AfD-Wähler sehen gerade schwarz

AfD-Wähler sehen gerade schwarz

Ob Arbeitslosigkeit, Altersarmut oder Inflation: AfD-Anhänger nehmen die wirtschaftliche Lage schlechter wahr, als sie ist. Das zeigen Daten des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW), die am Mittwoch Thema einer Pressekonferenz in Berlin waren. „Die AfD versucht, auch in den ökonomischen Fragen Untergangsszenarien an die Wand zu malen, und reüssiert damit auch in ihren Anhängerschaften“, sagte Matthias Diermeier, ­Leiter des IW-Kooperationsclusters Demokratie, Gesellschaft, Marktwirtschaft.

Die Schwarzmalerei nimmt dabei erstaunliche Ausmaße an, das zeigt sich am Beispiel der Inflation: Obwohl die offizielle Steigerung der Verbraucherpreise im vergangenen Jahr auf 2,2 Prozent gesunken ist, schätzt der Durchschnitt der in der Untersuchung befragten Menschen diese auf 15,3 Prozent. AfD-Anhänger sind dabei besonders pessimistisch: Sie schätzen die Inflationsrate sogar auf 18,7 Prozent, dicht gefolgt vom BSW (18,1 Prozent). Bei den „in vielerlei Hinsicht zuversichtlicheren Grünen-Parteigängern“ fällt die Überschätzung der Inflation 2024 mit 10,8 Prozent am geringsten aus.

Das wirft Fragen auf, ob der bisherige Wahlkampf die Sorgen der Menschen richtig adressiert – oder umgekehrt sogar unnötig verstärkt. „Der Wahlkampf ist zu düster“, findet Reinhard Lüken, Hauptgeschäftsführer des Verbands für Schiffbau und Meerestechnik, auf der Veranstaltung. „Natürlich brauchen wir Reformen, aber das Land in Schutt und Asche zu reden, ist der falsche Weg“.

„Einnahmen runter, Ausgaben hoch“

Das Wahlprogramm der AfD steht jedenfalls in einem bemerkenswerten Kontrast zu diesen Ängsten, denn die dort gezeichneten Pläne dürften kaum zu Beruhigung führen. Die Liste der Staatseinnahmen, die die Partei streichen will, ist lang: Abschaffung aller CO2-Abgaben, der Erbschaftsteuer, des Solidaritätszuschlags, der Grundsteuer und der Grunderwerbsteuer für Selbstnutzer. Hinzu kommt eine Senkung der Mehrwertsteuersätze für die Gastronomie, die Einführung eines „Familiensplittings“, das die Steuerlast für Familien senken soll, dazu eine niedrigere Unternehmensbesteuerung, die sich künftig auf ein international konkurrenzfähiges Niveau bewegen soll, und eine deutliche Senkung der Einkommensteuer.

Schätzungen des IW zufolge sinken so die Einnahmen des Staates um 181 Milliarden Euro. Bei erwarteten Steuereinnahmen von 983 Milliarden Euro aus Bund, Ländern, Kommunen und EU für das Jahr 2025 umfassten die Vorschläge damit knapp 20 Prozent des gesamten jährlichen Steueraufkommens, rechnet das IW vor. Am anderen Ende des Spek­trums wirken die Pläne der Linken nicht minder radikal: Sie ist die einzige Partei, die den Haushalt des Staates deutlich ausbauen möchte: um rund 169 Milliarden Euro.

Hier wie da wirft das Fragen auf. Die AfD etwa will trotz ihrer radikalen Kürzungen bei den Einnahmen gleichzeitig das Rentenniveau auf 70 Prozent des letzten Nettoeinkommens erhöhen. „Damit sticht die AfD als Partei heraus, die sich den Gesetzen der Demographie gänzlich zu entziehen versucht“, heißt es in einem IW-Gutachten zu den Implikationen der AfD für den Wirtschaftsstandort Deutschland. Auch die FDP will die Staatseinnahmen um 155 Milliarden Euro deutlich senken, allerdings sind die Unterschiede eklatant: „Die AfD folgt also dem Motto: Einnahmen runter, Ausgaben rauf und grenzt sich damit auch von der FDP ab, die dem Motto folgt: Einnahmen runter, Ausgaben runter“, sagt Diermeier.

Dexit-Szenario ungewiss

Bei Unternehmern sorgt die AfD für große Unruhe: Ihnen bereitet besonders der Umgang mit der EU und dem Euro Sorge. 77 Prozent der vom IW befragten Führungskräfte sehen in dem Programm „eher ein Risiko“. Nicht überraschend: Nach Berechnungen des IW würde das Bruttoinlandsprodukt fünf Jahre nach einem Austritt aus der EU um 5,6 Prozent schrumpfen. Deutschland könnten knapp 700 Milliarden Euro an Wertschöpfung entgehen, rund 2,5 Millionen Arbeitsplätze könnten verloren gehen.

Die weit verbreiteten Bedenken führen innerhalb der Partei zu einem Eiertanz, zuletzt auf ihrem Parteitag Mitte Januar in Riesa und in den Wahlkampfäußerungen der Spitzenkandidatin Alice Weidel. Schon seit Jahren kämpft die AfD für einen „Dexit“, also den Austritt Deutschlands aus der Europäischen Union, die sie für reformunfähig hält. In ihrem aktuellen Wahlprogramm hat sie den Vorschlag allerdings abgeschwächt und um das vage Vorhaben ergänzt, eine „europäische Wirtschafts- und Interessengemeinschaft“ zu gründen, in der die Mitgliedstaaten nur noch zusammenarbeiten, wo echte gemeinsame Interessen bestehen. Statt eines harten „Dexits“, den viele AfD-Parteimitglieder noch immer wollen, soll es im Wahlprogramm also eher um eine Rückkehr zu den Ursprüngen der EU gehen.

Keine Antwort auf den Führungskräftemangel

In der ARD-Wahlarena wandte sich Weidel am Montagabend nun noch weiter von dem Dexit-Szenario ab: „Wir fordern nicht den Austritt aus der EU“, sagte sie. Vielmehr müsse es eine Rückverlagerung der Kompetenzen aus Brüssel in die nationalen Parlamente geben. Entscheidungen wie etwa das Verbrenner-Aus dürften nicht von Institutionen getroffen werden, die demokratisch nicht gewählt und damit nicht legitimiert seien. Gegen das Vorhaben der EU, das vom Jahr 2035 an greifen soll, haben sich allerdings auch schon FDP und Union ausgesprochen.

Sorgen bereitet ebenfalls der Umgang der AfD mit ausländischen Arbeitnehmern in Deutschland. Nach Sorgen um eine „konstruktive politische Kultur und die Bildung handlungsfähiger Regierungen“ findet sich auf Platz vier die Sicherung der Fachkräfte: Rund 73 Prozent der Manager sehen die als Risiko. Deutlicher wird Diermeier: „Die AfD ist eine existenzielle Bedrohung für die Fachkräftesicherung“, lautet sein Urteil.

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