2015 habe ich hier vermeldet, dass eine alte Sporthalle in meiner Straße zur Notunterkunft für Flüchtlinge umgewidmet wurde. Als pensionierter Lehrer hatte ich damals (irrtümlich!) das Gefühl , meine Kompetenzen könnten vielleicht nützlich sein.
Der Anruf einer weiteren Ehrenamtlerin ließ nicht lange auf sich warten. Während die Flüchtlinge mit syrischer Staatsangehörigkeit sogleich städtisch organisierten Sprachunterricht erhielten, waren syrische Kriegsflüchtlinge mit palästinensischer Volkszugehörigkeit, die also bereits Flüchtlinge in Syrien gewesen waren, davon scheinbar genau deswegen ausgeschlossen. Offenbar ist Krieg nicht gleich Krieg, sondern hängt davon ab, was im Pass steht. Art. 3 Grundgesetz hin oder her.
Ob ich also bereit wäre, einen Sprachkurs für die Palästinenser anzubieten? War ich – ohne zu ahnen, wie schwierig es sein würde, mit einer Kultur, die mit ganz anderen Buchstaben von hinten nach vorne und von rechts nach links zu lesen und schreiben gewohnt ist. Und Unterricht sehr viel mehr mit Autorität verbindet. Ich hatte wohl ein bisschen Hebräisch an der Schule gelernt. Aber das bezog sich nur auf Bibelinhalte und war ewig her. Erschwert und schließlich beendet wurde das Ganze dadurch, dass die „Schüler“ nach und nach über die ganze Stadt verteilt wurden und am Ende auch noch ein geeigneter Raum fehlte, in dem wir uns ungestört von spielbedürftigen Kleinkindern treffen konnten.
Parallel lief aber ein ganz anderer Prozess, denn zu nahezu jedem gemeinsamen Treffen brachten meine „Schüler“ irgendwelche Amtspost mit, die erklärt werden wollte, oder Formulare, die ausgefüllt werden mussten. Und dafür war dann jedes Mal eine Übersetzerin nötig, die das Arabische ins Englische übersetzte und umgekehrt.
Im Laufe der Zeit lief es auf zwei Familien hinaus, um die ich mich besonders kümmerte. In einem Fall vermutete ich zunächst einen unbegleiteten Jugendlichen, der einer Extra- Unterstützung bedurfte. Später erfuhr ich, dass er verheiratet war, mit einer Minderjährigen, die deshalb eine öffentliche Schule besuchte. Das machte die Sache dann umso komplizierter, wie sich nach und nach herausstellen sollte.
Erst einmal war ich entsetzt. Dann hörte ich mir – im Gegensatz zu den meisten Behörden – die Gründe an. Kurz und gut: Ohne Heirat wäre eine gemeinsame Flucht aus religiösen/ kulturellen Gründen nicht möglich gewesen – erklärte mir jedenfalls eine dolmetschende Christin. Behörden und Politik ist solches egal. Man definiert es in verleumderischer Weise pauschal als Kinderehe, schafft die Möglichkeit der Einzelfall-Prüfung vor Gericht ab, macht ein verfassungswidriges Gesetz. Beim BAMF verweist der Mitarbeiter die Frau des Raumes, statt beide Eheleute einen Asylantrag stellen zu lassen (Er hat vermutlich versäumt, das zuständige Jugendamt dazu zu laden). Der Familienstand des Ehemanns wird von verheiratet in ledig verändert („Dies ist Deutschland!“) und wahrheitswidrig wird behauptet, wenn seine Partnerin 18 werde, seien sie quasi automatisch wieder verheiratet. Bei zwischengeschaltetem Dolmetscher ist natürlich nicht eindeutig zu klären, wer das tatsächlich gesagt hat, bzw. ob der Klient alles richtig verstanden hat. Jedenfalls wird der Eintrag in einem „Laufzettel“ verändert und ein bürokratischer Tsunami nimmt seinen Lauf.. Ein amtliches Dokument zu dem Vorgang gibt es nicht, und somit auch keine Rechtsmittel-Belehrung. Ein geänderter Eintrag eines – überhaupt qualifizierten?????? – kleinen Behördenmitarbeiters genügt, um einen amtlichen Akt eines anderen souveränen Staates mal eben so außer Kraft zu setzen, so dass z.B. vor dem Erhalt einer Geburtsurkunde Urkunde später für jedes Kind jugendamtlich festgestellt werden muss, dass die Vaterschaft a) vom Mann anerkannt wurde und b) ein gemeinsames Sorgerecht vorliegt. Damit nicht genug. Besagter Behördenmitarbeiter legt mit seinem (illegalen?) Akt auch bereits fest, dass der Ehemann Jahre später nicht seinen vollen Lohn erhält, weil er nämlich in Steuerklasse I eingestuft wird, der Staat sich mithin die Lizenz erteilt, die Familie zu bestehlen (besagtes Gesetz soll übrigens das Kindeswohl schützen. Aber das Kindeswohl einer längst erwachsenen Nicht-mehr-Ehefrau, nicht das der mittlerweile drei geborenen Kinder). Aber es geht ja weiter: der bestohlene Ehemann hat nun nicht mehr das Geld, seine Familie zu ernähren und muss beim Jobcenter aufstocken, wodurch er dann statistisch zu jenen Bürgergeldempfängern gehört, die angeblich lieber Bürgergeld beziehen, anstatt zu arbeiten (als Altenpfleger behebt er den Fachkräftemangel durch Schichtarbeit). Der populistische Kreis schließt sich. Und scheinbar kann niemand verhindern/ korrigieren, dass ein kleiner, böser(?) BAMF-Mitarbeiter meint, über dem syrischen Staat zu stehen. Und um zu verhindern, dass die Betroffenen juristisch dagegen vorgehen, wird ein behördlicher Akt einfach mal so durch Änderung eines ach so kleinen Wörtchens auf einem Laufzettel erledigt. Bürokratieabbau scheint gar nicht so schwer, wenn es um Rassismus und Herrenmenschentum geht. Bleibt zu ergänzen, dass ein Familiengericht durchaus eine Einzelfall-Prüfung vorgenommen hat – wie zuvor schon das Jugendamt – und die Gültigkeit der syrischen Ehe nicht infrage gestellt hat. Dummerweise in einer anderen Sache, und damit folgenlos. Die Bürokratie in ihrem Lauf……Beteiligte Behörden wurden übrigens nicht von BAMF oder Ausländerbehörde über diese Änderung des Familienstandes informiert, sondern von mir, als ich anlässlich einer Geldauszahlung des Sozialamtes mitbekam, dass man dort nichts davon wusste. Es folgte ein größeres Zuständigkeitsgefecht zwischen Sozialamt und Jugendamt, das am Ende nur noch durch die Amtsleitungen gelöst werden konnte. Mit Bezahlkarte würden die Ämter bis heute nichts davon wissen.
Apropos Willkommenskultur. Am 17.05.24 vermeldet eine Lokalzeitung Proteste gegen eine mangelnde Willkommenskultur in der Ausländerbehörde. Mit Beispielen, bei denen man sich wundern müsste, wenn es später NICHT zu „Vorfällen“ kommen würde. Dazu später. Zunächst zurück auf Anfang. Als die Flüchtlinge in unserer gut bürgerlichen Gegend ankamen,, freuten sie sich über diese schönen großen Häuser. Dann sagte man ihnen, nicht diese seien das Ziel, sondern die alte Sporthalle gegenüber. Die Frauen saßen auf dem Gehweg und weinten….Dann wurden alle nach Karlsruhe gebeten, Asylantrag stellen. Mit Kind, Kegel und Babies machte man sich in aller Frühe auf den Weg. Mit der einen Stelle klappte es denn auch. Bei der nächsten stand dann allerdings der pünktliche Feierabend an. Also mit Kind, Kegel und Babies unverrichteter Dinge wieder zurück in die Turnhalle. Und keiner weiß, wie es weitergeht. Auch nicht nach Wochen. Schließlich ein öffentlicher Protest nebst Streik. Da bequemt sich die zuständige Behörde, einen neuen Termin anzusetzen. Diesmal in Ellwangen. Genauer weiß ich es nicht mehr, weil mir der damalige Bericht der Stuttgarter Zeitung fehlt.
Gruppenweise macht man sich also wieder nach und nach auf den Weg. Erstaunlich: die einen werden gleich als Flüchtlinge anerkannt, die anderen auf ein späteres Gespräch vertröstet – nach dem sie dann ausnahmslos (?) abgelehnt werden. Der eine Bruder ist also Flüchtling, der andere nicht. Bei Schwestern ist es genauso. Mann und Frau sind schließlich gleichberechtigt. Nur Mann und Mann, Frau und Frau offenbar nicht. Das erkläre, wer will. Das BAMF konnte es jedenfalls nicht. Eine Betroffene bat telefonisch um eine Erklärung und verstand, dass es wie bei einer Lotterie sei. Mir wurde gesagt, die einen seien halt 2015 da gewesen, die anderen 2016. Dazwischen hätten sich die Bestimmungen geändert. Komisch nur: ALLE waren 2016 da gewesen. Die geheimnisvolle Welt der Bürokratie eben.
Die Gespräche mit der anderen Hälfte fanden dann schließlich auch statt. In Ellwangen. Der Ablehnungsbescheid kam aus Saarbrücken. Für alle. Männer brachen weinend zusammen. Angesichts von teils hanebüchenen Gerichtsurteilen, die ich überflogen hatte, sah ich auch keine Chance, erfolgreich gegen die Nicht- Anerkennung vorzugehen, riet meinem Syrer, der ein Palästinenser ist, trotzdem zu einem juristischen Vorgehen. Vor Gericht und auf hoher See… Die anderen Betroffenen taten es ihm nach. Und alle gewannen am Ende gegen Saarbrücken/ BAMF.
Bis dahin aber dauerte es, denn alle hiesigen Gerichte warteten auf eine Entscheidung des VGH. Die fiel dann nicht nur so aus, wie es niemand erwartet hatte, sondern sparte auch nicht an Ohrfeigen für andere Gerichte. Unser Rechtsanwalt bekam das Urteil übrigens nicht von seiner juristischen Quelle, sondern von mir. Ja, wo haben Sie denn das her? Aus dem Internet. War ganz einfach.
Zurück zum BAMF. Zum Gesprächstermin fuhren wir mit meinem Auto. Es war Ramadan (Super Timing!). Schönes Wetter. Mein Syrer-Palästinenser, der eher ländliche Gegenden liebt, kam zum ersten Mal aus der Stadt raus. Er ist auch ein Auto-Narr. Und fuhr nun seit langem erstmals wieder in einem Auto. Er gehört auch zu einer Sorte Mensch, die fast immer alles gut findet. Vorbereitet hatte ich ihn auch nicht. Also war – durch die Umstände euphorisiert – gern in Deutschland. Auch dankbar usw. Wie es ihm in Syrien ergangen war, erzählte er erst, als ich wiederholt gegen sein Schienbein trat. Und bei weitem nicht alles, was er mir erzählt hatte. Wie soll man auch erwarten, dass jemand, der froh ist, dem Schrecken entkommen zu sein, Erinnerungen hervorholt, die er meinte, hinter sich gelassen zu haben. Natürlich gibt es auch Menschen, die diese Erinnerungen nicht hinter sich lassen können. Deren Asylanträge sind (hoffentlich) nachvollziehbar. Auf die anderen passt das Verfahren nicht. Es sei denn, man nimmt Re-Traumatisierungen billigend in Kauf. Bleibt anzumerken, dass mein „Syrer“ auch in Syrien nicht alles seinen Eltern erzählt hatte, was ihm passiert war. Nur die eher harmlosen Vorkommnisse. Wenn der Weg zur Arbeit zu gefährlich wurde, übernachtete er in der Firma.
Die Anerkennung als Flüchtling dauerte also. Ohne Anerkennung aber kein kostenfreier Sprachkurs. Also stellte ich in Nürnberg einen Extra-Antrag, dem entsprochen wurde! Für die Nichtmehr-Ehefrau war das Jugendamt zuständig. Das war zunächst einmal sehr gut, allerdings hatte der bestellte Vormund jetzt nicht so die Zeit, ständig mit irgendwelchen Behörden zu kämpfen. Trotzdem bemühte er sich. Aber das BAMF lud die Ex-Ehefrau einfach nicht vor. Vermutlich wollte man warten, bis sie 18 war und vermeintlich keinen Familiennachzug mehr beantragen konnte – was der EuGH später ohnehin für rechtswidrig erklärte. Dass die Ex-Ehefrau überhaupt das Recht auf Familiennachzug hatte, war aber auch Schuld des BAMF höchstselbst, das sie ja für ledig, also zu einer unbegleiteten Jugendlichen erklärt hatte. Außerdem wusste man offenbar nicht, dass ihre jüngere Schwester mit ihr geflüchtet war. Für mehr Personen hatte das Geld für die Flucht nicht gereicht, also hatte die Familie beraten und kam zu dem Schluss, dass das Mädchen die stärkste von den Kindern sei, also mit Schwester und Schwager alleine flüchten sollte.
Als die Nicht-mehr-Ehefrau dann 18 wurde, wurde es mir zu dumm, und ich schickte eine Beschwerde nach Nürnberg. Das war noch vor dem Rechtsputsch gegen Frau Cord, deshalb kam die Ladung zum Gespräch umgehend. Wir fuhren also mit Mann und Baby auf die Alb. Nach langem Warten mit anderen Leidensgenossen erklärte uns eine Dame, es gebe gerade ein Problem. Also weiter warten. Dann war es soweit. Nein, doch nicht. Ein anderer Mitarbeiter wollte früher Feierabend machen und brauchte deshalb den Dolmetscher JETZT. Also kam jetzt entweder die Ex-Ehefrau dran oder ein anderer Klient, der ebenfalls mit Betreuern angereist war. Ich mag so etwas gar nicht, also fragte ich, ob wir es nicht einfach ohne Dolmetscher auf Deutsch versuchen könnten und, falls das nicht klappt, halt einen neuen Termin machen. Gesagt, getan. Die Dame war sichtlich erfreut über die Deutschkenntnisse der Ex-Ehefrau. Das Baby schlief derweil ausdauernd in der Obhut des vermeintlich ledigen Papas.
In der Beschwerde hatte ich auch die Familienstands-Änderung erwähnt. Ich fragte, ob das BAMF überhaupt dazu befugt gewesen war – und nicht Standesamt bzw. Familiengericht – und verlangte ggf., die Änderung zurück zu nehmen. Das war 2018. Eine Antwort des BAMF habe ich bis heute nicht bekommen. Verdacht: WEIL es illegal war.
Die Anerkennung der Ex-Ehefrau folgte dann aber auch prompt. Oder doch wieder nicht. Sie kam nämlich dummerweise just an dem Tag, als die Familie aus der Wohnung des Jugendamtes ausziehen musste. Das Schreiben ging als unzustellbar zurück. Die neue Adresse war der Behörde nicht bekannt. Das klärte sich erst nach Wochen, als ich mich erneut beschwert hatte.
Das Baby. Von Anfang an ein wunderbares Mädchen. Die Familie hatte mich gefragt, ob ich nach der Geburt ein bisschen helfen könnte, wenn die Mutter Termine hatte. Ich hatte auf meine Nichte aufgepasst als die ein Baby war und ich selbst gerade vor der Einschulung stand. Es endete damit, dass meine Schwester zwei weinende Kinder vorfand, als sie vom Einkaufen zurück kam. Also meine Bedingung diesmal: es muss eine Bindung bestehen, damit das Baby sich bei mir geborgen fühlt. Wenige Stunden nach der Geburt hielt ich sie also zum ersten Mal im Arm, und die Bindung, die sich allmählich entwickelte, hält immer noch an. Wir haben ein ganz besonderes Verhältnis. Weder bei gemeinsamen Spaziergängen zum Spielplatz, noch bei Aufenthalten in einer speziellen Kita, wo Mütter bei Terminen ihre Kinder abgeben konnten, noch in der Vollzeit-Kita gab es mit dem Kind irgendwelche Probleme – außer, dass sein Dickkopf gewöhnungsbedürftig ist. So wurde ich also als Single glücklicher „Opa“. Dreifach inzwischen. Kurz ein anderer Ton: Die erwähnten Einrichtungen sind für Familien mit knappen Finanzen in Stuttgart kostenfrei.
Dann war da noch die Schwester der Frau. Zusammen mit ihrem Betreuer (Migrant) vom Jugendamt und einem engagierten jungen Rechtsanwalt (SPD, Migrationshintergrund) beantragten wir den langwierigen, etappenweisen Familiennachzug. Schließlich bekamen die Eltern ein Visum. Die beiden minderjährigen Geschwister nicht. Zwei minderjährige Kinder allein in einem fremden Land (Türkei) ? Kein Problem für deutsche Behörden. Die Brüder führen schließlich keine (schwule) „Kinderehe“, also ist auch kein Kindeswohl gefährdet. Komischerweise sahen die Eltern das anders. Muslime eben! Also kam zunächst nur die Mutter. Nach weiterem Warten schließlich der Rest der Familie. Diesmal nicht wegen der Schwester, sondern wegen der Mutter. Warum einfach, wenns auch kompliziert (und inhuman) geht! Und ein neuer Behördenmarathon begann.
Mein Syrer, der Palästinenser ist, entschloss sich mittlerweile während einer Eingliederungsmaßnahme des Jobcenter, in der die Teilnehmer in verschiedene Berufe hinein schnuppern konnten, eine Ausbildung zum Altenpfleger zu machen (Passt auch zu seinem Wesen). Inzwischen arbeitet er auch in diesem Beruf. Dazwischen machte er den deutschen Führerschein, da er seinen syrischen auf der Flucht verloren hatte und eine entsprechende Bescheinigung aus Syrien hier nicht anerkannt wurde. Er fährt übrigens weitaus besser (mein) Auto, als ich nach über 50 Jahren Fahrpraxis.
Man hört, hierzulande herrsche Fachkräftemangel. Besonders prekär sei es im Pflegebereich. Bis zum Ausländeramt scheint das noch nicht durchgedrungen zu sein. Mein Palästinenser stand kurz vor der Kündigung, als das Amt sich buchstäblich in letzter Minute entschloss – und nachdem eine heftige Mail von mir eingeschlagen war – , seine Aufenthaltserlaubnis zu verlängern. Provisorisch. Für ein Jahr. Das läuft demnächst ab. Zwischenzeitlich kenne ich zwei Personen, die noch nicht arbeiten können, aber zeitnahe Termine beim Amt bekommen haben und nun auf die fristgerechte Zustellung der Papiere warten. Für drei Jahre. Mein Syrer-Palästinenser arbeitet in einer städtischen Einrichtung mit Personalmangel. Sage noch einer, im öffentlichen Dienst würde keine Krähe der anderen ein Auge aushacken. Vielleicht bedarf es ja aber auch umso mehr der Behördenschikanen, je integrierter so einer ist. Das sind schließlich die härtesten Nüsse, die das Ausländeramt zu knacken hat. Wie soll man so jemand überhaupt abschieben?
Auf mich, schwerbehindert nach Schlaganfall warten deswegen also neue Aufgaben, die eigentlich überflüssig sein sollten. Aber Dank Schließung der Blog-Funktion hier, habe ich dann ja mehr Zeit und muss keine Beiträge mehr schreiben, die nicht gelesen werden. Das kann ich beim Ausländeramt auch haben. Ohne Abo.
Personalmangel? Mangel an Zeit? Nach sieben Jahren(!) kam das Ausländeramt auf die Idee, Nachweise anzufordern, dass a) mein Syrer-Palästinenser, b) die Dame aus der Bedarfsgemeinschaft, also seine reale Ehefrau, a) ihre Staatenlosigkeit, b) ihre palästinensische Volkszugehörigkeit bitte nachweisen mögen. Beides ist zwar vorgelegten syrischen Dokumenten zu entnehmen. Die Staatenlosigkeit von Palästinensern lässt sich auch mühelos ergoogeln. Aber nein, die palästinensische Vertretung in Berlin musste das offiziell bestätigen. Gegen Cash, versteht sich. Auf Basis derselben Papiere, die dem Ausländeramt längst vorlagen. Aber nein, das war nicht dasselbe. Die palästinensische Vertretung korrespondierte schließlich auf Arabisch. Und das macht doch einen fundamentalen Unterschied. Zumindest für mich als Nicht-Araber. Die Volkszugehörigkeit war also irgendwann bestätigt. Wie wir die Staatenlosigkeit nachwiesen – oder auch nicht – weiß ich nicht mehr. Vielleicht über Syrien bzw. die deutsche Botschaft in Beirut. Vermutlich war wieder Geld im Spiel. Und ein Dreivierteljahr ging dabei drauf. Dafür hatte man Zeit. Für die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis bisher nicht. Aber wieso soll eine seit Jahren überlastete Behörde Prioritäten setzen? Zeitverschwendung hat doch auch einen gewissen bürokratischen Charme. Und Bürokratie ist doch geil. Und schafft Arbeitsplätze. Die nicht besetzt werden können.
Dieses Jahr wird die Tochter eingeschult. Ihr Bruder wahrscheinlich nächstes Jahr. Und der Jüngste wurde gerade von der Warteliste für die städtische Kita gestrichen. Die Frau arbeitet ja nur als Mutter und Hausfrau. Das bisschen Haushalt, sagt das Amt……Also muss halt Opa ran. So oft hat die Kita für Hausfrauenkinder ohnehin nicht geöffnet. Personalmangel. Als vergangenes Jahr Grammatik-Defizite bei dem Mädchen diagnostiziert wurden, meinte die Kita-Leiterin, aber da sei doch der Opa! An der Kita hängt ein Schild, das sie als Sprach-Kita auszuweisen vorgibt. War wohl doch nicht so gemeint.
Deutsch mit Opa also. Das geht dann z.B. so. Der Kleinste ist gerade zweieinhalb. Manchmal hält er mir mit bedeutungsvollem Ausdruck lange Vorträge. Auf Arabisch? Auf Baby? Ich weiß es nicht. Also mache ich es wie weiland Sigmund Freud, ich nicke mit verständnisvoller Miene und murmle ab und zu „Ja“. Wenn ich jetzt etwas zu dem Kleinen sage, nickt er verständnisvoll mit dem Köpfchen und sagt mit glockenheller Stimme ab und zu „Ja“. Um ihn zu testen, habe ich einmal ein paar lästerliche Dinge gesagt. Er nickte verständnisvoll mit dem Köpfchen und sagte „Ja“. Als die anderen daraufhin lachten, lachte er fröhlich mit. Klingt gemein, war aber nicht so gemeint. Jedenfalls verstehen wir uns normalerweise gut. Er nimmt mich an der Hand und zeigt mir das Objekt seiner Begierde. Wenn ich daneben greife, wird es laut. Dann versuche ich es erneut. Bis schließlich die Mama helfen muss. Eine Kita wird dabei jedenfalls nicht überflüssig. Und ich besuche die Kinder, weil ich sie mag, nicht weil ich Vorschule machen möchte.
Jedenfalls wäre es keine gute Idee, jetzt den Löffel abzugeben. Die kleinen Syrer, die eigentlich Palästinenser, genauer Stuttgarter sind, aber NICHT Deutsche!!! Da seien Blut und Boden vor!, brauchen mich noch, denke ich. Open end also. In jeder Hinsicht. Und viel zu früh, um darüber abschließend zu schreiben. Unfinished business, würde Perls sagen. In vielerlei Hinsicht. Die Bürokratie ist nämlich durchaus zu unangenehmen Überraschungen fähig.
Eines noch. Migranten sind bekanntlich raffinierte faule Säcke, die gerne mal ihr Leben riskieren, um in den deutschen Sozialstaat einzuwandern, wovon sie seit frühester Kindheit träumen. Ich muss da voll daneben gegriffen haben. Mein Syrer-Palästinenser wollte jedenfalls mit seiner Gruppe in Österreich bleiben. Sein Vater riet ihm, weiter zu ziehen. Nicht wegen Sozialstaat, sondern, damit er nicht in einer Clique verhaftet blieb, was die Integration behindere. Eine Ingenieurin arbeitete bereits nach wenigen Monaten in einem Labor, ihre Tochter machte hier Abitur und ist jetzt in der Ausbildung zur Erzieherin. Der Mann aus der anderen Familie, die ich bis zum Schlaganfall mitbetreute, machte vor Beendigung seiner Sprachkurse einen vom Jobcenter verordneten Kurs und mildert seitdem als Spezialschweißer den Fachkräftemangel. Der Sohn eines syrischen Zahnarztes machte zuletzt eine Ausbildung zum Zahntechniker. Die christliche Dolmetscherin war zuletzt bei der Caritas. Ihr Bruder arbeitet seit Jahren als Goldschmied. Ein früherer Freund meines Syrers, vormals Sozialarbeiter bei der Uno, arbeitete schon vor Jahren in einer Einrichtung für Behinderte. Mein Syrer-Palästinenser ist Altenpfleger. Seine Nichtmehr-Ehefrau brennt darauf, endlich eine Ausbildung machen zu können. Nur die Kita spielt nicht mit. Was habe ich bloß falsch gemacht? Bei CDU und AfD werde ich jedenfalls wohl keine Karriere mehr machen…..
Ach ja, fast vergessen. Im Fall des Zahnarztes, der eine Privatklinik in einer Großstadt hatte, rätseln die Stellen, die seinen Beruf anerkennen müssen, vermutlich noch immer darüber, was ein Zahnarzt wohl in seiner Privatklinik so alles treibt. Man weiß es nicht…….Nach Sozialhilfe hat er vermutlich nicht gesucht.
Aber noch ist ja alles offen. Vielleicht schafft es das Ausländeramt sogar dieses Jahr, eine Kündigung meines Syrer-Palästinensers zu erzwingen. Einstweilen warten drei strahlende Kindergesichter auf mich, wenn sich die Haustür öffnet Hier wird sie zugeschlagen. Da liegt es nahe, wo man mich in Zukunft finden. Über Integration werde ich allerdings nicht mehr schreiben können.
Dieser Beitrag muss auch nicht gelesen werden. Dann klappt es auch mit dem „Servus“: