Kaum Wohnungsangebote, lange Schlangen bei Besichtigungen und hohe Mieten in neuen Verträgen: Der Wohnungsmangel in den Ballungszentren hat sich entgegen vieler politischer Versprechen nicht entschärft, sondern durch die hohe Zuwanderung nach Deutschland und Landflucht noch verschärft. Die Bundesregierung will jetzt mit einem neuen Instrument gegensteuern: der „Wohngemeinnützigkeit“. Die Idee dahinter: Wer dauerhaft Wohnraum zu einem günstigen Preis vermietet, soll steuerlich begünstigt werden.
Das Bundeskabinett verabschiedete am Mittwoch das Jahressteuergesetz, in dem eine entsprechende Änderung der Abgabenordnung (AO) vorgesehen ist. In Paragraph 52 soll die Liste der gemeinnützigen Zwecke, mit denen Organisationen unter anderem von der Körperschaft- und Gewerbesteuer befreit sind, um einen „wohngemeinnützigen“ Zweck erweitert werden. Voraussetzung ist, dass die Wohnungen dauerhaft mit „Sozialbindung“ vermietet werden, sprich: zu Preisen unterhalb der Marktmiete und an Menschen mit geringen Einkommen. Die Bildung von Rücklagen für Sanierungen soll möglich sein.
„Weitere Säule für bezahlbaren Wohnraum“
In Regierungskreisen wird damit gerechnet, dass rund 100 Organisationen – Vereine, Stiftungen, aber auch Unternehmen – die Regelung in Anspruch nehmen könnten. In welcher Höhe dadurch Steuermindereinnahmen zu erwarten sind und wie viele günstige Wohnungen so neu entstehen, könne man aktuell noch nicht beziffern, hieß es in Regierungskreisen.
Das Ministerium sprach von einer „weiteren Säule für bezahlbaren Wohnraum“, die 105.000 Mieter erreichen könne. Es sieht auch Chancen, dass Unternehmen das Instrument für den Bau von günstigen Mitarbeiterwohnungen nutzen könnten. Weitere Säulen der Wohnungspolitik sind die Förderung des sozialen Wohnungsbaus – wobei hier die Sozialbindung nach einem bestimmten Zeitraum endet – und Förderprogramme für klimafreundliche Neubauten.
Die Wohnungswirtschaft ist wenig begeistert
Das Vorhaben, eine „neue Wohngemeinnützigkeit“ einzuführen, steht im Koalitionsvertrag der Ampel. Im vergangenen Sommer stellte das Bauministerium von Klara Geywitz (SPD) in einem Eckpunktepapier mehrere Optionen vor. Die jetzt gewählte ist vergleichsweise einfach im Steuerrecht umzusetzen. Eine weitergehende Variante, mit der es auch Zuschüsse für die Schaffung von gemeinnützigem Wohnraum gegeben hätte, wurde in der regierungsinternen Abstimmung verworfen.
In der Wohnungswirtschaft hielt sich die Begeisterung in Grenzen. Der Präsident des Gesamtverbands der Wohnungswirtschaft (GdW), Axel Gedaschko, sprach von einer „sinnvollen Ergänzung im Kampf gegen den Wohnungsmangel“. Nötig seien aber breiter angelegte „Fördersysteme für bezahlbaren Wohnraum für die Mitte der Gesellschaft“. Der Verband erwartet, dass durch die Wohngemeinnützigkeit nur wenige neue Wohnungen entstehen.
Tim-Oliver Müller, Geschäftsführer des Hauptverbandes der Deutschen Bauindustrie, kritisierte: „Die eigentliche Frage, wie mit exorbitant hohen Baukosten umgegangen werden soll, ist bisher noch nicht beantwortet. Denn die Differenz zwischen hohen Baukosten und sozialverträglichen Mieten muss auch im Rahmen der Wohngemeinnützigkeit bezahlt werden.“
Verbänden zufolge fehlen in Deutschland inzwischen rund 800.000 Wohnungen, 100.000 mehr als im vorigen Jahr. Mehr als jeder zweite Haushalt wohnt zur Miete. Rund 60 Prozent der Mietwohnungen werden von Privatleuten angeboten. Die Wohnungsbranche drängt seit Monaten auf mehr zinsgünstige Kredite, um die zuletzt um ein Viertel eingebrochene Zahl der Baugenehmigungen für neue Wohnungen wieder zu beleben.
Ein Skandal brachte das Instrument in Verruf
Dass von einer „neuen Wohngemeinnützigkeit“ die Rede ist, hängt damit zusammen, dass es dieses Modell der Wohnungsförderung schon einmal gab. Doch ein Korruptionsskandal in den achtziger Jahren um die „Neue Heimat“, einst Europas größter Wohnungsbaukonzern und in der Hand des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB), brachte es in Verruf. Der Vorstand hatte überhöhte Rechnungen an eigens gegründete Untergesellschaften gestellt. Die Neue Heimat wurde zum Synonym für Filz.
Deshalb gab es auch wenig Widerstand gegen die Abschaffung der Wohngemeinnützigkeit im Jahr 1990, zumal der Wohnungsmangel der Nachkriegszeit da längst beseitigt war. Eine Wiederholungsgefahr sieht man im Bauministerium nicht. Ein Problem damals sei die Bauverpflichtung der Unternehmen gewesen, teilte ein Sprecher auf Anfrage mit. „Der durch den neuen wohngemeinnützigen Zweck abgesteckte Rahmen für die Vermietung ist auch deutlich flexibler.“
Auch in Österreich läuft nicht alles rund
Als Vorbild für eine erfolgreiche, gemeinnützige Wohnungsbaupolitik gilt vielen Österreich. Von den 2 Millionen Einwohnern in der Hauptstadt Wien leben 80 Prozent zur Miete, davon gut die Hälfte in geförderten Gemeinde- und Genossenschaftswohnungen. Auf dem Land sind die Verhältnisse anders, aber laut Statistik Austria wohnten im vergangenen Jahr 52 Prozent der 9,2 Millionen Österreicher in Mietwohnungen – die meisten in irgendeiner Weise gefördert.
Eckpfeiler der österreichischen Wohnungspolitik ist der staatliche Verzicht auf Gewinnsteuern für Bauherren. Im Gegenzug sind die Mietpreise (und manches andere im Wohnungsgemeinnützigkeitsgesetz wie Weiterverkauf, Einigung und Kontrolle des Betreibers) reguliert. Die Miete darf „nicht höher, aber auch nicht niedriger angesetzt werden“, als sich aus den Kosten der Herstellung oder der Bewirtschaftung der Wohnhäuser ergibt.
Nach einer Studie des Wirtschaftsforschungsinstitutes Wifo lag die Kostenmiete der so geförderten Wohnungen 2021 rund 20 Prozent je Quadratmeter unter jenen von gewinnorientierten Anbietern. Zuletzt kostete eine gemeinnützige Wohnung im Schnitt 7,60 Euro je Quadratmeter, 3 Euro weniger als bei der privaten Konkurrenz. Günstiger schneiden allenfalls Kommunalbauwohnungen ab.
Das Ganze funktioniere nur, weil die Bauherren langfristig kalkulieren und sich günstig verschulden könnten, heißt es in der Branche, deren Geschichte auf deutsche Vorbilder wie Friedrich Wilhelm Raiffeisen zurückgeht. Österreichs Verband gemeinnütziger Bauvereinigungen überwacht heute 182 Vereinigungen aller Rechtsformen: 97 Genossenschaften, 75 GmbHs und auch 10 Aktiengesellschaften. Zu deren Eigentümern gehören auch Banken.
Allerdings gibt es auch in Österreich Klagen über sinkende Neubauzahlen. Unter anderem erschwert der zuletzt eingeführte staatliche Mietpreisdeckel die Refinanzierung des Wohnungsbaus in Zeiten steigender Zinsen und Baukosten. Ein anderes Thema ist die Frage, wer zu welchen Konditionen Zugang zu einer geförderten Wohnung bekommt, die er, einmal ergattert, in der Regel ein Leben lang zu günstigen Konditionen bewohnen kann, unabhängig davon, wie sich sein persönliches Einkommen entwickelt.