60-jährige Friedensaktivistin Hanna: „Meine Tochter kommt nicht mit zur Demo“

Im brandenburgischen Ökodorf Brodowin, nordöstlich von Berlin gelegen, kennt sie jeder. Und jedem Vorbeifahrenden fällt ihr Haus sofort ins Auge: Das alte Bauernhaus aus Fachwerk ist großflächig verziert mit aufgemalten Regenbogen, Friedenstauben und dem Banner mit der Aufschrift „Frieden mit Russland“.

Drinnen sieht es aus wie bei einem Vorzeige-Grünen der 1980er Jahre: Vollholzmöbel, Kaminofen, handgetöpferte Teetassen und ein knuddeliger, sehr friedliebender Hund.

Hanna hat aus ihrer langjährigen Erfahrung als Friedensaktivistin viel zu erzählen. Nie war es für sie jedoch so schwierig, ihr Anliegen vorzubringen wie heute. „Meine Tochter würde bei einer Friedensdemonstration nicht mitlaufen. ‚Ich laufe doch nicht neben Rechten!‘, bekomme ich dann zu hören“, sagt Hanna. Und beschreibt damit das Kernproblem der Friedensbewegung von heute, aus ihrer Sicht: die Spaltung.

Von der Zeit des NATO-Doppelbeschlusses bis heute Aktivistin

Hanna hat in Nordrhein-Westfalen Tiermedizin studiert. Weil ihre Eltern dann nach dem Mauerfall in ihre alte Heimat, das idyllische Brodowin, zogen, landete sie auch dort und arbeitet bis heute in einer Tierarztpraxis. „Frieden war mir schon immer sehr wichtig, schon als Schulkind.“

Das war die Zeit des NATO-Doppelbeschlusses, die Zeit eines Rio Reiser. Ihre Eltern waren politisch aktiv in der SPD. In ihrem Ort gab es eine Friedensbewegung, bei der sie mitmachte, die Erkrather Friedensinitiative. „Da waren Menschen aus allen Kreisen dabei, Christen, Gewerkschafter, Umweltschützer, Kommunisten, und dann wurden ja gerade die Grünen gegründet, die Friedenspartei mit Petra Kelly und Gert Bastian“, erinnert sich Hanna.

Wir werden heute totgeschwiegen

Hanna

Man machte Aktionen wie „Unser Gymnasium ist atomwaffenfrei“, der „Krefelder Appell“ war eine ganz große Nummer, erzählt Hanna, und redet sich sichtlich in Rage. Ihre langen, weißen Haare glänzen im Sonnenlicht. Statt online irgendwelche Petitionen zu starten, rannte man damals mit Zetteln herum und suchte das direkte Gespräch mit Menschen, um sie von der Dringlichkeit des Friedens zu überzeugen. „Da wurde mobilisiert für die Ostermärsche, die gingen damals immer mehrere Tage, übernachtet haben wir in Turnhallen“, erzählt Hanna. Auch die Kirchentage waren damals sehr auf den Frieden fokussiert.

Natürlich gab es auch in den 1980er Jahren schon Gegenwind. So schrieben die Tageszeitungen manchmal, dass „diese Friedensleute“ von Moskau gesteuert wären und sowieso unterwandert seien. „Geht doch nach drüben“, hörte Hanna so manches Mal in den 1980er Jahren, als die DDR noch existierte. In der Gesamtheit wurde aber wesentlich intensiver über Friedensinitiativen berichtet als heute.

„Ich habe lange überlegt – was ist der Unterschied zu heute? Jetzt ist das Thema ja wichtiger denn je! Wir werden heute totgeschwiegen. Wenn man schweigt, lügt man ja auch nicht.“ Das sei im Grunde auch eine Form von Fehlinformation. Und wenn berichtet würde, dann meist sehr kurz, und fast immer mit dem Zungenschlag „rechts“.

Die Brandmauer verhindert große Friedensbündnisse

Die Brandmauer sei es ihrer Meinung nach, die den größten Schaden anrichte bei der alternativen Gegenbewegung. Dadurch schaffe man es heute nicht mehr, alle unter einen Hut zu bringen, da ist sich Hanna sicher. „Und damit, das ist so genial, damit hat die gegnerische Seite gewonnen“, sprudelt es aus Hanna heraus. Wenn man nicht in der Lage sei, zusammen zu demonstrieren – und dabei denkt Hanna auch an ihre Tochter – sei es sehr schwer.

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„Wir wollen keinen Krieg, und da ist es doch egal, mit wem ich Hand in Hand laufe.“ Diese Botschaft ist Hanna sehr wichtig. „Meiner Meinung nach ist das gelenkt. Da sitzen Leute an den entscheidenden Stellen, die bremsen. Wobei“ – Hanna schaut passend zum Inhalt ihrer Worte ziemlich verschwörerisch – „die Gehirnwäsche geht bis ganz nach unten durch“.

Heute sei es wichtiger, mit den „richtigen“ Leuten zusammen zu sein als das richtige Thema zu besetzen. In den 1980er Jahren hätte sich zum Beispiel auch die Frauenbewegung nahtlos in die Friedensbewegung mit eingereiht. Heute hieße es: Wo stehst du denn ansonsten? Und erst wenn das passt, könne sich jemand in die Friedensbewegung einreihen. Die Medien hätten es geschafft, spaltend zu berichten, sodass immer ein Feindbild existiere. Beispiel AfD – eine Zuspitzung, die zeigt, wie sehr Hanna die gegenwärtige Polarisierung beschäftigt.

Wir wollen keinen Krieg, und da ist es doch egal, mit wem ich Hand in Hand laufe

Hanna

Ein anderes Problem: Medien würden Trendwörter kreieren, wie jetzt die „Drohnenleugner“, wobei Hanna etwas schmunzeln muss. Die Ängste vor den Russen seien heute in bestimmten Kreisen so groß, dass die Mütter ihre Kinder tatsächlich „für den Frieden“ in den Krieg schicken wollen, hat Hanna beobachtet. „Solche Leute kommen heute in die Zeitung, die bekommen Interviews“. Hanna fühlt sich nicht gesehen: Sie selbst mit ihren Ansichten sei bei Zeitungen überhaupt nicht mehr gefragt.

Auch mit der Linken hadert Hanna. Im September 2024 verabschiedete das EU-Parlament eine Resolution, in der unter anderem gefordert wurde, „Einschränkungen des Einsatzes westlicher Waffen“ gegen Russland aufzuheben und weitere Waffen an Kiew zu liefern. Ziel sei das ukrainische Recht auf Selbstverteidigung zu gewährleisten. Von den drei linken EU-Abgeordneten stimmte eine dagegen, einer enthielt sich und eine stimmte zu – Carola Rackete. „Die Aktivistin hat ja gesagt, dass der Krieg ein imperialistischer Krieg sei und sie eindeutig auf der Seite der Ukraine steht.“

Und ist der russische Krieg in der Ukraine kein imperialistischer Krieg? Nein. Hanna sieht das anders. Der Ukraine-Krieg ist für sie ein Stellvertreterkrieg zwischen Russland und dem Westen. Näher steht sie damit der Position von Sahra Wagenknecht – „obwohl ich da auch Kritik habe!“, wie sie schnell einfügt. Von allen Parteien würde das Bündnis Sahra Wagenknecht die konsequenteste Friedenspolitik anstreben.

Misstrauen gegen die Jüngeren – gibt es einen Generationenkonflikt?

Misstrauisch ist Hanna jetzt auch bei Fridays for Future. Sie sagt, dass sie die Gruppe angeschrieben habe und fragte, ob sie dort mitmachen dürfe. Die Antwort sei nein gewesen, eine Überprüfung ist schwierig. „Das ist keine demokratische Organisation“, lautet ihr Urteil. Da sei keine Basisdemokratie da. Als „Alte“ mit politischer Erfahrung fühle sie sich ausgeschlossen. „Das ist ne krasse Nummer, da werden die Jugendlichen gekapert“, entfährt es ihr. Wie diese Jugendlichen wirklich ticken, das wird Hanna jetzt nicht mehr herausfinden.

Ob ihre Analyse recht hat oder nicht – Hannas Blick macht deutlich, wie tief die Risse inzwischen gehen. Frieden ist wieder ein zentrales Thema, doch die Bewegung, die ihn einst trug, findet kaum noch zusammen. Und genau das, sagt Hanna, sei das eigentliche Problem. Die 60-Jährige hofft, dass Frieden irgendwann wieder wichtiger wird als Abgrenzung. Bis dahin bleibt sie sichtbar – mit bemaltem Haus, friedliebendem Hund und unbequemen Fragen.

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