Aktientipps gen Youtube und Co.: Finanz-Guru gesucht (m/w/d)

Wenn er auf die Ratschläge des Verbraucherkanals CNBC gehört hätte, hätte er nun eine Million Dollar in der Tasche, scherzte Jon Stewart in einer legendären Folge seiner Daily Show – vorausgesetzt, er sei mit 100 Millionen an den Start gegangen. Der deutsche Vermögensberater-Witz „Gib mir dein großes Vermögen, und ich mach ein kleines daraus“ bringt dasselbe auf den Punkt. Wo vielen schon Investieren als solches – also das Anlegen von Kapital, auf dass es wachse – suspekt erscheint, misstraut man den selbst ernannten Experten umso mehr.

Jon Stewart nahm sich den Moderator der CNBC-Show „Mad Money“ vor

Die zitierte Daily-Show-Folge stammt aus dem Frühjahr 2009. Damals, kurz nach der Finanzkrise, war es ein Leichtes, in den diversen Finanzberatersendungen des US-amerikanischen Fernsehens falsche Voraussagen zu finden und sie medial wirksam gegen die realen Entwicklungen zu halten. Die „Experten“ waren fast ausschließlich Männer, unter denen sich Jon Stewart exemplarisch Jim Cramer herauspickte, Moderator einer Show namens Mad Money. Cramer gerierte sich da als expressiver Alleinunterhalter, er hatte immer Puls, sprach sein Publikum durch die Kamera direkt an und warf öfter mit Dingen um sich. Und ja, da gab es den Clip, in dem er charakteristisch jovial den Zuschauern versichert hatte, ihr Geld sei bei der Investmentbank Bear Stearns gut aufgehoben. Eine Woche später war Bear Stearns pleite.

Derartige Finanz-Erklärbären waren gewiss nicht die Hauptverantwortlichen der Finanzkrise, aber warum hatten die selbst ernannten Vermittler so wenig Ahnung gehabt, während sie sich in ihren Shows als absolute Insider präsentierten? Sie hatten in journalistischer Hinsicht versagt, wobei eben herauskam, dass viele es eher auf Unterhaltung denn auf investigative Recherche abgesehen hatten.

Wer sich an den Schlüsselbegriff der Finanzkrise, an den „Credit Default Swap“ erinnert, mag dafür Verständnis empfinden. Wurde man nicht automatisch schläfrig, wenn jemand versuchte, das zu erklären? „Seid ihr schon gelangweilt?“, fragt denn auch Ryan Goslings ölige Stimme in Adam McKays Finanzkrisenfilm The Big Short, als die ersten „hypothekenbesicherten Wertpapiere“ erwähnt werden. „Das sollt ihr auch sein …“, heißt es weiter, „die Wall Street verbirgt sich gerne hinter verwirrenden Begriffen, damit man sie in Ruhe machen lässt.“

Margot Robbie erklärt im Schaumbad den Subprime-Markt

Woraufhin McKay die schöne Margot Robbie im Schaumbad mit Champagnerglas in der Hand erklären lässt, was es mit dem „Subprime“-Markt auf sich hat. Der Gestus dieser Szene hat mit dem Stil von Sendungen wie Mad Money aber einiges gemeinsam. Auch Jim Cramer bekämpft in erster Hinsicht die inhärente Langeweile, die dem Treiben der Börsen dieser Welt für den Durchschnittsmenschen so anhaftet.

Cooles Sprücheklopfen und Vulgärsprache wird durch nerdige Seriosität ersetzt

Mad Money gibt es immer noch. Cramers Hauptkonkurrenten sind inzwischen Youtube-Kanäle und Podcasts, von denen in unserer Ära der „Ratgeber-Inflation“ jeden Tag neue aus dem Boden sprießen. Nach wie vor ist das Hauptziel, das Publikum für ein Thema zu ködern, das zugleich betäubend öde erscheint und doch hochemotional besetzt ist. Wessen Puls beschleunigt sich nicht wenigstens um ein paar Schläge bei Überschriften wie „Was droht der Wirtschaft jetzt?“ oder „Kommt morgen der Crash?“. Wogegen eher die bereits Eingeweihten auf Teaser reagieren wie „So läuft mein ETF-Portfolio“ oder „Die Korrektur kommt. Jetzt verkaufen?“.

Vorbei scheint die Zeit der durchlaufenden Aktienpreis-Ticker und des visuellen Auftrumpfens mit steil abfallenden Kurven. Der Ton hat sich versachlicht. Das übertriebene Macho-Gehabe, das seinerzeit noch das Reden über Geld bestimmte und das man in amerikanischen „Geldgier“-Filmen von Wall Street über American Psycho bis The Wolf of Wall Street so wirkmächtig inszeniert sieht, ist nur noch mancherorts als fernes Echo zu vernehmen. Cooles Sprücheklopfen und sexualisierte Vulgärsprache sind durch nerdige Seriosität ersetzt. Und selbst wenn im automatisiert abgespielten Werbe-Clip noch ein Luxusautofahrer prahlt, sich dank gewisser Tipps (an die man aber erst bei Buchung eines Workshops rankommt) „heute alles“ leisten zu können, warnt der eigentliche Youtube-Beitrag meist vor riskanten Investitionen und zu hohen Erwartungen.

„Die sieben wichtigsten finanziellen Entscheidungen deines Lebens“

Das vertraulich-direkte Hinwenden an die Zuschauenden, dem aus dem Fernseher heraus noch etwas Anbiederndes anhaftete, ist auf Youtube zur Norm geworden, genauso die leicht verzerrenden Blickwinkel der Zoom-Optik, die anzeigen, dass sich die Moderatoren vor ihren Bildschirmen oft selbst filmen. Die Einstiegsfragen sind niedrigschwellig und halten sich an die klassischen Clickbait-Muster der Ratgeber-Journaille: „Fünf Fehler, die du bei der Altersvorsorge vermeiden solltest“ oder „Die sieben wichtigsten finanziellen Entscheidungen deines Lebens“.

Auffallend ist dabei, wie vielfältig in jeder Hinsicht dieses „Finanz-Youtube“ geworden ist. Die Nischen der Spezialistenfragen wie „Jetzt in Gold investieren?“ und das Fachsimpeln über Bitcoin sind zwar immer noch vorwiegend in männlicher Hand. Aber wer sucht, wird in allen Sparten der Diversität, Alter, Geschlecht, Hautfarbe, fündig. Die Unterschiedlichkeit des Auftritts steht dabei in auffälligem Gegensatz zur Gleichförmigkeit der Ratschläge, auf die es mehrheitlich hinausläuft: ein Depot eröffnen und dann einen Sparplan für einen ETF einrichten, der einen global gestreuten Aktienindex nachbildet – das ist so etwas wie das „Nicht rauchen, mehr bewegen, gesund essen“ der modernen Finanzberatung. Mit anderen Worten: Mit diesen Tipps lassen sich zwar nicht alle Probleme lösen, aber es besteht wenig Gefahr, dass Jon Stewart demnächst einen Video-Beweis daraus generiert.

Womit füllt man den eigenen X- oder Youtube-Kanal?

Was auffällt: Die Investitions-Ratgeber bilden ein Schneeballsystem eigener Art ab. Immer wieder gibt es den Tipp, man solle sich ein „passives Einkommen“ besorgen, etwa durch Werbeeinnahmen, die X und Youtube mit ihren aktiven Content-Providern teilen. Womit soll man den eigenen X- oder Youtube-Kanal füllen? Mit der Empfehlung an andere, in ETFs zu investieren und passives Einkommen zu generieren!

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