Auf dem afrikanischen Kontinent ist neue Hoffnung erwacht, begünstigt von einer rasant wachsenden Bevölkerung in vielen Staaten, die bis Mitte des Jahrhunderts voraussichtlich die Marke von 2,5 Milliarden Menschen übersteigt. Riesige Reserven an weltweit begehrten Mineralien, an Öl und Gas verlangen überdies nach enormen Investitionen in die Infrastruktur. So prognostiziert die Afrikanische Entwicklungsbank (AfDB), dass der Kontinent bis 2030 über ein Bruttoinlandsprodukt von vier Billionen Dollar verfügen wird, bewirkt durch einen Entwicklungssprung bei der grünen Energie, durch eine Urbanisierung und die digitale Innovation. Afrikanische Ökonomen neigen zu der selbstbewussten Aussage, Afrikas Zukunft werde in Afrika geschrieben.
Weder frei noch fair
Für die „High 5s“-Strategie der Weltgesundheitsorganisation (WHO) wurden bereits Milliarden Dollar an Finanzmitteln mobilisiert, woran die Diaspora beteiligt ist. Insofern markiert die begonnene Transformation einen Wendepunkt, weil sich Afrika mehr denn je auf die eigene Kraft besinnt. Doch wird ein allzu forscher Optimismus von der ernüchternden Tatsache getrübt, dass der „Regierungsbericht 2024“ der Mo Ibrahim Foundation – sie ist in London wie Dakar präsent – ein eher düsteres Bild zeichnet. Zwar wecken eine sich stetig verjüngende Bevölkerung und Wirtschaftspotenziale Erwartungen, aber sowohl die Qualität des Regierens wie die innere Sicherheit lassen in etlichen Ländern zu wünschen übrig.
Laut Index für Regierungsführung der Mo Ibrahim Foundation sind die Werte erstmals seit zehn Jahren rückläufig. 30 Staaten haben seit 2020 Militärputsche und bewaffnete Aufstände erlebt, die sich auf demokratische Standards nachteilig auswirken. Konfliktherde wie die im Sudan, im Kongo, in der Sahelzone, in der äthiopischen Provinz Tigray oder in Mosambik haben Millionen vertrieben und untergraben die regionale Stabilität. Dadurch, so der Report, seien „demokratische Fortschritte gefährdet“. Verwiesen wird auf das Knebeln von Oppositionsparteien, die Manipulation nationaler Wahlkommissionen und den Einsatz von Sicherheitskräften zum Machterhalt.
Das jüngste Beispiel für den Verfall von politischer Kultur liefert Tansania, ein Land in Ostafrika, das früher häufig für seine Stabilität und postkoloniale Einheit gerühmt wurde. Nach der Unabhängigkeit von Großbritannien im Jahr 1961 galt Tanganjika – später, nach dem Zusammenschluss mit Sansibar 1964, die Vereinigte Republik Tansania – unter dem Präsidenten Julius Nyerere als Leuchtfeuer afrikanischer Selbstbestimmung. Nyereres sozialistische Politik der Ujamaa (auf Suaheli: der Gemeinschaft) betonte Gleichheit und Zusammenhalt.
Freilich basierte diese Agenda auf der Dominanz einer einzigen, alles beherrschenden Partei: der Chama Cha Mapinduzi (Partei der Revolution, CCM). Seit 1977 regierte die CCM ununterbrochen. Nach dem plötzlichen Tod von John Magufuli im März 2021 übernahm die Vizepräsidentin Samia Suluhu Hassan (sie kommt aus Sansibar) als erste Frau seit der Unabhängigkeit die politische Führung Tansanias. Anfangs deuteten erste Entscheidungen auf einen Wandel hin. Erlaubt wurde die Rückkehr bis dahin verbotener Medien. Hassan traf sich mit Oppositionsführern und versprach nationale Versöhnung. Doch diese Zusage verlor an Wert, als sich die Präsidentin in diesem Jahr um eine Wiederwahl bewarb und Tansania in einen fast zügellosen Autoritarismus abglitt.
Die Wahlen Ende Oktober markierten einen Tiefpunkt. Führende Oppositionspolitiker, darunter Tundu Lissu von der dissidenten Chadema-Partei, wurden verhaftet oder zuvor als Kandidaten relegiert. Andere Prominente wie Luhaga Mpina von der Allianz für Wandel und Transparenz (ACT) sahen sich aus formalen Gründen disqualifiziert. Am Wahltag selbst, dem 29. Oktober, blockierte die Regierung den Zugang zum Internet, schickte Militär auf die Straße und schränkte die Arbeit unabhängiger Wahlbeobachter ein.
Die Nationale Wahlkommission erklärte Hassan mit 97,6 Prozent der Stimmen zur Siegerin – ein Ergebnis, das nicht nur weithin unglaubwürdig erschien, sondern zugleich eher an Autokratien als an Demokratien erinnerte. Beobachter – im Auftrag der Entwicklungsgemeinschaft des südlichen Afrika (SADC) entsandt – und zivilgesellschaftliche Gruppen bewerteten die Abstimmung als weder frei noch fair. Die Rufe nach unabhängigen Untersuchungen zu Menschenrechtsverletzungen und gezielten Tötungen wurden lauter. In den ersten Novembertagen brachen in den Großstädten Daressalam, Mwanza und Arusha Proteste aus, deren Begleiterscheinungen nur erschrecken konnten. Augenzeugen schilderten Szenen des Grauens: Soldaten, die in Menschengruppen schossen, in der Nacht Häuser durchsuchten und für überfüllte Leichenhallen sorgten.
Schätzungen über die Zahl der Todesopfer driften auseinander, sie reichen von einigen Dutzend bis zu einigen tausend. Die Vereinten Nationen sprachen von „Hunderten“, und ein Dachverband afrikanischer Menschenrechtsorganisationen vermutete, es könnten bis zu 3.000 Menschen getötet worden sein. Diese Berechnungen, fußend auf Angaben aus überbelegten Krankenhäusern, deuteten auf ein Ausmaß der Gewalt, das man so nie vermutet hätte.
Oppositionelle verschwinden
Bis heute werden prominente Politiker vermisst, darunter Mdude Nyagali, ein engagierter Oppositioneller, der im Mai 2025 nach wiederholten Drohungen aus seinem Haus entführt wurde. Das gleiche Schicksal teilt Edgar Edson Mwakabela, bekannt als „Sativa“, ein digitaler Aktivist, der nach seiner Entführung im Juni 2024 einen Kopfschuss überlebte. Ali Mohammed Kibao, ein Ex-Geheimdienstoffizier, der sich für die Opposition engagierte, wurde Anfang 2025 tot aufgefunden. Man fand Spuren von Säure in seinem Gesicht.
Schließlich der Fall von John Heche, Vizevorsitzender der Chadema (Partei für Demokratie und Fortschritt), der sich Berichten zufolge seit Oktober in Isolationshaft befindet. Oppositionelle werfen den Streitkräften vor, außerhalb von Daressalam und Arusha Massengräber ausgehoben zu haben, um das Ausmaß des Tötens zu verschleiern. Bisher weist die Regierung jegliches Fehlverhalten von sich. In einem Interview für die BBC beharrte Außenminister Mahmoud Thabit Kombo darauf, es gebe keine bestätigten Berichte über Todesfälle – eine Aussage, die im Widerspruch zu vorliegenden, in sozialen Medien kursierenden Videoaufnahmen steht.
Dieser Abstieg in die Repression ist nicht nur eine nationale Tragödie, sondern auch eine Warnung für die gesamte Region. Tansania, einst ein Fels in der Brandung und Zufluchtsort für Befreiungsbewegungen während der antikolonialen Kämpfe Afrikas, verfällt derzeit Regierungsmethoden, gegen die sich Julius Nyerere stets verwahrte. Tansania verdeutlicht, wie fragil die demokratischen Errungenschaften auf dem Kontinent nach wie vor sind.
Zugleich verursachen die beiden blutigsten Konflikte des Kontinents – im Sudan und in der Demokratischen Republik Kongo – großes Leid. Im Sudan hat der Krieg zwischen den nationalen Streitkräften und den von den Vereinigten Arabischen Emiraten finanzierten Rapid Support Forces (RSF) Khartum in Schutt und Asche gelegt, eine Hungersnot ausgelöst und mehr als neun Millionen Menschen vertrieben.
Im Osten des Kongo lösten die Kämpfe zwischen Regierungstruppen und der Rebellenbewegung M23 erhebliche regionale Spannungen aus. Ruanda und Uganda werden beschuldigt, bewaffnete Stellvertreter zu stützen. Derartige Kriege – angeheizt durch die Gier nach Bodenschätzen und Handelsrouten – zerstören jene menschlichen und institutionellen Grundlagen, die Afrika für sein vielgepriesenes „Jahrhundert des Wachstums“ braucht. Soll die von der Afrikanischen Entwicklungsbank entworfene Vision Wirklichkeit werden, muss die internationale Gemeinschaft entschlossen handeln, um einen Verfall von Regierungsstrukturen zu verhindern, der Afrikas Aufstieg gefährdet. Damit dieses Jahrhundert wirklich den Afrikanern gehört, müssen seine Führungskräfte begreifen, dass Wohlstand ohne Freiheit wertlos ist. Die gleiche junge Generation, der Afrika einen demografischen Aufschwung verdankt, verdient es, sich frei äußern zu dürfen und ohne Angst wählen zu gehen.
Wenn der Kontinent sein Potenzial ausschöpfen will, muss er zuerst die Würde und das Leben seiner Bevölkerung schützen. Die Welt kann nicht Afrikas Perspektiven feiern und zugleich das Blutvergießen ignorieren, weil seine Führer Wahlen mehr fürchten als den Krieg.
Kenneth Mohammed ist Afrika-Analyst mit dem Schwerpunkt Korruption