Der Vorstandsvorsitzende der Allianz, Oliver Bäte, hat auf dem Berlin Global Dialogue am Mittwoch heftige Kritik an den Zuständen in Deutschland geübt und die Wirtschaft aufgefordert, zur Überwindung der Probleme beizutragen. „Wir haben in Deutschland die Infrastruktur verfallen lassen, einer Verschlechterung des Bildungssystems zugesehen und wir haben sehr hohe Ausgaben für Gesundheit“, sagte Bäte. „Das ist viel wichtiger als die Frage, wer nächster Präsident in den USA wird.“
In Deutschland werde zu viel über Erfolge der Vergangenheit geredet, während das Land für die geopolitischen Risiken der Globalisierung blind gewesen sei. „Wir waren in Deutschland zu selbstzufrieden“, bemerkte Bäte. Heute sei die soziale Kohäsion in Deutschland gefährdet, aber manche wollten die ganze Welt retten.
Der Allianz-Vorstandsvorsitzende wollte seine Kritik nicht allein an die Politik gerichtet sehen, auch wenn er betonte: „Berlin ist zu weit von vielen Menschen entfernt.“ Doch auch die Wirtschaft müsse sich Fragen stellen. Manche Vorstandsvorsitzende wollten nur noch E-Autos bauen, aber die Kunden ließen sich weder von der Politik noch von der Wirtschaft ihre Kaufentscheidung vorschreiben. Die Unternehmen müssten sich stärker in die Entwicklung des Landes einbringen.
„Wenn ich meinen größten Feind unterstützen würde, würde ich gefeuert“
Bäte saß auf einem Podium mit dem Vorstandsvorsitzenden der Fondsgesellschaft Blackrock, Larry Fink, der zu mehr Pragmatismus im Umgang mit den aktuellen Herausforderungen aufrief. Wirtschaftliches Wachstum bleibe sehr wichtig, aber es müsse nicht unter den geopolitischen Herausforderungen leiden. Unternehmen müssten über ihre Lieferketten nachdenken. „Wenn wir C02 korrekt bepreisen würden, wären viele Lieferketten in der Vergangenheit niemals effizient gewesen“, gab Bäte zu bedenken. Viele Menschen litten angesichts der vielen Herausforderungen unter einer Veränderungsmüdigkeit und hörten daher den falschen Leuten zu.
Fink sprach sich für mehr Diskussionen über den Umgang mit China auch in der Wirtschaft aus. China sei der wichtigste Unterstützer Russlands, des größten Feindes Europas. „Wenn ich meinen größten Feind unterstützen würde, würde ich als Vorstandsvorsitzender gefeuert“, sagte Fink. Angesichts der wirtschaftlichen Verflechtungen mit China sei dies ein schwieriges Thema, aber es müsse diskutiert werden.
Für Gesprächsstoff bei der Konferenz in Berlin sorgte außerdem eine Befragung von 472 Vorstandsvorsitzenden durch das Schweizer Beratungsunternehmen Egon Zehnder. Die Konzernchefs zeigten sich darin über drei große Entwicklungen besonders besorgt: Populismus und Nationalismus, Klimawandel und zunehmende militärische Konflikte. Sie erwarten zudem in der kommenden Dekade in der großen Mehrheit grundlegende Umbrüche in den Bereichen Technologie, Energie und Wirtschaft. „Die Welt wird daher völlig andere politische und wirtschaftliche Führungspersonen brauchen“, heißt es in der Umfrage.
Die Vorstandsvorsitzenden sehen sich selbst in einer aktiven Rolle, zur Lösung der kommenden Herausforderungen beizutragen. Den größten und positivsten Einfluss können sie nach eigener Einschätzung in den Bereichen Klimaschutz und Künstliche Intelligenz nehmen. „Klimaanpassung ist die Spielwiese für verantwortungsvolle unternehmen“, sagte beispielhaft einer der Befragten.
Im immer wichtiger werdenden Bereich der Geopolitik sowie bei fragen der sozialen Ungleichheit sehen die Vorstandsvorsitzenden dagegen nur wenig Einflussmöglichkeiten. Für die eigene Führungstätigkeit sehen die Chefs in Zeiten wachsender globaler Unsicherheiten das Anwerben von talentierten Mitarbeitern und die Integration von künstlicher Intelligenz als größte Herausforderungen.