Am Ende kann man nur noch lesbische Frauen mit Behinderung und Migrationshintergrund verfrachten

Als Telekom-Vorstand führte Thomas Sattelberger die erste Frauenquote in einem Dax-Konzern ein. Heute kritisiert der WELT-Gastautor eine „irregeleitete Diversity-Politik“ – und warnt vor dem „Unheil einer quotierten Gesellschaft“.

Die damalige Kanzlerin Angela Merkel hat mir, als ich sie 2011 bei einer Konferenz zur Zukunft der Arbeit in der Hauptstadtrepräsentanz der Telekom begrüßte, mit den Worten geantwortet: „Ah, der Quotenkönig!“ Wenn mich jemand im Zusammenhang mit dem Thema Diversity erwähnt, fällt selten unter den Tisch, dass ich nicht nur die erste Frauenquote in einem börsennotierten Konzern hierzulande eingeführt habe, sondern auch den Weg bereitet habe für eine Kultur der Vielfalt gegen eine Kultur der Uniformierung in geschlossenen Unternehmenskulturen.

Vor dem Hintergrund dogmatischer Quotendebatten und irregeleiteter Diversity-Politik im Deutschland der vergangenen 15 Jahre stelle ich mir die Frage, ob ich heute alles noch einmal so machen würde wie damals, am 15. März 2010, bei der offiziellen Verkündung der Telekom-Frauenquote im Management.

Ich gestehe, mein Bauchweh ist so groß geworden, dass ich in der ersten Antwort lautstark „Nein“ rufen würde angesichts der Stupidität, mit der Akteure in Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft dieses Thema getrieben haben. Für mich war Frauenquote für die Spitze sowie Talent- und Kulturarbeit für die Breite immer eine Paketlösung. Und ich habe immer peinlich darauf geachtet, dass Politik für die Gleichberechtigung der Frau nicht Untermenge einer undifferenzierten Diversity-Politik wird. Ich habe immer wieder gesagt: Wir müssen aufpassen, dass wir unter diesem Begriff „Diversity“ die besondere Rolle der Frauen, die ja die Hälfte der Bevölkerung ausmachen und Verfassungsrang haben, nicht mit benachteiligten Minderheiten vermischen. Frauen sind zwar benachteiligt, aber sie sind keine Minderheit! Aber die Personaler dieser Republik – wohlgemerkt: die dummen! – haben das Konzept „Diversity“ tumb aufgegriffen.

Desaster Selbstbestimmungsgesetz

Währenddessen hat die Politik die Quote top down und isoliert von Kulturarbeit in immer mehr betroffene Unternehmen reingedrillt – so, wie man es in Bergwerken macht. In vielen mittelständischen Unternehmen hat man dieses Drillen als verletzend und als die unternehmerische Freiheit massiv beeinträchtigend angesehen und Zahlenvorgaben nur unter Zwang erfüllt. Nicht, weil Unternehmer frauenfeindlich sind, sondern weil sie die Quote als weiteren Baustein politischer und bürokratischer Zwangsmaßnahmen ansehen. Deswegen haben dann zu viele Unternehmen unter dem gesetzlichen Zeitdruck nur personelle Rekrutierungs- und Besetzungspolitik im Führungskörper ihrer Unternehmen statt auch Talentpolitik und Personalentwicklung für Vielfalt gemacht. Die Telekom war early innovator mit ihrer freiwilligen Selbstverpflichtung. Doch kaum jemand folgte freiwillig nach. Der allmächtige Staat hat das Thema in seine Hand genommen, technokratisch umgesetzt, sozusagen sein Dogma gesetzt.

Und in der Spätphase der Ampel-Koalition hat diese durch das sogenannte Selbstbestimmungsgesetz den Frauenrechten einen Bärendienst ohnegleichen erwiesen. Wenn Frau sein zu einem Gefühl wird und man sein Geschlecht durch einen Verwaltungsakt jährlich ändern kann, werden Frauenrechte mit Füßen getreten. Heutzutage wollen Personen mit Penis als Transfrauen in Frauensaunen gehen und mit Männermuskeln ausgestattete Transathletinnen ihre Wettbewerberinnen in wichtigen Disziplinen besiegen. Männliche linksextreme Gewalttäter wie rechtsextreme Kriminelle konnten nach dem Selbstbestimmungsgesetz mühelos ihr Geschlecht ändern und den Staat zum Narren halten.

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Und nicht nur das: Auch die Initiativen zu breitbandiger Politik für Vielfalt in Unternehmen wurden beschädigt. Als ehemaliger Telekom-Personalvorstand habe ich zu meiner Zeit unter anderem fast 2000 jungen Menschen aus dem damaligen Hartz-IV-Hintergrund einen Einstieg ins Berufsleben samt Ausbildung ermöglicht. Ich habe durchgesetzt, dass wir keine Ausgleichsabgabe für die Nicht-Beschäftigung von Menschen mit Beeinträchtigung gezahlt haben, sondern diese eingestellt haben. Durchbrechen der sozialen Schranken (Klassismus), Integration behinderter Menschen, Frauengleichberechtigung – all das sind die wirklich wichtigen Themen, die aber durch den Hype des Queer-Feminismus in der Diversity-Debatte völlig in den Hintergrund geraten sind.

Ich habe auf der Jahreskonferenz der Business and Professional Women (BPW) im November 2022 einen leidenschaftlichen Appell an die Frauenverbände gerichtet, Widerstand zu leisten. Doch die traditionellen Frauenverbände schweigen aus Feigheit, Angst oder Opportunismus. Terre des Femmes, eine der wichtigsten und traditionsreichsten feministischen Organisationen, hat sich im Transgender-Streit fast völlig zerlegt.

Die quotierte Gesellschaft

Aus der deutschen Quotendebatte ist ein unentwirrbares Knäuel von Ansprüchlichkeiten gewachsen. Plötzlich fordern Repräsentanten der LGBTQIA+-Bewegung eine Queer-Quote. Vertreter der Generation Z wollen einen Sitz in Vorstand und Aufsichtsrat. Die Rassismusdebatte führt zu ähnlichen Diskussionen. Ostdeutsche verlangen ihre Quote für Führungspositionen. Transpersonen beanspruchen gleiche Rechte wie Frauen. Plötzlich steht nicht mehr das meritokratische Prinzip der Leistung für den Aufstieg, sondern gruppenbezogene Identität oder Herkunft.

Ich habe immer schon kritisiert, dass Phänomene homosozialer Reproduktion und von Seilschaften den Leistungsbegriff aushöhlen. Das darf aber nicht dazu führen, dass man weiterer gruppenidentitärer Aushöhlung die Tür öffnet. Inzwischen geht das Unheil noch weiter in Richtung einer quotierten Gesellschaft. Jede faktisch oder gefühlt benachteiligte Gruppe fordert ihre Quote, ihre Privilegien. Zugespitzt formuliert: Am Ende einer solchen Debatte kann man nur noch lesbische Frauen mit Behinderung und Migrationshintergrund befördern.

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Dass sich zuletzt Sponsoren vom Christopher-Street-Day zurückziehen, die Bundestagspräsidentin dazu keine Regenbogenflagge mehr auf dem Reichstag hissen lässt oder globale Konzerne unter dem Eindruck des Kreuzzuges von Donald Trump gegen Diversity ihre Aktivitäten einschränken oder abschaffen, sehe ich mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Weinend deshalb, weil es zeigt, dass Unternehmen ihren Wertekanon nur oberflächlich, ja, kosmetisch leben. Sie haben also „Diversity-Washing“ betrieben.

Lachend, weil ich denke: Etliches an Fehlentwicklungen wird korrigiert. Auch amerikanisches Recht, welches kulturell ja ganz anders gestrickt ist, wird von der Regierung Trump härter eingesetzt als von demokratischen Vorgänger-Regierungen. Übrigens haben mir meine Juristen bei der Telekom schon vor 15 Jahren gesagt, dass ich das US-amerikanische Management der T-Mobile nicht unter die Quotenregelung fassen kann, da es der US-Gesetzgebung zu Affirmative Action widerspricht. Man darf eben auch nicht ausblenden, dass vor allem in den USA, aber auch in Deutschland die Debatte zum Thema Diversity Maß und Mitte verloren hat. Da ist etwas aus dem Ruder gelaufen.

Thomas Sattelberger war von 2007 bis 2012 im Vorstand der Deutschen Telekom, danach war er Mitglied des Deutschen Bundestages (FDP) und Parlamentarischer Staatssekretär.

Source: welt.de

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