Hier tanzte Berlin durch die Aids-Krise, hier erfand sich queeres Leben neu. Nach fast einem halben Jahrhundert schließt das SchwuZ – und mit ihm ein Kapitel queerer Clubkultur. Warum diese Institution mehr war als nur ein Ort zum Feiern.
Am 29. Oktober steht abends um 21 Uhr eine Frau im großen Saal des SchwuZ, direkt unter der Discokugel, und umarmt den DJ Thomas Sielaff. Unter Schluchzen sagt sie ganz leise: „Ich wusste ja, dass es passieren konnte, aber irgendwie habe ich es dann doch nicht glauben können.“ Sie trocknet ihre Tränen und stellt sich als „Tante Debbie“ vor. Sie sagt, sie sei seit mehr als 20 Jahren beim SchwuZ, habe oft am Eingang Shots verteilt. „Ich bin nicht die Einzige, die hier jetzt ihr Zuhause verliert.“
Thomas Sielaff und Debbie sind beide Mitglieder im Verein des SchwuZ, und sie stehen noch etwas verloren mit einem Sektglas in der Hand nach der letzten Mitgliederversammlung im alten Gebäude in Neukölln. Umgeben von Sichtbeton und Glitzervorhang, aber unter dem grellen Neonlicht, bleibt die Stimmung sehr verhalten. Auch die Sitzung soll ruhig verlaufen sein. Wo sich der Verein das nächste Mal trifft, steht nicht fest.
Berlins traditionsreichster queerer Club SchwuZ hat verkündet, dass er nach 48 Jahren endgültig schließen muss. Am 1. November wird es eine letzte Party geben, und was danach passiert, ist derzeit offen. Vielleicht wird dann alles versteigert – die Discokugel, das große Neonschild „Cheers Queers“, die Berliner Straßenlampe, auf der die vier Standorte des SchwuZ als Straßenschilder angeschraubt sind: Kulmer Straße, Hasenheide, Mehringdamm und schließlich Rollbergstraße.
Thomas Sielaff vom Verein weiß noch nichts von einer Versteigerung – all das werde später geklärt. Er sagt: „Vielleicht hätte man viel früher radikalere Entscheidungen treffen müssen.“ Er meint, dass sich nach der Pandemie das Ausgehverhalten der Berliner stark geändert habe und junge Menschen Clubs nicht mehr fest einplanen wie vor 20 Jahren.
„Wir haben es vielleicht auch versäumt, uns als Ort neu zu erfinden?“ Zudem habe die Inflation dazu geführt, dass alle Berliner plötzlich ihre Ausgaben stärker kontrollierten. Gleichzeitig hat sich die queere Clublandschaft enorm diversifiziert: Was früher ein Zuhause für eine gesamte Szene war, konkurrierte zuletzt mit vielen neuen identitätsstiftenden Orten.
Trauer und Wut
Entsprechend nüchtern geht es an einem Mittwoch Ende Oktober im SchwuZ zu. Die regelmäßige Partyreihe „Lemonade Queers“ findet ein letztes Mal statt: kein Eintritt, keine alkoholischen Getränke und trotzdem eine Bühnenshow mit Dragqueens und anschließendem DJ-Auftritt. Eigentlich ist das doch genau das, was Gen Z anspricht. Gegen 21:30 Uhr ist der Dancefloor voller Menschen, die meisten unter 30. Es laufen Klassiker von Britney Spears, Madonna, Rihanna und Lady Gaga. Es ist die Musik, die auch im Radio läuft und auf die sich doch alle einigen können. Oder war das vielleicht Teil des Problems?
Einer, der es „müßig“ findet, jetzt die einzelnen Gründe aufzuzählen, warum es nicht geklappt hat, ist Ingo Spanka. Der 57-Jährige steht mit dieser Einstellung nicht allein. Er hat 26 Jahre lang die Technik im Haus betreut und ist der wohl dienstälteste Mitarbeiter. „Mein zentrales Gefühl ist, befreit zu sein“, sagt er trotzdem. „Natürlich ist da auch viel Trauer und Wut, aber jetzt wissen wir endlich, wo wir stehen.“ Er hat das Gefühl, dass der Vorstand wirklich alles probiert habe, aber es habe eben nicht gereicht.
Die Probleme lassen sich auch in Zahlen zusammenfassen: Zwar hat der Club in Neukölln in guten Zeiten 3,5 Millionen Euro Umsatz gemacht – das Geld saß locker, monatlich 110.000 Euro reine Personalkosten waren auch zu stemmen. Firmen und große Kulturevents wie die Berlinale buchten den Club für eigene Veranstaltungen. Doch nach der Pandemie fielen diese Einnahmen weg, weil plötzlich auch die großen Institutionen sparen mussten.
Dann hörten die Probleme nicht auf, sondern wuchsen weiter – nicht nur im SchwuZ, sondern auch in anderen Clubs. Zu Partys wie „Popkicker“ kamen früher fast 2000 Menschen, plötzlich waren es weniger als die Hälfte. Parallel stieg der Eintrittspreis von fünf auf zehn und schließlich auf 20 Euro. Vor zwei Jahren wurde eine Abo-Karte für 29 Euro eingeführt, die laut Vorstand „im mittleren dreistelligen Bereich“ verkauft wurde. Damit konnte man immer ins SchwuZ und musste noch nicht einmal anstehen.
An jenem Mittwoch reden viele Gäste auch über ihre große Ausgehzeit. Und immer wieder kommt der Satz: „Seitdem sie in Neukölln sind, bin ich seltener gekommen“. Einer sagt auch, dass er nicht gern nachts in dieser Gegend unterwegs ist. Die meisten aber führen andere Gründe an: zu teuer, zu viel Radio-Pop, zu junges Publikum. Ein Gast sagt auch: Es sei nicht mehr „mein SchwuZ“.
Es ging um Leben und Tod
Da klingt durch, dass das SchwuZ eben auch Heimat war – eine der prägendsten Institutionen des queeren Berlin. 1977 als „SchwulenZentrum“ in Schöneberg gegründet, war es schon früh auch ein politischer Ort, der schwules und lesbisches Leben sichtbar machte. Hier entstand die Monatszeitschrift „Siegessäule“, die erst kürzlich ihr 40-jähriges Bestehen feierte. Während der Aids-Krise wurden im SchwuZ erste Safer-Sex-Partys gefeiert. Damals sollen Dragqueens mit Taschenlampen kontrolliert haben, ob Kondome auch benutzt wurden. Es war eben eine Frage von Leben und Tod.
Auch in den 90ern und bis heute war es ein Ort für Aktivismus, für Dragkünstler und legendäre Partys wie „Madonnamania“. Veranstalterin dieser Party war die Dragqueen Kaey. Die 46-Jährige feierte neulich ihre letzte „Madonnamania“ und zerstritt sich an dem Abend beinahe mit ihrer besten Freundin. „Wir hatten uns verabredet, uns so richtig abzuschießen, und meine Freundin machte dann schlapp.“ Kaey war richtig wütend, hat dann aber einfach allein weitergetrunken. Der Abend war schön, aber auch „irritierend emotional“.
Kaey kam im Jahr 2003 ins SchwuZ, einer Zeit, in der sich der Club langsam professionalisierte. „Plötzlich ging es darum, dass wir auch von unserer Arbeit leben sollten.“ Bis dahin war es vor allem eine eingeschworene Gemeinde von Gleichgesinnten, die viel von ihrer Freizeit rund um den Club verbrachten. Kaey hat schon alles gemacht im SchwuZ: Barkeeperin, Einlass, Putzen, später DJ und Veranstalterin. Als eine Kollegin an Krebs gestorben ist, war Kaey plötzlich auf ihrer ersten Beerdigung. „Das hier ist wirklich Familie.“
Spät am Mittwochabend, gegen 23 Uhr, mischen sich die ernst schauenden Vereinsmitglieder unter die Sober-Party-Gäste. Es läuft „Man in Finance“ von David Guetta, ein ironisches Lied über die Suche nach einem Partner mit viel Geld. Danach „Shake It Off“ von Taylor Swift, ein Lied, das dazu auffordert, Probleme wegzutanzen. An der Bar, die wie ein großer roter Frauenmund geformt ist, ist schon lange keine Schlange mehr.
Ein flaues Gefühl bleibt nach all dem wohl auch für die Mitarbeiter, weil zuletzt doch nicht alles ganz glattlief: Nachdem der langjährige SchwuZ-Chef Marcel Weber die Leitung der Berliner Club-Commission übernommen hatte, wurde im Januar 2025 Katja Jäger Co-Chefin des SchwuZ. Schon im März 2025 ging der zweite Chef, Florian Winkler-Schwarz, und leitet jetzt den Berliner Lesben- und Schwulenverband.
Jäger fand im April 2025 heraus, dass die Zahlen viel schlechter waren als angenommen, und musste ein Drittel der Belegschaft entlassen. Das brachte viel Unruhe in den Betrieb. Dann folgte die Insolvenz – und nun eben das schnelle Ende. Winkler-Schwarz und Weber möchten sich nicht mehr äußern zum SchwuZ.
Am 1. November wird nun noch einmal die letzte große Party stattfinden. Die Tickets für 20 Euro waren schnell ausverkauft. Die SchwuZ-Chefin Katja Jäger weiß noch nicht, ob sie kommt – sie ist derzeit krank zu Hause. Thomas Sielaff will mit möglichst vielen Menschen reden an dem Abend, Tante Debbie will alle ein letztes Mal drücken.
Ingo will den Abend „einmalig“ werden lassen. Und Dragqueen Kaey will auf jeden Fall noch einmal ihre Version von „Creep“ singen – „What the hell am I doing here?“ Eine Frage, die früher ironisch klang und heute schmerzt.
Vielleicht findet das SchwuZ irgendwann wieder einen Ort. Vielleicht entsteht an anderer Stelle etwas Neues, noch Besseres. Das war doch schließlich mal die Spezialität von Berlin.
Source: welt.de