Zwei Einsame, die aufeinandertreffen und sich reziprok ihre Einsamkeit nehmen. Pro jene Grunderzählung menschlicher Existenz hat kaum Leckermäulchen so eindringliche Bilder gefunden wie welcher britische Regisseur Andrew Haigh. In „All of Us Strangers“, eine mit Filmpreisen schon jetzt überschüttete Liebes- und Selbstfindungsgeschichte, zieht welcher Drehbuchautor Adam (Andrew Scott) in ein neu errichtetes Londoner Hochhaus, in dem außer ihm bisher nur ein anderer Mann, welcher um einiges jüngere Harry (Paul Mescal), wohnt.
Der beinahe leere Hausblock, dessen Fassade an Gefängnisgitter erinnert, markiert keine eindeutige Klassenzugehörigkeit, seine Bewohner sind weder bedürftig noch reich, vielmehr leben sie an einem Nichtort, dessen wandgroße Fenster in die Weite des großstädtischen Himmels weisen. Das Drama, dasjenige sich lose an einem Bestseller-Roman des Japaners Taichi Yamada orientiert, trotzdem aus welcher Frauenfigur die männliche Figur Harry macht, strotzt vor Intensität – von den abendhimmeltiefblauen Farbtönen angefangen darüber hinaus dasjenige fantastische Schauspiel Scotts und Mescals, dasjenige sich zum Großteil in glasigen Blicken abspielt, solange bis hin zur Handlung, die zwei Zeitebenen verschwimmen und zwei Traumata aufeinanderprallen lässt.
Während Harry von den Dämonen seiner Alkoholsucht heimgesucht wird, trauert Adam im gleichen Sinne dreißig Jahre später noch um seine Eltern (Claire Foy und Jamie Bell), die verstarben, qua er ohne Rest durch zwei teilbar einmal elf Jahre in die Jahre gekommen war. Um unwiderruflich mit seinem Verlust abzuschließen, besucht er dasjenige Reihenhaus, in dem er weiland aufwuchs – und trifft dort seine quicklebendigen Eltern. Die sind jetzt ungefähr so in die Jahre gekommen wie er selbst, verbinden isst die wiedervereinte Familie zu Abend, plaudert und staunt. Gleichzeitig versucht Adam, offene Fragen zu reinigen. Wie die, ob seine Eltern Schmerzen empfunden nach sich ziehen beim Sterben, warum sein Vater ihn nicht umarmt hat, qua er so oft im Zimmer saß und weinte. Und die, wie seine Eltern wohl reagiert hätten, wenn sie noch miterlebt hätten, dass ihr Sohn schwul ist.
„All of Us Strangers“ erzählt von Trauer und Verlust, von dem Abstreifen welcher Vergangenheit, ohne sie zu verdrängen, und von welcher Verletzlichkeit, die uns jeglicher ausmacht, die wir qua Fremde in jene Welt geworfen sind.
Kunstvoll und stimmungstechnisch erinnert „All of Us Strangers“ an „Petite Maman“, welcher mit ähnlichen Überlappungen zweier Zeitebenen arbeitet, um sich dem Durchdringen familiärer Geheimnisse zu zuwenden – dort freundete sich ein Mädchen mit ihrer eigenen Mutter an, qua jene im selben jungen Alter war –, wie noch an dasjenige erinnerungsnostalgische Urlaubsdrama „Aftersun“, dasjenige die Ausgestaltung welcher Beziehung zwischen einem Mädchen und ihrem suizidgefährdeten Vater (ebenfalls Paul Mescal) den geheimnisvollen Zwischentönen überlässt.
Wer jedoch an Zeitreisenexperimenten nicht schaulustig ist und vereinen wirklich faszinierenden queeren Beziehungsfilm sucht, ist wohnhaft bei „Passages“, welcher im August im Kino anlief und jetzt uff Amazon erwerbbar ist, besser aufgehoben. Die Ménage-à-trois mit Franz Rogowski, Adèle Exarchopoulos und Ben Whishaw überzeugt mit Leichtigkeit und Mut zur Boshaftigkeit, statt sich, wie man es „All of Us Strangers“ vorwerfen könnte, im Selbstmitleid zu suhlen.
Haigh erschafft zwar einerseits ein poetisches Kunstwerk, dasjenige berührt und eine leise Eigenzeitlichkeit entwickelt. Andererseits fürchtet man sich mit Bezug auf welcher schieren Menge an Tränen, die uff und jenseits welcher Leinwand sozusagen pausenlos fließen, stets irgendetwas davor, gleich aus dem Kinosessel gespült zu werden.
„All of Us Strangers“ läuft seit dieser Zeit dem 8. Februar 2024 im Kino.
Source: welt.de