sagt der CSU-Europaabgeordnete Markus Ferber. „Die überbordenden Bürokratielasten gefährden nicht nur die Wettbewerbsfähigkeit, sondern auch den Fortbestand heimischer Betriebe.“

Man müsse die Attraktivität des Berufs erhöhen, um junge Menschen für die Übernahme von Höfen zu gewinnen. Nach Angaben der Kommission sind heute gerade einmal zwölf Prozent aller Bauern in Europa jünger als 40 Jahre.

Auch der Präsident des Deutschen Bauernverbandes, Joachim Rukwied, lobt die Strategie der EU. „Im Mittelpunkt stehen klar anreizbasierte, freiwillige Leistungen“, sagt er. „Das macht Mut und stimmt zuversichtlich, dass die neue EU-Kommission auf eine Politik im Sinne der Bauernfamilien setzt.“

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Kritik kommt von den Grünen. „Visionär ist am Zukunftsprogramm von Agrarkommissar Hansen nur wenig“, sagt der Europaabgeordnete Martin Häusling. „Der Text liest sich so, als gäbe es die Herausforderungen Klimawandel und Artensterben gar nicht.“ Das werde der aktuellen Situation nicht gerecht und sei rückwärtsgewandt.

Wie geht es nun weiter? In den kommenden Monaten dürften konkrete Gesetzesvorschläge folgen. Brüssels „Vision“ könnte etwa zu Änderungen an der sogenannten gemeinsamen Agrarpolitik, kurz GAP, führen – und zu einer anderen Verteilung der milliardenschweren Subventionen für Europas Landwirte. Sie erhalten derzeit rund ein Drittel des EU-Haushalts. Große Agrarbetriebe profitieren dabei oft stärker als kleine Höfe. Kommissar Hansen will hier in Zukunft ein „gewisses Gleichgewicht“ herstellen.

Im langfristigen Haushalt von 2021 bis 2027 sind rund 387 Milliarden Euro für die Landwirte reserviert. Brüssel sucht dringend Geld für Technologien der Zukunft wie schnelle Computerchips und künstliche Intelligenz sowie die eigene Verteidigung.

Doch die Agrar-Subventionen wird niemand kürzen. Weil Landwirte oft unter Dürren und Überschwemmungen leiden und die EU – völlig zurecht – eine stabile Lebensmittelproduktion auf dem Kontinent sichern will. Und auch, weil sonst in europäischen Hauptstädten wohl bald auch wieder Reifen brennen und Gülle abgekippt wird.

Stefan Beutelsbacher ist Korrespondent in Brüssel. Er berichtet über die Wirtschafts-, Handels- und Klimapolitik der EU.

Source: welt.de

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