Angst, Wut, Adrenalin: Als Frau nachts solo gen dem Heimweg

Der Weg nach Hause ist für Frauen nachts häufig von Angst begleitet. Ständig umsehen, Umwege gehen und die Schlüssel griffbereit halten. Kein Wunder, dass unsere Autorin darüber wütend ist

Foto: Elva Etienne/Getty Images


Wenn ich spät abends oder nachts nach Hause gehe, habe ich Angst. Vor allem vor Männern. Es gibt dieses Phänomen, das gewiss keiner wissenschaftlichen Untersuchung standhält. Aber irgendwie, die Straßen mögen noch so leer sein, ist dort immer ein einzelner Mann oder eine Männergruppe unterwegs.

So auch vor ein paar Wochen. Er musste in dieselbe Straße und weil ich nicht wollte, dass er hinter mir lief, blieb ich kurz stehen. Er sollte lieber vorgehen. Aber er überraschte mich und ging sofort auf die andere Straßenseite, die weniger Straße als ein schmaler Pfad ist. „Einer von denen, die’s verstanden haben“, dachte ich. Und als er zu mir hinübersah, nahm ich das als wohlwollenden Blick wahr.

„Dinge, die nur Mädchen kennen, Heimweg, immer letzte Meter rennen“ singt die Sängerin Paula Hartmann in dem Song „Kein Bock“. Genau so sehen auch meine Heimwege nachts aus. Das letzte Stück renne ich. „Wenn jetzt doch etwas passiert, wäre das unnötig“, ist der Gedanke dahinter. Zuhause angekommen bin ich außer Atem, fühle mich wie Usain Bolt. Nur habe ich keine Medaille gewonnen, sondern den Heimweg überstanden. Das Adrenalin ist dann so hoch, dass ich ewig brauche, bis ich einschlafen kann. Ja, nachts, da bin ich ein Schisser.

Wenn ich könnte, würde ich abends am liebsten ausschließlich Taxi fahren, nur kann ich mir das auf die Dauer nicht leisten. Stattdessen antizipiere ich in solchen Momenten, wohin die Männer auf der Straße wohl als nächstes abbiegen, gehe langsam hinter ihnen her, rufe meine Mutter an oder halte meinen Schlüssel in der Faust zwischen Mittel- und Zeigefinger.

Den Schlüssel hole ich auch deswegen häufig schon im Bus heraus, weil meine Straße so schlecht beleuchtet ist, dass ich ihn vor der Haustür kaum in der Handtasche finde. An dieser Stelle: Danke an die Stadtplanung, ihr habt mal wieder nicht an uns Frauen gedacht!

Umweg aus Angst

An der Gabelung vor meiner dunklen Straße kamen auch der Mann und ich an diesem Abend an. Ich blieb wieder stehen. Würde er auch hineinmüssen? Er jedoch verschwand hinter einem Kleinbus. Ich wartete weiter, doch er kam nicht mehr hervor. Mag sein, dass er es sogar gut meinte und mir den Vortritt ließ, das weiß ich nicht.

Aber auf einmal realisierte ich, dass ich mit diesem Typen allein im Dunkeln bin. Umgeben von einem leeren Spielplatz und bereits geschlossenen Läden. Und da war es wieder, das Adrenalin gemischt mit einer Angst, die mich nicht weitergehen ließ.

Also kehrte ich um und lief um den ganzen Häuserblock. Auf meinem Weg wurde die Angst zur Wut, weil ich nicht verstand, warum ich mir das jeden Heimweg antun muss. Adrenalin, weil einer hinter mir läuft. Adrenalin, weil ich rennen muss. Adrenalin, weil ich als Frau im Patriarchat lebe.

So schnell die Angst verschwunden war, war sie auch wieder da, als ich auf der anderen Seite in die dunkle Straße blickte. „Sollen wir los?“, fragte ein Typ, der mit ein paar Freunden und einer Freundin vor der Bar an der Ecke stand. „Müsst ihr auch da lang?“, grätschte ich rein und zeigte in die Richtung meiner Wohnung. „Ne, warum?“, sagte er. Als ich ihnen meine Situation erklärte, boten sie mir an, mich nach Hause zu bringen.

Ein paar Sekunden später liefen nicht nur ein Mann, sondern gleich eine Handvoll Männer neben mir durchs Dunkle. Jetzt, wo ich darüber nachdenke: Ich bin wohl doch kein Schisser, sondern ziemlich mutig.

Super Safe Space

Noelle Konate ist 1994 in München geboren, ausgebildet in Modejournalismus und Medienkommunikation und lernt aktuell an der Henri-Nannen-Journalistenschule in Hamburg. Für den Freitag schreibt sie im Wechsel mit Saskia Hödl, Leander F. Badura und Alina Saha die Kolumne „Super Safe Space“.

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