All welche schönen Popsongs wird irgendwann keiner mehr verstehen

All welche schönen Popsongs wird irgendwann keiner mehr verstehen

Auf „Mexico“ reimt sich im Englischen vieles. Auch deshalb wird der „Gulf of Mexico“ in vielen Liedern erwähnt – unter anderem von Rod Stewart und Bruce Springsteen. Was sich auf „America“ reimt, hat nur mit Heidekraut und alten Tanten zu tun. Die Popmusik hat ein Problem.

Ob das Gewässer, das südlich der USA liegt, „Gulf of America“ oder „Gulf of Mexico“ genannt wird, dürfte den meisten Menschen außerhalb Amerikas gleichgültig sein. Den Songschreibern allerdings nicht. Denn es reimt sich sehr viel mehr auf „Mexico“ als auf „America“. Und was wird aus all den tollen Songs, die von einem Meer handeln, das keiner mehr kennt?

Nehmen wir etwa die erzpatriotische Ballade „The Battle of New Orleans“, 1936 von Johnny Driftwood geschrieben, die in diversen Cover-Versionen zum Millionen-Hit wurde (etwa von den Les Humpries Singers). Da heißt es über die letzte große Schlacht des britisch-amerikanischen Kriegs: „We fired our guns and the British kept a-comin’ / There wasn’t as many as there was a while ago / We fired once more and they began to runnin’ / On down the Mississippi to the Gulf of Mexico.“ (Wir feuerten einmal, doch die Briten rückten weiter vor / Doch es waren nicht mehr so viele, und / als wir noch einmal feuerten, rannten sie bis zum Golf von Mexiko).

Countrysänger Clint Black sang 1990 über einen Fischer, der sein Boot aufgeben muss: „I’m weighing anchors from the past / As the south winds start to blow / Sailing out of yesterday / And the Gulf of Mexico.“ (Die Anker der Vergangenheit lichte ich, der Südwind weht, ich segle aus dem Gestern und dem Golf von Mexiko) Im selben Jahr verwendete die Band Alabama den gleichen Reim für eine Träumerei über das süße Nichtstun unter Palmen „down where the southern breezes blow / On the Gulf of Mexico“.

„Blow“ und „Mexico“ ist schon ein schwer zu widerstehender Reim. Aber da gibt es auch „below“, wie in Steve Earles Song über die Fischer, die durch die Ölpest nach dem Unglück der Bohrinsel „Deep Water Horizon“ ihren Lebensunterhalt verloren. Vor dem Unfall lebten die Leute „with an endless sky above ’em / And a restless sea below / And every blessin’ flowing from the Gulf of Mexico“: über ihnen der endlose Himmel, darunter die unruhige See, und allen Segen spendete der Golf von Mexiko. Im Verlauf des Songs reimt er Mexico noch mit „Texaco“, was naheliegt, aber auch mit „Trawler of his own“ – dem eigenen Boot – und „hole“, dem Loch, aus dem der ölige Teufel kroch. Was mit einem Südstaatenakzent noch geht. Bruce Springsteen, kein Südstaatler, reimt trotzdem in „Galveston Bay“, wo es um einen Mord des Klu-Klux-Klan an vietnamesischen Flüchtlingen geht, „Gulf of Mexico“ mit „home“.

Und da gibt es noch „slow“ natürlich, wie in Rod Stewarts „Big Bayou“, wo der Schotte vom Heimweh nach dem Mississippi singt, der sich langsam in den Golf entleert: „the river that’s running slow / Into the Gulf of Mexico“. Und „long ago“, wie bei Shawn Mullins, dessen Song „Gulf of Mexico“ vom Sterben der Liebe handelt: „And she thinks she might have loved / Him once but that was so long ago / And the rain pours down / Like a holy waterfall / Over the Gulf of Mexico.“ (Und sie denkt, vielleicht liebte sie ihn einst, aber das war lange her, und der Regen fällt wie ein heiliger Wasserfall über den Golf von Mexiko.)

Später reimt er sogar noch diese großartige Zeile darauf: „My soul’s core sayin freedom’s just a / Metaphor, you got nowhere to go“. (Boah: und im Kern meiner Seele weiß ich: die Freiheit ist nur eine Metapher, du gehst nirgendwo hin.) Also bügelt die Frau weiter seine Sachen, macht ihm sein Frühstücksbrot, und der Regen, der regnet jeden Tag.

Kurz und gut: mit „America“ geht das alles nicht. Das Reimwörterbuch empfiehlt „Erica“. Aber der Name hat was von Heide und Blümelein und zwo-drei-vier, während Namen wie New Orleans, Lafayette, Baton Rouge, Biloxi, Naples, Pensacola oder Tampa etwas Exotisches, Südlich-Verrufenes anhaftet. Man riecht in ihnen beinahe den warmen Wind und den fauligen Fluss, hört die Palmen rauschen, ist schon fast nicht mehr im leistungsbesessenen Land der Yankees, sondern in Dixieland, „the land of dreams“. Dort, wo, wie Randy Newman auf dem gleichnamigen Album singt, selbst die Juden Whiskey trinken, weil sie wie die Gojim sein wollen, und aus dem ihn sein Vater als Kind wegschickte, weil „sie ihn sonst in Weinbrand einlegen, ihm einreden, er sei erlöst und dann ein Feuerwerk auf seinem Grab abfeuern.“

Wie gesagt, sollen die US-Geografen und Google das Gewässer nennen, wie sie wollen. Aber schade ist es doch um die Songs.

Source: welt.de

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