Andy Goldsworthy: Ab durch die Hecke!

Kalter Wind schiebt Regenwolkenfetzen den blassblauen Himmel entlang. Ein Acker in Ostwestfalen. Darauf: ein Mann im Schlamm. Bis zur Hüfte reicht ihm die 180 Meter lange Rinne, die er zum Scheitelpunkt eines sanft gewellten Hügels gegraben hat. In seiner Hand: eine kleine Spitzhacke. Von den groben Schuhen bis hinauf zur schwarzen Wollmütze ist er mit klebrigem Lehm bedeckt. Plötzlich bricht im Westen die tief stehende Oktobersonne durch, ein Regenbogen wölbt sich über Schlamm, Mann, Rinne. Als spendete der Himmel den Vorgängen auf dem Acker seinen Segen. Dabei wird es noch Jahre dauern, bis das Werk, das hier entsteht, seine ganze Pracht entfaltet. Und wirklich vollendet wird es niemals sein.

Kunst ist schön, macht aber viel Arbeit – wenn einer die Wahrheit des Karl Valentin zugeschriebenen Spruchs am eigenen Leib erfahren hat, dann Andy Goldsworthy.

Er ist der Mann auf dem Acker; seit fast einem halben Jahrhundert macht er aus Natur Kunst. 1989 formte er aus Schneeblöcken am Nordpol vier große, aufrecht stehende Eisringe. Am anderen Ende der Welt, in Tasmanien, ist jüngst seine Stone Sea Passage fertig geworden, ein über 50 Meter langer Gang aus gewaltigen Steinquadern, der vom Land ins Meer führt. Mit unendlicher Geduld hat Goldsworthy aus dürren Zweigen gigantische, fragile Gespinste geschaffen, die beim kleinsten Windhauch zusammenstürzten. Der Sisyphus der Land Art. Zwischen Steinen, in Bächen, um die Wurzeln von Bäumen herum legte er in stundenlanger Handarbeit monochrom leuchtende Bilder aus Blättern, die er vor Ort fand – und die vergingen, schon bald nachdem er sie mit seiner Hasselblad-Kamera verewigt hatte. Die prächtigen Bildbände, die das Vergängliche festhielten, erschienen ab den Neunzigerjahren im Verlag Zweitausendeins und machten den stillen Briten auch hierzulande zu einem Star. Doch noch nie hat er ein Werk in Deutschland realisiert. Bis jetzt.

„Drei oder vier Tage mussten wir die Steine mit der Hand rausholen“

Am Abend des Regenbogentages sitzt Andy Goldsworthy im Saal von Gut Holzhausen, einer imposanten Hofanlage aus dem 16. Jahrhundert, gelegen nahe dem Städtchen Nieheim, zwischen Paderborn und Höxter. Hier ist der Künstler für drei Wochen untergebracht; der Hausherr ist nicht nur sein Gastgeber, sondern auch sein Auftraggeber: Johann-Friedrich von der Borch, dessen Familie seit mindestens 1483 hier ansässig ist und seit 1956 biologisch-dynamische Landwirtschaft betreibt. Inzwischen ist der Bauernhof zum „Kulturgut“ geworden, wo jeden Sommer das internationale Stimmenfestival Voices den Bullenstall von 1813 in einen außergewöhnlichen Konzertsaal verwandelt. Und von der Borch gehört auch der Acker mit der Rinne, aus der Hedge Walk werden soll, ein echter Goldsworthy. Vom Lehm befreit, aber sichtlich erschöpft, erzählt der Künstler bei einer Flasche Bier von der Arbeit, die Kunst macht:

„Eigentlich wollten wir den Graben mit einem fabelhaften kleinen Bagger anlegen, der eine schöne Form gräbt. Aber er hat immer neue Steine rausgezogen, die die Form kaputtgemacht haben. Das war interessant, anstrengend, hart: die Schwere des Bodens, der Lehm, besonders bei dem nassen Wetter. Drei oder vier Tage mussten wir die Steine mit der Hand rausholen. Ich hatte nicht gedacht, dass ich selbst ein paar Tage in der Rinne stehen und graben würde. Ich bin jetzt 67 Jahre alt und glaubte, ich hätte in meiner Karriere einen Punkt erreicht, an dem ich nicht mehr selbst in die Grube kriechen muss … Am Ende ist aber immer das Ziel: Egal, wie viel Mühe es gemacht hat – es muss mühelos wirken. Die Erinnerung an das Graben wird für immer in meinem Körper stecken, und das wird Hedge Walk zu einem stärkeren Werk machen.“

Und das ist die Idee: Am Rand links und rechts der Rinne wurden 1.100 Weißdornbüsche gepflanzt, die nach wenigen Jahren oberhalb des Grabens zusammenwachsen und eine Art Gewölbe bilden werden. So entsteht ein menschenbreiter, menschenhoher Gang den Hügel hinauf, dem Licht entgegen. Begonnen hat die Arbeit daran schon vor sechs Jahren, als Goldsworthy erstmals von der Borchs Ländereien besichtigte auf der Suche nach einem geeigneten Ort. Einige Installationen gibt es dort bereits, versprengt im Wald und auf Kuhweiden; sie bilden den Nieheimer Kunstpfad, den von der Borch mit seiner Frau Yi Li schon 1999 initiierte. Der wird mit Hedge Walk in eine neue Dimension katapultiert – so wie die ganze Gegend, deren größte Attraktionen bislang Museen für Käse, Säcke und Bier sind.

Der „Hedge Walk“ auf einer Skizze des Künstlers

„Meine Ideen warten auf den richtigen Ort. Den wähle ich gar nicht so gern selbst aus, ich lasse mich einladen. Ich hatte schon mal eine Idee für eine Hecke auf Mallorca und für eine in England. Beide wurden nicht realisiert, so wie viele Ideen niemals realisiert werden. Aber ich verstehe sie nach und nach immer besser. Und hier war der Kontext stark: Ein Hof, dazu die Hecken und Gräben, die es bereits in der Landschaft gibt. Das interessiert mich: Mit dem agrikulturellen Stoff, der sozialen Natur dieser Landschaft, zu arbeiten, die menschliche Seite dieses Ortes zu verstehen. Und Hecken sind menschliche Markierungen. Der Hedge Walk wird von außen gar nicht zu erkennen sein, er sieht aus wie eine Hecke, integriert in die landwirtschaftlich genutzte Fläche. Aber er wird auch die Spannungen dieser landwirtschaftlichen Nutzung in sich tragen.“

Damit das Kunstwerk möglichst wenig künstlich, nicht „gemacht“, sondern ganz selbstverständlich wirkt, hat Goldworthys alles wie immer akribisch geplant. Die zarten Skizzen zum Projekt legen genau fest, wie breit der Graben an seinem Boden zu sein hat (30 Zentimeter) und wie breit an seinem oberen Rand (84 Zentimeter); der Abstand der Pflanzen beträgt 1,05 Meter, und sie sollen später einmal in 2,25 Meter Höhe zueinander finden. So wichtig ist ihm das Projekt, dass er im März vor drei Jahren auf seinem eigenen Grund und Boden in Schottland eine 40 Meter lange Testhecke pflanzte. Dort hat sich das Gewölbe der Zweige bereits geschlossen.

„Es ist ein zugleich einfaches und komplexes Werk. Hecken sind zwar integraler Bestandteil der pastoralen Landschaft, in Deutschland wahrscheinlich genauso wie in England. Aber ihre Geschichte ist komplizierter: Sie sind eigentlich Wände oder Wälle, auch Grenzbefestigungen. Sie wurden eigens für Schlachten gepflanzt! Sie sind aggressiv, es steckt ein Element der Angst in ihnen. Ich mag das, für mich ist Landschaft nicht immer dieses Bukolische, nicht dieser therapeutische Ort, an dem man gern ist. Landschaft ist auch herausfordernd, schwierig, manchmal brutal. Die Dornen zum Beispiel sind sehr aggressiv. Wenn sich alles entwickelt, wie ich es mir erhoffe, werden manche Menschen es lieben, in die Hecke zu gehen, andere werden es gar nicht können, weil sie es als bedrohlich empfinden. Am Ende des Tunnels wird man das Licht oben an der Spitze des Hügels sehen, vielleicht eine Erlösung, wer weiß.“

Kalter Wind schiebt Regenwolkenfetzen den blassblauen Himmel entlang. Ein Acker in Ostwestfalen. Darauf: ein Mann im Schlamm. Bis zur Hüfte reicht ihm die 180 Meter lange Rinne, die er zum Scheitelpunkt eines sanft gewellten Hügels gegraben hat. In seiner Hand: eine kleine Spitzhacke. Von den groben Schuhen bis hinauf zur schwarzen Wollmütze ist er mit klebrigem Lehm bedeckt. Plötzlich bricht im Westen die tief stehende Oktobersonne durch, ein Regenbogen wölbt sich über Schlamm, Mann, Rinne. Als spendete der Himmel den Vorgängen auf dem Acker seinen Segen. Dabei wird es noch Jahre dauern, bis das Werk, das hier entsteht, seine ganze Pracht entfaltet. Und wirklich vollendet wird es niemals sein.

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