Algeriens Regimekritiker Kamel Daoud und Bouamel Sansal: Sie sind in Gefahr

Kamel Daoud soll mit seinem Roman „Houris“ Persönlichkeitsrechte verletzt haben. Die betroffene Frau klagt. Er war unvorsichtig – so wie Boualem Sansal auch, der sich derzeit wegen Kritik am Regime vor einem Gericht verantworten muss


Kamel Daouds Anwältin auf einer Pressekonferenz

Foto: AFP/Getty Images


Kamel Daoud ist einer der begabtesten frankophonen Schriftsteller Algeriens. Auch seine journalistischen Kolumnen in Le Quotidien d’Oran und auf Internetplattformen fanden dankbare Leser im laizistischen Publikum. Daoud griff den in Gewalt mündenden Islamismus eben so an wie die träge Staatsbürokratie, verschonte aber auch den Bürger nicht, der sich durch gespielte Gleichgültigkeit der Mitverantwortung am Zustand der Gesellschaft zu entziehen versucht. Nicht nur Daouds literarische Werke wurden in etliche Sprachen übersetzt, er schrieb unter anderem auch für die New York Times, Corriere della Sera und Le Monde. Wie war es möglich, dass dieser welterfahrene Schriftsteller offenbar keine Ahnung von der Falle hatte, die Persönlichkeitsrechte darstellen, die nicht nur Politiker, sondern auch jede Bürgerin und jeder Bürger geltend machen können?

Aischa Daoud muss mit einem noch schwereren Schuldspruch rechnen

Gegenstand einer solchen Klage ist Daouds neuester, bei Gallimard verlegter und erst Anfang November mit dem Prix Goncourt ausgezeichneter Roman Houris. Das hier in die französische Pluralform gebrachte arabische Wort vergegenwärtigt die 72 Jungfrauen, die jedem männlichen Muslim im Paradies angeblich zu allseitiger Verfügung stehen. Der Roman fokussiert auf den unsäglichen Terrorismus, den viele Frauen während des blutigen Bürgerkriegs in den 199oer Jahren erlitten. Zwei Schwestern, die versuchen, sich unter einer Decke zu verstecken, werden aufgespürt und geschächtet – eine rituelle Ermordung, die, so die islamistische Doktrin, Ungläubige reinigt und ihnen den Zugang zum Paradies ermöglicht. Nur eine der beiden, Aube, kann gerettet werden, sie verliert aber die Fähigkeit zu sprechen und muss fortan einen speziellen Apparat um den Hals tragen, damit sie atmen kann. Über ihre Geschichte und ihr Leiden führt sie einen stummen Dialog mit einem Kind, das sie zur Welt bringen wird.

Dass es sich hier um die in vielen Details identische Geschichte einer jungen Frau namens Saâda Arbane handelt, ist besonders delikat, weil diese in psychiatrischer Behandlung bei der Ehefrau Daouds war. Dr. Aischa Daoud hat gravierend gegen die ärztliche Schweigepflicht verstoßen und muss womöglich mit einem schwereren Schuldspruch rechnen als ihr Mann.

Die Anwältin Fatima Benbraham, die den Fall bereits vor der Verleihung des Prix Goncourt juristisch bearbeitete, gab bekannt, dass alle ärztlichen Atteste Arbanes von Dr. Aischa Daoud unterschrieben sind, ihre Patientenakte aber verschwunden ist. Nicht nur Arbanes Geschichte sei weitgehend in den Roman eingeflossen, sondern auch Details wie zwei Tattoos, die die angeblich fiktive Aube ebenfalls trägt. Identisch sei auch die Art der Verwundung und sogar der Spezialapparat, den ihre Klientin tragen müsse. Wie Aube führt auch diese einen Frisiersalon, der allerdings – anders als im Roman – kein Terrain der Prostitution ist. Saâda Arbane hat sicherlich das Recht, sich gegen die große Nähe der Romanfigur zu ihr selbst zu wehren. Zumal ihr ehelich geborener Sohn in der Schule gehänselt wird, womöglich das Kind eines Terroristen zu sein.

Hoffentlich wird diese, auf die Meinungsfreiheit zielende Klage von algerischen Gerichten abgewiesen

Kamal und Aischa Daoud, die beide auch die Staatsangehörigkeit Frankreichs besitzen, leben zur Zeit dort als politische Flüchtlinge. Der Verlag Gallimard hat ihnen einen Anwalt zur Verfügung gestellt, der erklärt, Daoud sei „Objekt einer brutalen Diffamation“ des algerischen Regimes.

Tatsächlich ist der Fehler, den das Ehepaar Daoud im Umgang mit Persönlichkeitsrechten begangen hat, nun zum Anlass einer Kampagne geworden, in der auch politische Positionen, die Daoud in ausländischen Zeitungen eingenommen hat, aber bislang toleriert wurden, öffentlich angegriffen werden. Ein Verein von Terroropfern hat ebenfalls eine Klage gegen ihn angestrengt – wegen einer Interpretation des Bürgerkriegs, die von der offiziellen abweicht. Hoffentlich wird diese, auf die Meinungsfreiheit zielende Klage von algerischen Gerichten abgewiesen.

Dieser Tage vor Gericht steht auch eine der wichtigsten Stimmen der französischsprachigen Literatur, ein unermüdlicher Kritiker des politischen Islam: Boualem Sansal. Er war Mitte November bei seiner Rückkehr aus Paris am Flughafen von Algier verhaftet worden. „Sansal ist mein Freund und ich verstehe seine Unvorsichtigkeit nicht“, schrieb Kamel Daoud vor einigen Tagen im Figaro.

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