Altern in Würde: Unser Leib hält nichts vom ewigen Leben – WELT

Das Thema „länger Leben“ erobert das Netz. Influencer, die mit ihren Mittelchen daran verdienen wollen, nennen es „Longevity“. Aber können wir wirklich alle hundert Jahre alt werden? Die Forschung ist skeptisch – und empfiehlt andere Wege für ein würdiges Altern.

Konrad Adenauer wurde Bundeskanzler mit 73 Jahren und beendete seine Amtszeit mit 89; mit 93 starb er. Henry Kissinger feierte im vergangenen Jahr seinen 100. Geburtstag in New York, London und Fürth. Mit mehr als hundert flog er nach Peking zu Xi Jinping. Joe Biden war beim Amtsantritt 78 Jahre alt. Friedrich Merz, der Kanzlerkandidat der CDU, wird bei einer möglichen Kanzlerschaft 70 Jahre alt sein. Zu alt? Adenauer war drei Jahre älter und 14 Jahre lang im Kanzleramt. Alter ist nicht unbedingt Überforderung, gar Gebrechlichkeit. Alter sei eine Ziffer, dozieren inzwischen Altersforscher.

Sind Laien, welche den neuen Hype gern im Englischen zu „longevity“ aufmotzen, der magischen Zahl 100 aufgesessen? Den Altersforschern geht es weniger um die Lebensverlängerung als um die Verlängerung der Gesundheit bei Menschen jenseits der 65. Wer will schon 100 werden und die letzten 20 Jahre mit Krankheit, Verfall oder gar Demenz verbringen?

Auch wenn wir immer älter geworden sind in den letzten 100 Jahren, hat doch die Lebensdauer ihre Grenzen. Es könnte sein, dass wir das absolute Limit schon erreicht haben. Die Biologie unserer Körper hält nichts vom Hype des ewigen Lebens.

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Die Evolution hat es auf Wachsen und Reproduktion abgesehen, nicht auf Forever. Wenn Menschen altern, werden ihre Zellen beschädigt, sie erleben häufiger Ausfälle, die stets schwieriger zu reparieren sind. Egal, was Influencer behaupten, ist Altern ein komplexer Prozess, der immer noch nicht richtig verstanden wird.

Das Longevity-Business boomt. Menschen treffen sich bei Seminaren und Konferenzen und gehen mit Tüten voller teurer Mittelchen, die ihnen ein verlängertes Leben verheißen. Investoren schießen Unsummen in Forschung. Die beschäftigt sich mit der Umprogrammierung der Zellen, um die verminderten Funktionen wiederherzustellen. Influencer sind der Transmissionsriemen, sie propagieren den Jungbrunnen oder zumindest einen Weg dahin.

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Das Aushängeschild der Lebensverlängerung ist der Harvard-Genetiker David Sinclair. Er hält Alterung für eine behandelbare Krankheit. Er posaunte vergangenes Jahr, er hätte in seinem Harvard Labor eine Gen-Therapie entwickelt, die den Altersprozess umdreht. Passenderweise hat er die Firma Biosciences mitgegründet. Im Experiment sei es gelungen, die Sehkraft von Alt-Affen wiederherzustellen. Auf Instagram hieß es: „Als Nächstes: die Alters-Umkehr bei Menschen.“

Der Aufschrei der Altersforscher kam prompt und heftig. Umkehr der Degenerierung? „Snake Oil Salesman“, zu deutsch Kurpfuscher, nannte ihn ein Kollege, der mit vielen anderen sofort aus der „Academy for Health and Lifespan Research“ austrat, dessen Präsident Sinclair war. Der musste zurücktreten. Seine weitere Aussage zur Umkehr des Alterns in Hunden hatte für die seriöse Forschung eine rote Linie überschritten.

Die Sehnsucht nach ewiger Jugend und ewigem Leben hat eine Industrie angefacht, die weltweit Investitionen von rund 40 Milliarden Dollar eingeheimst hat. In diesem boomenden Markt sind Forscher, die Menschen nicht versprechen wollen, dass sie das Altern aufhalten oder gar zurückdrehen können, nicht besonders populär.

Eine Spanne zwischen 65 und 90 Jahren erreichen

Einer von ihnen ist S. Jay Olshansky, Professor an der University of Illinois in Chicago. Er forscht über die Obergrenze der Langlebigkeit. Fazit: Wir mögen nicht erwarten, 100 zu werden. Die Allermeisten schaffen nur eine Spanne zwischen 65 und 90. Er und seine Kollegen haben die Sterblichkeitsraten in den USA und Ländern mit sehr langlebigen Bevölkerungen über drei Jahrzehnte, von 1990 bis 2019, ausgewertet. Sie fanden heraus, dass die steigende Lebenserwartung sich verlangsamt hat, auch schon vor der Covid Pandemie.

Auch wenn die Zahl der Hundertjährigen enorm gewachsen ist, scheint die Lebensdauer ein Plateau erreicht zu haben. Weniger als zehn Prozent der Neugeborenen werden ihren 100. Geburtstag feiern, meint Olshansky.

Auch der Däne Kaare Christensen vom „Danish Aging Research Center“ notiert: eher auf die 90 einstellen. Ebenso der Genetiker Jan Vijg vom Einstein College in New York. Wenn es keine obere Grenze der Lebensdauer gäbe, hätten all die Hundertjährigen längst den Rekord von Jeanne Calment gebrochen. Die Frau starb 1997 mit 122 Jahren. Sie ist immer noch der nachweislich älteste Mensch – eine Referenzmarke für Altersforscher.

In den nächsten 150 Jahren wird niemand 150 Jahre alt

Venki Ramakrishnan, Nobelpreisträger und Autor des Buches „Why we die“ (Warum wir sterben) glaubt auch nicht, dass gegenwärtige Eingriffe das Lebensalter wirklich steigern. Maßnahmen, die einen Umkehrprozess einleiten, müssten alle Systeme des Körpers behandeln, auch das Gehirn und das über einen langen Zeitraum. Um freilich die Biologie des Alterns rundum beeinflussen zu können, müssten wir die Komplexität des Alterns weit besser verstehen als derzeit.

Jay Olshansky hat schon 2001 darauf gewettet, dass in den nächsten 150 Jahren niemand 150 Jahre alt wird. Sein Kollege Steve Austed, Biologie-Professor in Alabama, hatte damals kühn behauptet, dass dieser 150-Jährige bereits geboren sei. Die beiden Männer packten einen Wetteinsatz von je 150 Dollar in einen Fonds, der nach 150 Jahren an die Erben des Gewinners ausgezahlt werden soll. Dann legten sie zehn Jahre später noch einmal 150 Dollar drauf. Gegenwetter Olshansky: Keine medizinische Maßnahme könne unser Leben bis 150 verlängern. Sein knapper Kommentar: „Nicht in diesen Körpern.“

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Für jene, die den Influencern nachlaufen und Nahrungsergänzungsmittel in der Hoffnung auf das ewige Leben einwerfen, hält die neueste Forschung einen ganz anderen – wohlgefälligen – Rat parat: Seht das Alter positiv!

Wer das Alter nur als Beschädigung sieht, fürchtet sich davor. Doch die Forschung hat gezeigt, dass emotionales Wohlbefinden mit dem Alter eher wächst, gewisse Fähigkeiten wie Streitschlichtung dann zunehmen. Immerhin hat der alte Mensch nicht nur Gebrechen, sondern vor allem eine Menge Erfahrung angehäuft. Mit der kann er wuchern. Alter ist nicht nur der Verlust von glatter Haut, sondern auch ein Zuwachs an Freiheit. Ich kann nicht mehr alles machen, aber ich kann machen, was ich will. 100 muss man dafür nicht werden.

Das letzte Wort zum Thema soll kein Biologe haben, sondern Henry Kissinger. Die Autorin dieser Zeilen fragte ihn während eines Dinners in New York, welches sein letztes werden sollte: „Henry, wie hast Du 100 Jahre geschafft, trotz einer kräftezehrenden Karriere und altersgemäßer Gehbehinderung?“ Seine verschmitzte Antwort: „Ich habe mir eben die richtigen Eltern ausgesucht.“

Genetik bleibt ein Schlüsselfaktor. Und ein erfülltes, arbeitsames Leben hilft. Also im Gespann bleiben.

Die Autorin ist Publizistin und schrieb unter anderem „Mütterkriege. Werden unsere Kinder verstaatlicht?“ (Herder). Sie lebt in München.

Source: welt.de

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