Die islamistische Organisation „Muslim Interaktiv“ ist seit Mittwoch verboten. Nun wird bekannt: Gegen führende Mitglieder läuft seit 2024 eine Anklage wegen einer verbotenen Kundgebung in Hamburg – darunter ihr bekanntester Kopf Joe „Raheem“ Boateng.
Er inszenierte sich als Stimme junger Muslime, die sich von Politik und Gesellschaft nicht vertreten fühlen und wurde zum Wortführer der Organisation „Muslim Interaktiv“, die nun als verfassungsfeindlich verboten ist: Joe Adade Boateng, Szenename „Raheem“. Am Mittwoch erklärte Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) die islamistische Gruppierung „Muslim Interaktiv“ für aufgelöst. In Hamburg durchsuchte die Polizei sieben Objekte. Hamburgs Innensenator Andy Grote sprach von einem „Schlag gegen den modernen TikTok-Islamismus“.
Doch Boatengs juristische Probleme begannen lange vor diesem Mittwoch. Das Verbot traf eine Szene, die sich vor allem über soziale Medien radikalisiert hat – und deren führende Köpfe schon länger im Visier der Justiz stehen. Wie nun bekannt wird, hat die Generalstaatsanwaltschaft Hamburg bereits im August 2024 Anklage gegen Boateng und zwei Mitangeschuldigte erhoben. Das „Hamburger Abendblatt“ hatte zuerst über die Anklage berichtet.
Der Vorwurf gegen Boateng und die Mitstreiter: Sie sollen am 28. Oktober 2023 eine unangemeldete verbotene propalästinensische Versammlung am Steindamm organisiert und auf Instagram beworben haben. Laut Anklageschrift hielt einer der drei eine vorbereitete Rede, in der er Israel als „Zionistengebilde“ schmähte. Ein anderer Angeschuldigter soll mehrere hundert Teilnehmer durch lautstarkes Skandieren verschiedener Parolen „orchestriert“ haben. „Dementsprechend verhielten sich die Versammlungsteilnehmer zum Teil aggressiv und es kam zu gewalttätigen Übergriffen auf eingesetzte Polizeibeamte.“ Weiter heißt es: Das Geschehen wurde von „Muslim Interaktiv“ mit einer Drohne aufgenommen und über Social-Media-Plattformen „propagandistisch ausgeschlachtet“. Die Stimmung eskalierte, es kam zu Übergriffen auf Polizisten. Drei Beamte mussten ins Krankenhaus.
2024 skandierte die Gruppe „Kalifat ist die Lösung“
Boateng, geboren 1998, stammt aus Hamburg. In seinen Videos erklärte er, ein Elternteil stamme aus Deutschland, eines aus Ghana. Lange war der Lehramtsstudent der breiten Öffentlichkeit nicht aufgefallen. Auch die Demonstration kurz nach dem Angriff der Hamas auf Israel im Jahr 2023 hatte außerhalb Hamburgs wenig Aufregung erzeugt.
Im April 2024 jedoch folgten mehr als 1000 Menschen, meist junge Männer, dem Aufruf von „Muslim Interaktiv“. Wieder war der Schauplatz der Hamburger Steindamm in der Nähe des Hauptbahnhofs. In einem aggressiv inszenierten Aufmarsch hielten die Demonstranten Schilder mit der Aufschrift „Kalifat ist die Lösung“ hoch. Immer wieder hallten „Allahu akbar“-Rufe durch St. Georg.
Boateng präsentierte sich als einer der Köpfe der Bewegung. Plötzlich interessierte sich auch die große bundesweite Öffentlichkeit für den Mittzwanziger und seine Vorstellung von einer „Alternative zur westlichen Wertediktatur“ – die er in professionell produzierten Videos propagierte, die über Instagram und TikTok verbreitet wurden.
Die Debatte danach war heftig: Darf jemand, der offen ein Kalifat fordert, Lehrer werden? Hamburgs damalige Wissenschaftssenatorin Katharina Fegebank (Grüne) stellte klar: Nein. Beamtenrecht und Verfassungstreue schließen das aus. Für Boateng war das kein Rückzugssignal – im Gegenteil: Er baute seine Rolle als Wortführer aus, trat bei weiteren Kundgebungen auf und wurde zum Gesicht einer Bewegung, die gezielt junge Muslime über soziale Medien anspricht.
Präventionsarbeit gegen Islamismus weiter wichtig
Mit dem Verbot von „Muslim Interaktiv“ ist die Organisation Geschichte. Das Bundesinnenministerium begründet den Schritt mit der „verfassungsfeindlichen Grundhaltung“ der Gruppe, die Demokratie und Rechtsstaat ablehne und das Existenzrecht Israels bestreite. Hamburgs Innensenator Andy Grote spricht von einem „Schlag gegen islamistische Strukturen“. Doch Experten warnen: Die Ideologie verschwindet nicht. „Der Senat muss seine Präventionsarbeit gegen Islamismus intensivieren“, fordert der innenpolitische Sprecher der Linken in der Hamburgischen Bürgerschaft, Deniz Celik.
Für Boateng bedeutet das Verbot nicht das Ende seiner juristischen Probleme. Über die Anklage von 2024 hat das Amtsgericht St. Georg noch nicht entschieden. Aktuell werde geprüft, ob es Anklage zugelassen und das Hauptverfahren eröffnet werde, teilte das Gericht auf WELT-Anfrage mit.
juve
Source: welt.de