Kanzler Olaf Scholz und Finanzminister Christian Lindner sind lange im politischen Geschäft. Anzunehmen, dass sie ein Gespür für die Wirkung des Augenblicks besitzen. Wird nun ihr Ansinnen kundgetan, die Alimentierung der Ukraine über das bereits zugesagte Maß von über 16 Milliarden Euro 2024/25 nicht weiter hochzufahren, geschieht das nicht irgendwann. Gerade wird die „Operation Kursk“ der ukrainischen Armee bei deren westlichen Verbündeten mit Hoffnungen überfrachtet. Beistand und Zuversicht müssten das Gebot der Stunde sein.
Insofern wäre es nur folgerichtig, würden Scholz und Lindner ihre Botschaft über erlahmende deutsche Finanzkraft aufschieben. Ist das nicht der Fall, muss es dafür Gründe geben. Die Landtagswahlen in Thüringen wie Sachsen am 1. September und die miserablen Umfragewerte für SPD wie FDP gehören mutmaßlich dazu. Sie lassen beim Thema – den Krieg im Osten am Laufen halten – Zurückhaltung geboten erscheinen. Ein Sparhaushalt lässt sich besser rechtfertigen, wird der Eindruck vermieden, die Kriegskasse der Ukraine wird unabhängig davon weiter großzügig gefüllt. Gleichzeitig dürfte in der Regierung Scholz wenig Bedarf bestehen, zu einem Verlierer des Ukraine-Krieges zu werden. Präventive Maßnahmen sind gefragt.
Was passiert, wenn die USA nach der Präsidentenwahl ihr Engagement zurückfahren?
Egal, wer die US-Präsidentenwahl am 5. November gewinnt – es wird keine makellose Kontinuität der amerikanischen Ukraine-Politik geben. Mit Donald Trump ohnehin nicht, der ein Gefangener seiner Versprechen ist. Aber auch Kamala Harris dürfte sich als Präsidentin zu einer Inventur genötigt sehen, wenn interne Pentagon-Studien und Einschätzungen des französischen Generalstabs davon ausgehen, dass der Krieg für Kiew und den Westen nicht mehr zu gewinnen ist. Es sei denn, die NATO wird zur Kriegspartei. Nur wie sollte das zu rechtfertigen sein, von den verheerenden Konsequenzen für die europäischen Gesellschaften einmal abgesehen?
Russland, das zeigt die Lage im Raum Kursk, besitzt weder das militärische Vermögen noch ist es vom politischen Willen beherrscht, in Europa einzumarschieren. Daher bedeutet, die Ukraine halten zu wollen, nicht automatisch, damit Europa verteidigt zu haben. Vielmehr wird das wenig prestigeträchtige Eingeständnis hinausgezögert, sich als westliche Staatenmacht unter Führung der USA zwar heftig exponiert, aber nicht wie gewünscht durchgesetzt zu haben. Verhandlungen mit Russland könnten dazu geeignet sein, dies zu bemänteln. Der Schlüsselstaat in Europa, einen dafür notwendigen politischen Prozess in Gang zu setzen, ist Deutschland. Die Zeit drängt, dafür sind vor allem drei Gründe maßgebend.
Erstens: Wenn sich die USA zurückziehen, zumindest aber ihr Ukraine-Engagement beschneiden, muss Berlin als wichtigster Alliierter Kiews in die Bresche springen. Will man in diesem Fall allein dafür zuständig sein, den Krieg endlos fortzusetzen? Oder sollten zuvor schon Grenzen von den finanziellen Ressourcen her aufgezeigt werden? Zweitens dürfte Russland nach den bis Anfang 2022 gemachten Erfahrungen keinen Wert darauflegen, mit den USA oder der NATO zu verhandeln. Allein die Ukraine kommt dafür in Betracht, vielleicht moderiert durch die Türkei. Um die Regierung in Kiew darauf einzustellen, kann es ebenfalls nützlich sein, ihr die Grenzen externer Finanzierung aufzuzeigen. Schließlich wird eine, wie auch immer geartete, diplomatische Lösung die Frage aufwerfen, wie dann mit Russland umgegangen werden soll. Es hat sich als stabiler erwiesen, sowohl politisch wie ökonomisch als im Westen angenommen. Da erscheint es angeraten, über das Szenario eines Ausstiegs aus unbedingter Konfrontation, Verleumdung und Verteufelung nachzudenken. Die am Wochenende bekannt gewordene Option – wir geben nicht mehr unbegrenzt – kann das befördern. Die Zeit danach wirft ihre Schatten voraus.
Gezielte Aktion gegen kritische Infrastruktur
Zu guter Letzt könnte die Regierung Scholz mit ihrer „Sparsamkeit“ zum Ausdruck bringen, dass sie sich von Kiew weder brüskieren noch vorführen lassen will. Was vor Tagen das Wall Street Journal an Erkenntnissen zum Anschlag auf die deutsch-russische Nord-Stream-Erdgasleitungen in der Ostsee vor gut zwei Jahren veröffentlicht hat, bestätigt lange kursierende Vermutungen. Es handelt sich um Recherchen von einiger politischer Sprengkraft. Sie erhärten, dass die Ukraine Urheber und Vollstrecker der Sprengung und Präsident Wolodymyr Selenskyj wenigstens im Anfangsstadium der Operation im Bilde war.
Immerhin handelte es sich um eine gezielte Aktion gegen kritische Infrastruktur und einen Angriff auf die Souveränität Deutschlands, kam es doch zu einem „kriegerischen Akt“ gegen einen doch angeblich eng befreundeten Staat. Wenn sich die Bundesregierung nicht nach Strich und Faden lächerlich machen will, kann sie diese terroristische Sabotage schwerlich auf sich beruhen lassen, ohne angemessen zu reagieren. Die Ankündigung vom Wochenende, die Ukraine-Hilfsgelder zu deckeln, ließe sich auch als eine Reaktion auf das Vorgefallene deuten.