Alle Autoren hätten aus italienischer Buchmessen-Delegation zurücktreten sollen


Roberto Saviano zeigt, wie es geht: Die Autoren müssen widerständiger werden

Foto: Abacapress/Imago


Italien treibt seit Jahren den Umbau der italienischen Kulturlandschaft aggressiv voran. Einige kritische Autoren hat das Land gezielt nicht mit auf die Buchmesse genommen. Doch diese wehren sich und kommen trotzdem

Zunächst die gute Nachricht: Roberto Saviano kommt. Der italienische Schriftsteller wird auf der Frankfurter Buchmesse sprechen. Die schlechte Nachricht: Das ist nur möglich, weil sich deutsche Verleger, öffentlich-rechtliche Sender und die Buchmesse selbst für ihn einsetzten. Denn Teil der offiziellen Delegation des diesjährigen Gastlandes Italien ist Saviano nicht.

Er selbst zeigte sich nicht überrascht, als im Frühsommer bekannt wurde, dass sein Name nicht unter den 100 Schriftstellern war, die unter dem Motto „Verwurzelt in der Zukunft“ die italienische Literatur offiziell auf der Messe repräsentieren sollen. Ja, er hätte sich sogar „geschämt“, wenn er Teil der Delegation gewesen wäre, sagte er damals. Denn die italienische Rechtsaußen-Regierung vertrete ihn gar nicht.

Im Ausland wird immer noch viel zu wenig wahrgenommen, mit welcher Konsequenz und Aggressivität Ministerpräsidentin Giorgia Meloni den Umbau der italienischen Kulturlandschaft vorantreibt. Der öffentlich-rechtliche Sender Rai, die oft weltweit bekannten Museen und Opernhäuser – überall setzt die Regierung loyale Männer ein, getreu der rechten Strategie, nicht nur politische Macht zu erobern, sondern auch im vorpolitischen Feld Hegemonie aufzubauen.

Gegen Saviano richtet sich dabei ein ganz besonderer Kreuzzug. Er gilt als einer der bekanntesten und schärfsten Kritiker der Regierung – nicht nur, weil er einst Meloni und ihren Stellvertreter Matteo Salvini als „Bastarde“ bezeichnet hatte. Zum Glück erhielt er nicht nur aus Deutschland, sondern vor allem auch von italienischen Kollegen Unterstützung: In einem offenen Brief wandten sich 41 Autoren gegen Melonis Einladungspolitik, elf traten selbst aus der Delegation aus. Sie kommen trotzdem an den Main, darunter ist auch Antonio Scurati, der mit seinem dreibändigen Roman M über Mussolini ebenfalls ein Dorn im Auge der Regierung ist.

Buchmesse ohne Wille zum Affront

Indes kann man fragen: Nur elf? Müsste die Scham, von der Saviano spricht, nicht für alle jene Autoren gelten, die nun tatsächlich als Repräsentanten des postfaschistisch regierten Italiens kommen? Wie stark wäre das Signal gewesen, wenn angesichts der dezidiert politisch motivierten Einflussnahme der Regierung auf das Kulturleben Italiens die gesamte Delegation zurückgetreten wäre und mithilfe ihrer deutschen Verlage und der Buchmesse ein Alternativprogramm aufgestellt hätte?

Die Verträge für die Gastländer werden Jahre im Voraus geschlossen, aus der Einladung Italiens kam die Buchmesse nicht mehr heraus. Und das Verhalten von Direktor Juergen Boos im Fall Saviano ist einwandfrei. Doch auch hier wäre mehr drin gewesen, wenn der Wille zum Affront da gewesen wäre. Und genau den wird es brauchen. Denn die Zahl der Demokratien nimmt weltweit ab, auch in Europa drohen über kurz oder lang mehr Länder ins autoritäre Lager zu kippen.

Staat und Demokratie sind nicht deckungsgleich. Diese theoretisch recht triviale Erkenntnis muss die europäische Zivilgesellschaft gerade wieder schmerzhaft erfahren. Demokratie muss immer wieder gegen den Staat erstritten werden. Und dass Saviano, Scurati und Co. trotzdem bei der Buchmesse sein werden, zeigt ja: Es geht. Die liberale Zivilgesellschaft und die gesellschaftliche Linke können sich auch selbst organisieren. Mit etwas mehr Mut zur Dissidenz und Selbstorganisation wird man der autoritären Welle mehr entgegenzusetzen haben als das sprichwörtliche Kaninchen der Schlange.

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