Amnesty-Menschenrechtspreisträgerin Yuli Velásquez – im Visier jener Miliz

Yuli Velásquez traut ihren Augen nicht, als sie am Morgen des 1. März einen Blick auf den Bildschirm im Wohnzimmer wirft, der die Bilder von drei Überwachungskameras wiedergibt. „Raus – Clan del Golfo“ steht in riesigen Lettern an der Seitenwand ihres Hauses im Stadtteil San Silvestre von Barrancabermeja. Sofort schickt sie die Aufnahmen zusammen mit einem Hilferuf an ein paar Freunde, darunter Iván Madero Vergel. „Die Aufforderung, den Stadtteil zu verlassen, kam mit dem Clan del Golfo von einem der brutalsten paramilitärischen Verbände Kolumbiens“, erklärt der Experte der Menschenrechtsorganisation Credhos.

Seekühe, Kaimane und Wasservögel in den Ciénagas

Die schickt sofort ein Team nach Barrancabermeja, in die wichtigste Erdölförder- und Raffineriestadt des Landes am Río Magdalena. Die Helfer sollen der bedrohten Familie von Yuli Velásquez beistehen. Wenig später trifft auch die Polizei ein. „Die Beamten drängten darauf, die Schmierereien schnell zu entfernen, zeigten jedoch wenig Interesse an den Bildern unserer Überwachungskameras“, erinnert sich Yuli Velásquez, die zugleich Präsidentin von FEDEPESAN ist, der Dachorganisation mehrerer Fischerei-Genossenschaften. FEDEPESAN wirbt für mehr Klima- und Umweltschutz in der Nordost-Region und verlangt entschiedenere Kontrollen bei Ecopetrol, dem weitgehend staatlichen Erdölförderungs- und Raffinerie-Betreiber: „Wir haben hier einzigartige Biotope mit weitläufigen Seen- und Sumpflandschaften, den Ciénagas. Sie sind traditionell nicht nur reich an Fischen, sondern auch an Seekühen, Kaimanen und Wasservögeln. Diese Vielfalt drohen wir mehr und mehr zu verlieren“, warnt Velásquez.

Sie ist sowohl Fischerin als auch diplomierte Umweltingenieurin und kennt die Zusammenhänge zwischen einer Kontaminierung durch Chemikalien und Erdölderivate, dem Fischsterben und der Bedrohung der Flora und Fauna eines Gebiets bis ins Detail. Diese Kompetenz sowie ihre freundliche, aber bestimmte Art haben dazu geführt, dass die 38-jährige Velásquez seit 2019 unbestritten das Gesicht von FEDEPESAN ist.

Die Ecopetrol-Raffinerie

„Yuli bringt unsere Probleme klar und fundiert auf den Punkt – sie ist unsere Stimme“, lobt Oswaldo Beltrán. Der 69-jährige Vorsitzende von FEDEPESAN fährt regelmäßig mit Yuli Velásquez über die Kanäle, die die Ciénaga San Silvestre mit der Ciénaga Miramar verbinden. Sie führen dorthin, wo die Ecopetrol-Raffinerie steht. Das Fischen, die Entnahme von Wasserproben, das Dokumentieren von Auffälligkeiten stehen dann auf dem Programm. Dabei arbeiten die beiden nicht nur eng mit den durch FEDEPESAN vereinten sieben Genossenschaften zusammen, sondern seit etlichen Jahren auch mit den Experten von Credhos.

„Sie sind es, die über eine juristische Expertise dafür verfügen, für die Auswertung der Proben zu sorgen und Anzeigen bei den Behörden zu stellen, wenn wir Kontaminierungen oder andere Vergehen nachweisen können“, schildert Velásquez den Zweck des Zusammenwirkens. Dabei bemüht sich die Menschenrechtsorganisation auch um den Schutz der fischenden Umweltaktivisten.

Barrancabermeja: Águilas Negras und Clan del Golfo

Für den Erhalt der Artenvielfalt einzutreten, das ist riskant in Barrancabermeja. Dort agieren mindestens vier bewaffnete Milizen. Zwei davon – die paramilitärischen Vereinigungen Águilas Negras (Schwarze Adler) und der Clan del Golfo (Golf-Clan) – haben Velásquez und andere FEDEPESAN-Aktivisten zu legitimen militärischen Zielen erklärt. Drei Anschläge hat es auf Yuli Velásquez und ihre Familie seither gegeben. Zu einem ersten Übergriff kam es vor drei Jahren, nachdem durch Aktivisten Fälle von Korruption aufgedeckt wurden. Die waren aufgetreten, als Aufträge dafür vergeben wurden, Flächen der Ciénaga San Silvestre zu sanieren. Darin verwickelt waren Ecopetrol und die regionale Umweltbehörde CAS. Auftragskiller schossen auf das Holzhaus von Yuli Velásquez, die seither keinen Schritt mehr ohne ihre beiden vom Staat gestellten Leibwächter macht und einen weißen, gepanzerten Geländewagen nutzt.

Ein Privatleben gebe es de facto kaum noch, sagt sie. Darunter hätten auch ihre Kinder, der 18-jährige Heyner und die zwei Jahre ältere Yulitza, zu leiden. Sie müssten sich ebenfalls an die Weisungen ihrer Bewacher halten – alles andere als einfach, aber alternativlos. So packte Yuli Velásquez im März, nachdem sie die schockierenden Schmierereien an ihrem Haus entdeckt hatte, zunächst die nötigsten Sachen, um die Region von Barrancabermeja mit ihrer Familie zu verlassen. Es sollte ein paar Tage der Ruhe und Sicherheit bei Verwandten geben.

Das ist im Augenblick kaum anders. Die Reise von Yuli Velásquez nach Deutschland, wo ihr am 4. Juni in Berlin der Amnesty-Menschenrechtspreis verliehen wurde, verschafft ebenfalls eine Atempause von steter Gefahr. „Da werde ich mich frei bewegen können“, freute sie sich vor ihrer Abreise. „Natürlich haben wir bei FEDEPESAN auch die Hoffnung, dass die Auszeichnung uns und unseren Partner Credhos langfristig schützt.“ Auf jeden Fall werde man sichtbarer und bekannter, hofft Iván Madero Vergel von Credhos, der Yuli Velásquez begleitet.

AktivistenArtenvielfaltBedrohungBehördenBerlinChemikalienDeutschlandFischereiFreiKinderKlimaKorruptionMANPolizeiReiseUmweltschutz