An Amerikas Ostküste droht ein historischer Hafenstreik

Die wichtigsten Häfen an der Ost- und an der Golfküste der Vereinigten Staaten sind von einem Streik von 45.000 Hafenarbeitern bedroht, der schwerwiegende ökonomische Folgen hätte, sollte er länger als ein paar Tage dauern. Dann wäre wenige Wochen vor der Präsidentschaftswahl mit Versorgungsengpässen und Preissteigerungen für knappe Güter zu rechnen. Die Teuerung ist eines der großen Wahlkampfthemen.

Präsident Joe Biden hätte die recht­liche Möglichkeit, zu intervenieren und den Streik entweder zu verhindern oder zu stoppen, wenn er die nationale Sicherheit oder die Volksgesundheit bedroht sieht. Doch Biden hat sich als der gewerkschaftsfreundlichste Präsident in Amerikas Geschichte positioniert, die Demokraten sind überdies auf gewerkschaftliche Unterstützung in ihren Wahlkämpfen angewiesen. Das Weiße Haus ließ mitteilen, dass der Präsident derzeit keine Absicht habe, in den Tarifkonflikt einzugreifen.

Die Logistikanalysten von J.P. Morgan mut­maßen jedoch, dass der wirtschaftliche Schaden der Arbeitsniederlegungen zu groß werden könnte, um ihn aus politischen Gründen zu ignorieren. In Kanada hatte die arbeitnehmerfreundliche Regierung kürzlich in einen ökonomisch ebenfalls bedrohlichen Streik der Bahnfracht-Beschäftigten interveniert und Verhandlungen angeordnet, obwohl die Politiker zunächst verkündet hatten, sich herauszuhalten.

Streik träfe fast zwei Drittel der Exporte

Der Tarifvertrag der amerikanischen Hafenarbeiter läuft am 30. September aus. Die Tarifparteien haben seit Frühsommer nicht mehr an einem gemeinsamen Verhandlungstisch gesessen. Deshalb rechnen die Fachleute fest mit Arbeitsniederlegungen vom 1. Oktober an. Der Streik träfe die Hälfte der Containergüter, die nach den USA verschifft werden, und fast zwei Drittel der Exporte. Es wäre der erste Streik in den Ostküstenhäfen seit 1977, er träfe 36 Häfen, unter anderem die großen Umschlagplätze in New Jersey, Baltimore und Houston.

Die Gewerkschaft der Hafenarbeiter, die International Longshoremen’s Association (ILA), will erreichen, dass die Dockarbeiter an der Ostküste genauso viel Geld verdienen wie ihre Kollegen an der Westküste. Gewerkschaftlich organisierte Hafenarbeiter an der Ost- und Golfküste verdienen nach sechs Jahren im Beruf einen Grundlohn von 39 Dollar je Stunde. Das ist deutlich weniger als ihre gewerkschaftlich organisierten Kollegen an der Westküste, die 54,85 Dollar verdienen – ein Satz, der 2027 auf 60,85 Dollar steigen wird, ohne Überstunden und Sozialleistungen. Bei einer 40-Stunden-Woche verdienen die Hafenarbeiter an der Westküste mehr als 116.000 Dollar im Jahr, gegenüber 81.000 Dollar für ihre Kollegen im Osten.

Lohnsteigerung von 77 Prozent über sechs Jahre gefordert

Die Gewerkschaft hat ursprünglich eine Lohnsteigerung von 77 Prozent über sechs Jahre hinweg gefordert. Einzelheiten des Arbeitgeberangebots sind nicht bekannt. Die Forderung der Gewerkschaft beschränkt sich allerdings nicht auf Lohnerhöhungen. Sie will auch die zunehmende Automatisierung an den Häfen bremsen.

Die Gewerkschaft versprach, im Falle eines Streiks weiterhin alle Militärgüter und Passagierschiffe abzufertigen. Zehntausende Amerikaner, die Reisen im Voraus gebucht haben, sollen nicht belästigt werden, hieß es.

Ein Teil der Güter könnte über Westküstenhäfen abgewickelt werden. Das würde allerdings ein erhöhtes Verkehrsaufkommen und Verzögerungen nach sich ziehen. Sollte der Streik länger als wenige Tage dauern, kommen vor allem Unternehmen mit notorisch niedriger Lagerhaltung in Schwierigkeiten. Dazu gehören Unternehmen der Automobilindustrie und Pharmakonzerne. Sollte der Streik mehr als zwei Wochen währen, würde Amerika mit Lieferengpässen konfrontiert, die denen der Corona-Pandemie entsprächen, sagte Ryan Petersen, Chef des Logistikdienstleisters Flexport voraus.

Sollte der Arbeitskampf sogar einen Monat oder länger andauern, dann wären die amerikanische Wirtschaft und der Rest der Welt von Lieferengpässen betroffen, die an die Zeiten der Depression erinnerten. Als in der Phase der Pandemie wegen der Lieferengpässe die Preise zum Teil dramatisch stiegen, konnten die Unternehmen überleben, weil die Nachfrage nach ihren Gütern durch die staatlichen Ausgabenprogramme hochgehalten worden war, erklärte Petersen. Die Lage sei nun anders. Die Unternehmen hätten Probleme, hohe Preise zu rechtfertigen und durchzusetzen.

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