Arbeitsministerin Bärbel Bas (SPD) hat kürzlich einen Gesetzesentwurf zur Rentenstabilisierung vorgelegt, gegen den sich vor allem jüngere Abgeordnete der Union heftig wehren. Nach Einschätzung der „Jungen Gruppe“ benachteiligt die Vorlage die jüngere Generation zugunsten der älteren. Sie wirft der Arbeitsministerin vor, vom Koalitionsvertrag abzuweichen. Die 18 Abgeordneten drohen, die Zustimmung zu verweigern und das Projekt damit scheitern zu lassen.
Wie bei jeder Renten-Diskussion werden auch bei dieser Mythen zur Altersvorsorge bemüht, die sich leicht entzaubern lassen.
Mythos 1: Lebenserwartung. Es gibt zu viele Rentner:innen
Mit Demografie wurde in diesem Land schon immer viel Schindluder getrieben, wenn es um die Umleitung von Ressentiments ging. Das war und ist bei der Auseinandersetzung um Abtreibung so, bei der Legitimierung geburtsfördernder Sozialmaßnahmen und vielem mehr. Die statistische Lebenserwartung bezieht sich aber nie auf die schon lebenden Alten, sondern immer auf die Neugeborenen.
Diese steigt – mit einem heftigen Knick nach unten infolge der Pandemie – leicht an, sagt aber nichts darüber aus, wie lange die Neugeborenen, wenn sie das Rentenalter erreichen, beschwerdefrei arbeiten können. Momentan liegt diese Grenze – für Neugeborene! – bei 65 Jahren.
Richtig ist aber, dass durch die geburtenstarken Jahrgänge (1955–1969) noch einige Jahre lang mehr Erwerbstätige in Rente gehen werden als sonst, die Entwicklung wird 2030 jedoch abflauen. Deshalb zielt die Rentenpolitik der amtierenden Bundesregierung darauf ab, einen Teil der bereits berenteten Bevölkerung in der Erwerbsarbeit zu halten. Und zwar durch eine Steuervergünstigung für weiterarbeitende Rentner:innen, die monatlich bis zu 2.000 Euro steuerfrei dazuverdienen dürfen.
Allerdings gilt diese Regelung nur für angestellte Erwerbstätige. Ich-AGs und andere Selbstständige gehen leer aus. Möglicherweise hat das zweierlei Effekte: Gut bezahlte Arbeitsplätze könnten von fitten Qualifizierten blockiert werden. Wer es nur auf eine Kleinrente gebracht hat, muss weiter malochen.
Frau Bas, war es wirklich das, was Sie wollten?
Mythos 2: Bundeszuschuss. Ungerecht für die Jüngeren?
Eine in der aktuellen Renten-Diskussion immer wieder ins Spiel gebrachte Zahl ist die Höhe des Bundeszuschusses. 2025 beträgt er 121 Milliarden Euro, kein Pappenstiel. Die Ziffer ist so hoch, dass es scheint, dass die rentenbeitragspflichtige Bevölkerung die Rentner nicht nur über ihre Beiträge in die Rentenkasse finanziert, wie es der Generationenvertrag vorsieht. Ihr Beitrag lag 2024 bei 402 Milliarden Euro. Aber warum dann noch so viele Milliarden darüber hinaus? Damit die aktive Generation Silberlocke sich einen schönen Lenz an der Costa Brava oder auf irgendeiner Insel machen kann? Nein!
Rentenleistungen sind Versicherungsleistungen, das heißt, nur wer eingezahlt hat, ist äquivalent in Bezug auf seinen Beitrag mit von der Partie. Aber was ist mit den nicht beitragsgedeckten Leistungen? Dazu ein paar Zahlen, zum Beispiel für Ost-Rentner:innen, deren Rente „hochbewertet“ wurde, damit sich Ost- und Westrente angleichen: Das machte etwas mehr als 36 Milliarden Euro aus, die erst einmal aus der Rentenkasse bezahlt werden. Für die Kindererziehungszeiten und die Mütterrente II für Kinder, die nach 1992 geboren wurden, kommen noch einmal knapp 20 Milliarden dazu. Witwen- und Waisenrenten, die nicht durch Beiträge abgedeckt sind, summieren sich auf etwa 19 Milliarden Euro. Die Rente mit 63 (abschlagsfrei) kostet etwas über 13 Milliarden. Dazu kommen Beiträge für Arbeitslose, für Soldat:innen und andere, für die der Bund aufkommen muss.
Ergo: 2023 betrugen die versicherungsfremden Leistungen rund 124 Milliarden Euro. Der Bundeszuschuss lag aber nur bei 84,3 Milliarden Euro. Von Ungerechtigkeit könnte also höchstens in Bezug auf die Beitragszahler:innen gesprochen werden.
Mythos 3: Rentenniveau. 48 Prozent bis 2031
Als mein Stiefvater 1973 starb, war das Rentenniveau durch die tatsächlich durchgreifende sozialdemokratische Reform von 1972 gerade von 43 auf 60 Prozent angehoben worden. Ich glaube, meine Mutter hatte keine Ahnung, welches Glück sie damals hatte. Selbst Stiefkinder wurden im christdemokratischen Nachkriegsdeutschland noch umstandslos in die Hinterbliebenenrente integriert, so profitierte ich von einem Arbeiter, der schwer versehrt aus dem Krieg gekommen war, eine versicherungsfremde Leistung. Lag das Rentenniveau 1990 nach 45 Versicherungsjahren noch bei 55 Prozent, sank es mit dem Einziehen des Nachhaltigkeitsfaktors kontinuierlich, bis es 2021 die heutigen 48 Prozent erreichte, die derzeitige sogenannte „Haltelinie“, um die es im Streit mit den jüngeren Abgeordneten der Union geht. Diese ist im Koalitionsvertrag bis 2031 festgeschrieben, im Gesetzesentwurf von Bärbel Bas jedoch darüber hinaus.
1.503 Euro betrug die Nettostandardrente im Jahr 2024 noch vor Steuern, preisbereinigt lag sie dann allerdings bei 1.252 Euro. Bereits seit 2004 lässt sich inflationsbedingt eine erhebliche Absenkung der realen Standardrente beobachten. Wird das Rentenniveau bei 48 Prozent festgeschrieben, könnte dies tatsächlich zu steigenden Beitragssätzen führen, wobei die mit aktuell 18,6 Prozent längst nicht das Niveau von 1996/97 (20,3 Prozent) erreichen würden.
Ist das aus ökonomischen oder politischen Gründen nicht gewollt, müsste der Staat den Bundeszuschuss anheben – oder wenigstens die Kosten für versicherungsfremde Leistungen decken (siehe Mythos 2). Sinkt das Rentenniveau weiter, träfe das die heutigen Rentner, insofern die Rentenerhöhungen von den Löhnen abgekoppelt würden; Jüngere jedoch würden später erheblich geringere Renten beziehen. Sie müssten also ein Interesse daran haben, dass das Rentenniveau stabil bleibt oder sogar steigt.
Mythos 4: Ausbildung. Rentenanrechnungszeiten
Dass der Bundeskanzler in sozialpolitischen Fragen, wenn es ins Detail geht, nicht allzu bewandert ist, hat er schon öfters bewiesen. Im ARD-Talk Caren Miosga verbreitete sich Friedrich Merz (CDU) kürzlich darüber, die Jahre, in denen Beiträge bezahlt werden, und solche, die beitragsfrei sind (etwa Schul- und Hochschulzeiten), wieder in ein „vernünftigeres Verhältnis“ bringen zu wollen.
Er suggerierte, dass beitragsfreie Zeiten auf die Rente angerechnet werden. Das ist eindeutig falsch, denn seit 2009 fließen Ausbildungszeiten überhaupt nicht mehr in die Rentenberechnung ein. Lediglich bei den Wartezeiten, also den Jahren, bis man überhaupt in Rente gehen darf, werden diese berücksichtigt, aktuell mit höchstens acht Jahren (ab dem 17. Lebensjahr). Wer also bis zum 30. Lebensjahr studiert hat, bekommt von den 14 Jahren acht Wartejahre angerechnet.
Mythos 5:Private Vorsorge.Rendite ist sicher
Vorsicht, Risiko! Die private Altersvorsorge wird als Allheilmittel gegen Altersarmut beworben. Wer Erfahrungen, etwa mit der Riester-Rente, gemacht hat, weiß ein Lied davon zu singen: In meinem Fall ging die Versicherung pleite, der ich mit 40 mein Geld in den Rachen gesteckt hatte. Nur eine Auffanggesellschaft verhinderte den völligen Ausfall, die Rendite konnte ich in den Wind schreiben. Wer garantiert profitiert: Versicherungsgesellschaften und Banken.
6. Garantiert kein Mythos: Altersarmut
Aktuellen Daten zufolge sind derzeit fast 20 Prozent aller Menschen im Alter von mehr als 65 Jahren armutsgefährdet, mit steigender Tendenz. Dabei sind Frauen stärker betroffen als Männer, da sie durchschnittlich niedrigere Renten erhalten. Die Gründe hierfür sind hinlänglich bekannt. Für Bundeskanzler Friedrich Merz und Sozialministerin Bärbel Bas gibt es hier tatsächlich fernab aller Mythen dringenden Handlungsbedarf.