Airlines sollen Kraftstoffe nutzen, die es noch nicht gibt – und dafür Strafen zahlen. Das sorgt für neuen Ampel-Streit: Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) weist Steffi Lemke (Grüne) auf rechtliche Verstöße hin – doch die Umweltministerin bleibt stur. Der Condor-Chef kündigt an, notfalls vor Gericht zu ziehen.
Airline-Chefs und Flughafenleiter, Politiker und Lobbyisten drängten sich am Mittwochabend im Berliner Loewe-Saal beim Abend der Luftfahrt, dem jährlichen Branchentreff. Bevor das Buffet eröffnet wurde, griff Bundesverkehrsminister Volker Wissing zum Mikrofon und hielt eine ungewöhnlich kurze Ansprache, für die er sich umso ausführlicher beklatschen ließ.
Es dürfe bei den Klimaauflagen für die Luftfahrt keinen nationalen Alleingang geben, erklärte er, weil dieser europarechtswidrig sei, den deutschen Luftverkehr im Wettbewerb benachteilige und die Kosten hier ohnehin schon viel zu hoch seien. „Die nationale PtL-Quote muss ersatzlos gestrichen werden.“ Applaus.
Wissings Auftritt richtete sich recht direkt gegen eine Kabinettskollegin, Umweltministerium Steffi Lemke. Denn die Grünen-Politikerin hält unbeirrbar an einer geradezu irrationalen Regelung aus dem Bundesemissionsschutzgesetz fest, die die Flugbranche seit langem auf die Palme bringt: die von Wissing erwähnte nationale PtL-Quote.
Dahinter steckt eine Vorschrift, wonach Fluggesellschaften in Deutschland ab dem Jahr 2026 eine bestimmte Menge synthetischen Kerosins in ihre Flugzeuge kippen müssen. Anders als biogene Flugkraftstoffe (SAF) auf Basis von Frittenfett oder Abfällen aus der Landwirtschaft werden diese PtL-Kraftstoffe („Power to Liquid“) mit viel Strom aus Wasserstoff und Kohlendioxid hergestellt. Theoretisch eine saubere und fast beliebig skalierbare Lösung für die Klimasorgen der Luftfahrt.
Das einzige Problem: Es gibt die Kraftstoffe nicht. Bislang wurde PtL nur im Labormaßstab hergestellt. Anlagen für eine industrielle Produktion befinden sich allenfalls in der frühen Planungsphase, Deutschland liegt hier im Vergleich etwa zu den USA sogar noch weiter zurück. Eine vorgesehene Förderung des sogenannten Markthochlaufs in Höhe von zwei Milliarden Euro hat die Ampel im Zuge der Haushaltskonsolidierung kurzerhand wieder gestrichen.
„Die Chancen, dass es PtL bis zum Jahr 2026 in relevanten Mengen am Markt zu kaufen gibt, liegen praktisch bei null“, sagt Peter Gerber, Vorstandschef der Fluggesellschaft Condor, zu WELT. „Es ist absurd, dass uns die Beimengung eines Kraftstoffes vorgeschrieben wird, den es noch gar nicht gibt.“
Der Manager, zugleich Präsident des Airline-Verbands BDF, kündigt gegenüber dieser Zeitung mögliche rechtliche Schritte gegen die umstrittene Quote an, die hohe Strafzahlungen vorsieht, wenn Airlines sich nicht an sie halten. „Wir werden diese Strafen nicht zahlen. Zur Not werden wir uns vor Gericht gegen die PtL-Quote zur Wehr setzen.“
Airline-Chef Gerber sieht in den Klimavorschriften eine weitere Benachteiligung deutscher Airlines im internationalen Wettbewerb. Seit Tagen sorgen Ankündigungen von Fluggesellschaften für Schlagzahlen, die wegen steigender staatlicher Steuern und Gebühren Flüge an deutschen Flughäfen streichen. Die deutschen Airlines würden sich mit hohen Investitionen in treibstoffsparende Flugzeuge der neuesten Generation zum Klimaschutz bekennen, sagte der BDF-Präsident, jedoch seien dafür wettbewerbsneutrale Regelungen zwingend erforderlich.
Tatsächlich handelt es sich bei der umstrittenen Quote sozusagen um eine Sub-Sub-Quote. Auf EU-Ebene werden den Fluggesellschaften nämlich ebenfalls steigende Quoten zur Beimischung nachhaltiger Flugkraftstoffe vorgeschrieben, ab 2030 greift zudem eine Sub-Quote für anfangs kleinere Mengen an PtL. Trotz der EU-Quoten hält das Lemke-Ministerium nun zusätzlich an ihrer eigenen, schon früher und mit Zustimmung der FDP beschlossenen Sub-Sub-Quote fest.
Wissing hingegen fordert nun, diese „so schnell wie möglich“ abzuschaffen. Er sieht darin einen Verstoß gegen europäisches Recht. Ein Staatssekretär aus dem Verkehrsministerium schickte Anfang der Woche ein Schreiben an eine Amtskollegin aus dem Umweltressort, das seither in der Luftfahrtbranche die Runde macht. Darin weist er das Lemke-Ministerium auf eine Regelung der EU-Kommission hin, wonach weitergehende nationale Regelungen zu den Kraftstoff-Quoten unzulässig seien. Es müsse „unverzüglich ein EU-rechtskonformer Zustand hergestellt werden“. Sprich: Die Quote muss weg.
Ein Sprecher des Umweltministeriums beharrt hingegen: „Es gibt auch Akteure, die die nationale PtL-Quote für den Luftverkehr beibehalten wollen.“ Auf die WELT-Nachfrage, ob die Regelung denn überhaupt rechtskonform sei, geht das Ministerium nicht ein. Einfach abschaffen will man die Quote jedenfalls nicht. Man könne allenfalls eine „etwaige Änderung“ diskutieren, wenn diese Teil einer breiteren Umsetzung der Erneuerbare-Energien-Richtlinie sei, die dann diverse andere klimapolitische Maßnahmen beinhalten würde.
Einstweilen hält Lemke stur auch an den Strafzahlungen fest, die den sogenannten Inverkehrbringern aufgebrummt werden sollen, wenn sie den – voraussichtlich nicht existenten – PtL-Kraftstoff nicht vertanken. Der exakte Mechanismus steht noch nicht fest. Aber laut einer Quelle aus der Lufthansa geht es allein für die größte deutsche Airline-Gruppe um drohende Strafzahlungen im oberen zweistelligen Millionenbereich. „Da sind keine Kleinigkeiten.“
Absurder wird die nationale Quote noch durch den Umstand, dass 15 Monate vor dem geplanten Inkrafttreten es nicht nur keine industriellen Produktionsanlagen gibt. Das Umweltministerium scheiterte nach Informationen aus der Branche bis heute schon daran, ein rechtsgültiges Zertifizierungsverfahren für die geforderten synthetischen Kraftstoffe zu definieren. Das bedeutet: Fluggesellschaften und Mineralölkonzernen wird vorgeschrieben, in gut einem Jahr einen Kraftstoff zu verwenden, von dem bislang niemand genau weiß, was ihn überhaupt definiert.
Steffen Fründt ist Wirtschaftskorrespondent der WELT und berichtet über Themen aus Luftfahrt, Sportbranche und anderen Industrien.
Source: welt.de