Abschottung | Neue Berliner Mauer: Wie dieser Zaun im Görlitzer Park die Gemüter spaltet

Der Bagger schweigt. Einzig der Zigarettenqualm steigt gemächlich aus der offen stehenden Tür des gelben Gefährts, gerade so, als hätte er alle Zeit der Welt, um sich schließlich mit der klammverregneten Luft zu vermischen. Mittagspause also. Auch für die Polizei, die ihren leeren Mannschaftswagen schützend vor der Baumaschine parkte. Nach dem Mittag werden sie den Boden ausheben, um ein Fundament zu legen, auf dem bald ein wahrlich heiß diskutierter Zaun entstehen wird, der den Görlitzer Park im Berliner Bezirk Kreuzberg nachts unter Verschluss halten soll. Nur einige Drehtüren sollen ab 22 Uhr den im Park Verbliebenen das Hinausspazieren ermöglichen.

Zertretene Türen, Kot, Crack

Nachdem sich am 21. Juli 2023 eine mutmaßliche Vergewaltigung im Park ereignete, versprach CDU-Politiker Kai Wegener, gerade neu im Amt des Regierenden Bürgermeisters, die Lücken in der alten Mauer um den Park zu schließen. 1,5 Millionen Euro lässt sich die Stadt das Projekt kosten. Rund 800.000 Euro jährlich wurden für das Personal veranschlagt, das dem Park den nächtlichen Riegel vorschieben soll. Besagter Zaun wird nicht nur den Wrangelkiez von dem in Berlin liebevoll „Görli“ genannten Park trennen, sondern spaltet schon seit Beginn des Vorhabens die Geister der Nachbarschaft. Einige schlossen sich zu Initiativen zusammen, um zu verhindern, was gerade entsteht. „Der Görli bleibt auf“, haben sie auf die Wege gesprüht, die sich durch die Grünanlage schlängeln.

Andere wiederum jubeln und rufen: Ja, baut den verdammten Zaun endlich! Sie haben die Nase voll und all diese Gruselgeschichten, die rund um den Görli kursieren, bereits unzählige Male am eigenen Leib erfahren müssen. Dabei geht es um aufgebrochene Autos und zertretene Türen, Blut, Spritzen und Kot in Treppenhäusern – Hinterlassenschaften von Menschen, die in ihrem Elend und im flüchtigen Rausch des Crack in den Fluren hausen, weil es für sie keine anderen Orte zum Verweilen gibt.

Seit der Coronapandemie ist das Crack in den Kreuzberger Kiez gezogen und mit ihm die Verwahrlosung. Das aufgekochte Teufelsgemisch aus Kokain und Natron sorgt bei denen, die es rauchen, für einen raschen Realitätsausstieg innerhalb weniger Sekunden, fordert jedoch ebenso schnellen Nachschub. „Kokain gibt es schon seit Jahrzehnten auf der Szene zu kaufen, seit drei Jahren stellen wir fest, dass User:innen das Kokain zu Crack aufbereiten“, sagt ein Mitarbeiter des Fixpunkt e. V. in Berlin.

Darum gibt es im gesamten Kiez kein Natron in den Supermärkten mehr zu kaufen, erklärt Johanna M., die gleich am Görli wohnt. Sie möchte lieber anonym bleiben. So könne sie freier reden. Was nach dem flüchtigen Rausch folgt, sind Aggressivität, Niedergeschlagenheit und das Verlangen nach dem nächsten Stein. Eine Spirale aus Beschaffung und Konsum entsteht, die grundlegende menschliche Bedürfnisse in Luft aufzulösen scheint. Kein Hunger, kein Schlaf, tagelang.

Die nun entstehenden Umwege sind nicht weniger düster

Einmal, als es im Winter besonders kalt war, zündeten Menschen, die in M.s Haus eingebrochen waren, im Keller ein Feuer an. „Da dachte ich, wie komme ich mit dem Baby aus dem Haus, wenn es anfängt zu brennen?“, sagt sie. Die Probleme des Kiezes sind nicht zu leugnen. Einige ziehen aus der Nachbarschaft weg, weil sie die Zustände schlicht für untragbar halten. Ihre Kinder gruseln sich vor den unberechenbaren Gestalten, die jegliche Kontrolle über ihre Gesichter verloren haben.

Ich finde den Zaun gut, oder würdest du dich nachts allein durch den Park trauen?

Ein Anwohner des Parks

Johanna M. berichtet von Fällen, in denen Kinder in Spritzen gefasst haben, und so manche Frau fürchtet sich stets vor Belästigung oder gar sexuellen Übergriffen im Park. „Ich finde den Zaun gut“, sagt einer der Anwohner, „oder würdest du dich nachts allein durch den Park trauen?“ Eine andere sagt, sie meide den Park seit Jahren.

Andrea Lang ist eine von jenen, die gegen den Zaun sind. An einem verregneten Sommermittag, an dem der Kiez noch schlummert und die Graffitis dem Grau etwas Farbe entgegensetzen, läuft Lang durch den Görli, der ihr täglicher Arbeitsweg ist. „Ich gehe hier immer völlig unbedarft durch, nur nachts nicht – da würde ich als Frau aber durch keinen Park laufen“, sagt sie. In der Nachbarschaft meidet sie das Thema lieber – es würde bloß die Gemüter erhitzen.

Ohne Zaun habe man wenigstens die Wahl, meint Johanna M., denn die Wege drum herum seien nachts nicht wirklich attraktiver, sondern bloß ein düsterer Umweg. Einer führt am Rande eines kleinen Wäldchens unter einer Brücke vorbei. Kein Licht, keine Häuser. Nicht gerade einladend. Denn Überfälle, die gebe es schon. Das sei reine Beschaffungskriminalität. In so mancher Sommernacht höre sie sogar den ein oder anderen Hilfeschrei durch die offen stehenden Fenster. Teilweise wären das Konsumierende, die sich gegenseitig ihre Drogen klauen.

Überfälle sind nichts Neues

Seit 2008 wohnt Johanna M. nun im Kiez. Da war der Park noch ein anderer, berichtet sie. Bloß Matsch und Wiese. Hier und da versuchte mal einer, etwas Kokain unter die Leute zu mischen. Konsumiert wurde schon, aber eher Heroin oder Gras. Das machte nicht so aggressiv. Damals sagte man ihr, sie solle den Görli bei Nacht meiden. Denn die Probleme mit Beschaffungskriminalität und sexuellen Übergriffen sind nicht neu und reichen zurück bis in die 1970er-Jahre, als der Park noch ein Bahnhofsgelände war. Pissrinne – so wurde der Tunnel genannt, der Wrangel- und Reichenberger Kiez verband. Frauen sollten damals nur noch in Begleitung durchstapfen. Seit 2010 halten sich mehr Dealer im Park auf. Sie fühle sich dadurch sicherer, sagt Johanna M. Viele von ihnen würden Überfälle nicht tolerieren.

So will man durch den Zaun vor allem die Quelle des vermeintlichen Übels aus dem Görli vertreiben. Diejenigen, die den Stoff verteilen – die Dealer im Park. Einen Park für Drogendealer wolle er nicht, sagte Kai Wegner einmal dem rbb. Ganz nach dem Motto: Aus den Augen, aus dem Sinn.

Dieser Zaun wird nur den Anwohner:innen des Viertels schaden, wir werden uns vor die Tore stellen oder in die umliegenden Straßen gehen.

Ein Dealer im Görlitzer Park

Was er von dem Zaun hält? Einer der Dealer wiederholt den Satz und schaut nachdenklich. Seinen Namen behält auch er für sich. Kann man verstehen. „Dieser Zaun wird nur den Anwohner:innen des Viertels schaden, wir werden uns vor die Tore stellen oder in die umliegenden Straßen gehen.“ Ein anderer sagt, das Crack käme nicht aus dem Park, sondern von der U8 und dem Leopoldplatz. „Ich verkaufe nur Partydrogen wie Speed, Ecstasy, Gras und Koks.“

Sie stehen an der Verkehrshauptschlagader des Görlis. „An jedem Ausgang des Parks hat sich eine feste Gruppe an Dealern etabliert“, sagt Johanna M., die inzwischen viele Kontakte in die Community bekommen hat. Man kennt sich, man grüßt sich. „Die Menschen stehen hier nicht ohne Grund“, sagt sie, „viele haben keine Arbeitserlaubnis“.

Diese Menschen zu idealisieren, sie zu homogenisieren und ihnen jegliche Handlungsmacht abzusprechen, findet Johanna allerdings auch falsch. „Es ist viel komplizierter“, sagt sie, „teilweise haben die Leute einen Aufenthaltsstatus in Italien, einen europäischen Pass und eine Arbeitserlaubnis, andere wiederum haben gar nichts – die Menschen sind unterschiedlich stark dazu gezwungen, illegalen Jobs nachzugehen.“

Putzjob oder Dealen

Jedoch bedeutet eine Arbeit ohne Ausbildung oder Schulabschluss meist gnadenlose Ausbeutung. Ein Freund der Kreuzbergerin hat einen Putzjob, bei dem er bis in den Morgen hinein arbeitet und nach einer kurzen Pause gleich in die nächste Schicht stolpert. Ein anderer musste auf einer Baustelle ohne jeglichen Schutz schuften und zog sich dabei schwere Verletzungen zu. „Es gibt also Gründe, weswegen sich die Leute für den Verkauf von Drogen entscheiden.“ Hinzu kommt der Druck, Geld in die Heimat schicken zu müssen. Schulgeld, Krankenhausaufenthalte, Nahrungsmittel. Das läppert sich.

Plötzlich herrscht Aufregung in der Gruppe. Diejenigen, die Stoff dabei haben, machen sich eilig aus dem Staub. Ein Streifenwagen wurde gesichtet. Die Polizei kann im Kiez kontrollieren, wen sie möchte. Auch ohne Verdacht. Sie haben hier eine Sonderbefugnis, denn der Kiez gilt als sogenannter kriminalitätsbelasteter Ort (kbO). „Das tun sie sehr selektiv“, sagt M., „weiße werden eigentlich gar nicht kontrolliert, nur schwarze Menschen“.

Das Katz-und-Maus-Spiel ist für Johanna M. reine Ressourcenverschwendung. „Es ändert sich ja nichts“, sagt sie. Was es wirklich bräuchte, erklärt der Fixpunkt e. V. Berlin, wären „(betreute) Aufenthaltsbereiche für Erwachsene im öffentlichen Raum“. Denn der Park, so sagen sie weiter, „ist als integrativer Ort für alle Menschen gedacht. Marginalisierte sind aufgrund ihrer Lebenslage auf den öffentlichen Raum stark angewiesen.“

Und so riecht es im Kiez nicht nur nach Urin, sondern auch nach reiner Symbol- und Abschottungspolitik, die am Ende wohl keines der Probleme lösen wird.

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