Angela Merkel ehrt Ulrich Matthes: Als sei sie nie fort gewesen

Am Ende dieses erstaunlichen Abends hebt der Schauspieler
Ulrich Matthes einen kleinen weißen Schädel in die Höhe, den man ihm soeben
überreicht hat, und man denkt sich: Wird er jetzt „Sein oder Nichtsein?“
deklamieren und den Spielgefährten Yorick rühmen, der längst auf dem Friedhof
liegt, wird er also Hamlet spielen und ein Gespräch mit einem Totenkopf
beginnen?

Aber nein, es ist der Kopf Konrad Adenauers, fein
gearbeitet, aus Porzellan gefertigt, den Matthes da emporhält. Man hat dem
famosen Bühnenkünstler das Stück als Geschenk überreicht, fürs Regal mit den
Trophäen.

Wo sind wir hier? Nicht im Theater. Wir befinden uns im
Berliner Botschaftsviertel, in einer Kernregion internationaler Diplomatie.
Hier hat auch die CDU-nahe Konrad-Adenauer-Stiftung ihren Sitz, die jedes Jahr
eine herausragende Persönlichkeit mit einer Hommage ehrt und dem Kanzlerkopf aus Porzellan. Dieses Jahr traf es
Ulrich Matthes. Ausgezeichnet wird er gewissermaßen für sein Lebenswerk,
obwohl er gerade erst 65 geworden ist.

Matthes hat schon alle Preise erhalten, die man in seinem
Beruf überhaupt bekommen kann. Er weiß, wie man den eigenen Stolz, die Rührung,
die Bescheidenheit zu dosieren hat, wenn man öffentlich gewaltig gelobt wird, und
wie man durch so einen Abend kommt, ohne dabei peinlich zu wirken. Dieser
Abend in Berlin ist allerdings auch für ihn ein besonderer, der ihn an den Rand
der Rührung bringt, denn die Lobrede auf den Geehrten hält Angela Merkel.

Die ehemalige Kanzlerin, eine der sachlichsten Personen
des öffentlichen Lebens in diesem Land, hat sich nie dezidiert zu der Frage
geäußert, ob Politik auch Schauspiel und Theater sei. Niemals – bis zu jenem Abend
in der Konrad-Adenauer-Stiftung. (Deren Mitglied sie offenbar nicht mehr ist.) Nun muss sie Farbe bekennen.

Denn sie und Matthes, den sie hier zu loben und irgendwie
auch zu erklären hat, sind seit fast 20 Jahren befreundet. Man könnte sagen: Sie
gehen manchmal zusammen ins Theater. (Wenn auch durch verschiedene Türen.) Und
anschließend gehen sie miteinander essen, nach einer Vorstellung, die er als
Darsteller auf der Bühne und sie im Parkett als Zuschauerin verbracht hat, im Deutschen Theater in Berlin, dem Matthes seit zwei Jahrzehnten treu verbunden ist. Merkel und Matthes
essen miteinander und lernen voneinander: Sie befragt ihn zum Theater, er sie
zur Politik. Sie, die Meisterin der Macht, und er, der Meister der
Machtdarstellung. Offenbar haben sie einander viel zu erzählen. Es werde, so
Matthes, immer viel gekichert, wenn die beiden zusammensitzen.

Merkel tritt im Auditorium der Konrad-Adenauer-Stiftung ans Rednerpult, als sei sie nie fortgewesen; sie trägt auch noch die Kanzlerinnenjacke. Ihr Ruf ist ja der einer
bisweilen unerbittlichen Analytikerin, die jedes Phänomen erst mal abkühlen
lässt, weil man es dann besser untersuchen kann. Und sie wird ihm gerecht,
diesem Ruf. Selbst wenn sie den „Glutkern“ rühmt, den Ulrich Matthes‘ Spiel
habe, wirkt sie, als schaue sie durch schützendes Panzerglas in die
künstlerische Hitze.  

„A verkörpert B, während C zuschaut“

Nun wartet sie mit einer Definition von Theater auf, die
sie im Netz bei einem Theaterwissenschaftler gefunden hat und die sofort
einleuchtet: „A verkörpert B, während C zuschaut.“

Das, was in der Politik als Theater bezeichnet wird, werde
von dieser Formel recht gut erfasst, aber eben nicht ganz, sagt Merkel. Der
Politiker A nämlich tendiere dazu, nicht eine Figur B zu verkörpern, sondern
sich selbst, allerdings in einem früheren Zustand. Es gehe beispielsweise
darum, die eigene Wut zu konservieren, die man vielleicht am Abend vor einer
parlamentarischen Sitzung empfunden habe, um sie dann wirksam am kommenden
Vormittag in der Sitzung selbst abzurufen. Und dann erinnert Merkel ausführlich
an einen Tumult, der sich im März 2002 im Bundesrat ereignet hat. Es war ein
Tumult, den CDU-Politiker scheinbar spontan aufführten, da sie über einen
Beschluss des damaligen Bundesratspräsidenten Klaus Wowereit (SPD) ebenso
scheinspontan empört zu sein schienen. Tatsächlich aber wussten sie vorher, was
Wowereit tun würde, es ging damals um das Zuwanderungsgesetz, und sie hatten
abgesprochen, sich in der Bundesratssitzung gemeinsam zu empören. „Das war
Theater, aber legitimes Theater“, sagte später der CDU-Politiker Peter Müller
über diese Performance.

Merkel schildert den Vorgang ausführlich und lässt offen,
ob sie ihn missbilligt; man hat als Zuhörer eher den Eindruck, sie schildert
ihn aus Transparenzgründen, damit nun, da sie nichts mehr damit zu tun hat, das
Volk eine Ahnung davon bekommt, wie es regiert wird.

Am Ende dieses erstaunlichen Abends hebt der Schauspieler
Ulrich Matthes einen kleinen weißen Schädel in die Höhe, den man ihm soeben
überreicht hat, und man denkt sich: Wird er jetzt „Sein oder Nichtsein?“
deklamieren und den Spielgefährten Yorick rühmen, der längst auf dem Friedhof
liegt, wird er also Hamlet spielen und ein Gespräch mit einem Totenkopf
beginnen?

Aber nein, es ist der Kopf Konrad Adenauers, fein
gearbeitet, aus Porzellan gefertigt, den Matthes da emporhält. Man hat dem
famosen Bühnenkünstler das Stück als Geschenk überreicht, fürs Regal mit den
Trophäen.

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